Bilanz Eine Straßmann-Blockade und flotte Helfer

Freisen · Die Betreuerin eines Zeltlagers bricht mit Schmerzen unterm Herzen zusammen. Sie ist die 200. Patientin der Freisener First Responder.

 Ein Teil der Gruppe First Responder Freisen besucht ihre 200. Patientin Tjana Straßmann (Mitte) im Zeltlager Badesbach in Freisen. Die Helfer von links: Oliver Kastel, Maurice Bier, Sebastian Theis, Björn Werth, Christian Alles und Steffen Klos

Ein Teil der Gruppe First Responder Freisen besucht ihre 200. Patientin Tjana Straßmann (Mitte) im Zeltlager Badesbach in Freisen. Die Helfer von links: Oliver Kastel, Maurice Bier, Sebastian Theis, Björn Werth, Christian Alles und Steffen Klos

Foto: B & K/Franz Rudolf Klos

Eine aufregende Zeit erleben – das wünschen sich Kinder in einem Feriencamp. Doch die Aufregung, welche Mädels im Alter von acht bis 15 Jahren im Zeltlager der Katholischen Landjugendbewegung Dekanat Mainz-Süd (KLJB) in Freisen erlebt haben, hätten sie so sicher nicht erwartet. Denn plötzlich bricht ihre Betreuerin Tjana Straßmann zusammen. Angst und Sorge machen sich breit. Doch Rettung ist rasch zur Stelle: Mitglieder der First Responder-Gruppe in Freisen eilen zur Hilfe.

Was ist passiert? Die 26-jährige Mainzerin startet zusammen mit einer Kollegin und 13 Mädchen auf eine Zwei-Tages-Wanderung. Die Stimmung ist gut. Als sie bereits wieder auf dem Heimweg sind, bemerkt Tjana Straßmann plötzlich ein Stechen unter dem Herzen. „Zunächst habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich nahm an, dass ich mir einen Zug geholt hatte.“ Tapfer marschiert sie weiter. Ihr Ziel ist das Schwimmbad in  Oberkirchen. „Ich wollte mich unbedingt zusammenreißen“, sagt die Betreuerin. Doch es geht ihr immer schlechter. Schließlich kann sie kaum noch atmen, sackt in sich zusammen – vorm Weiselbergbad. Eines der Mädchen habe sich hinter sie gesetzt und ihren Kopf auf die Knie gelegt, damit sie besser Luft kriegen sollte. Die übrigen Kinder stellen sich um die Patientin herum, schirmen sie so vor Blicken von Passanten ab. „Meine Kollegin hat den Notruf gewählt“, so die 26-Jährige. Sie selbst kann nicht mehr reden. Irgendwann kullern die Tränen und da ist dieser Gedanke im Kopf: „Oh je, mit 26 Jahren einen Herzinfarkt.“ Trotz aller Angst und Schmerzen denkt sie aber auch an die 13 Mädchen, die tapfer neben ihr stehen. „Ich hatte das Gefühl, die Kinder im Stich zu lassen.“

Viele Emotionen und Gedanken in einer kurzen Zeit - denn bereits etwa fünf Minuten nach dem Notruf waren drei Mitglieder des First Responder-Teams der Gemeinde Freisen zur Stelle. „Sie haben so ruhig gewirkt. Das wiederum hat mich beruhigt“, schildert die Patientin. Neben der Ersthelfer-Truppe, die an Freisens Feuerwehr angeschlossen ist, hat die Leitstelle in Saarbrücken auch Rettungswagen und  Notarzt aus St. Wendel alarmiert. „Als ich im Rettungswagen saß und ein EKG geschrieben wurde, sah der Ausschlag, der auf das Papier gezeichnet wurde, für mich normal aus“, erinnert sich die 26-Jährige an den Moment, in dem sie erstmals aufamtet. Doch kein Herzinfarkt. Aber woher kommen diese Schmerzen. Mit dem Krankenwagen geht es für die junge Frau in die Klinik. Wieder warten und bibbern. Dann ist klar: eine Blockade im Rücken hat die heftigen Schmerzen ausgelöst. „Ich wollte unbedingt wieder auf den Zeltplatz zurück“, sagt Tjana Straßmann. Die Ärzte geben grünes Licht. Die zweite Erleichterung an diesem Tag. Schlapp, müde, aber auch glücklich geht es zurück ins Camp. Ihre Retter hat sie aus Dankbarkeit dorthin eingeladen.Dass es für das First Responder-Team ein besonderer Einsatz gewesen ist, erfährt die Patientin bei der Stippvisite der Truppe: Sie ist der 200. Einsatz für die Ehrenamtler. „Endlich habe ich auch mal was gewonnen“, scherzt sie. Und kann ein paar Tage nach dem Schrecken schon wieder herzhaft lachen. „Man muss das Leben positiv sehen.“ In dem Zeltlager auf einer großen Wiese, in dem 76 Mädchen einen Teil ihrer Ferien verbringen, gehört Tjana Straßmann zum Team des Schrottzelts. Das sind quasi die Hausmeister des Camps, die Holz holen, Dinge reparieren oder Sachen bauen. Nach ihrem Zusammbruch ist mit dem Schleppen Schluss. Das übernehmen jetzt die Männer. Es gibt inzwischen einen Running Gag im Camp: die Straßmann-Blockade.

Herzinfarkt, Verbrennung, Bewusstloskeit, Herzstillstand oder Unfall – das sind Situationen, in denen die First Responder alarmiert werden. Ihren ehrenamtlichen Dienst hat die Gruppe 2014 aufgenommen. Da sie sich aus versicherungstechnischen Gründen einer Organisation habe anschließen müssen, gehört sie zur Feuerwehr Freisen. „Wir sind quasi wie ein eigenständiger Löschbezirk“, erläutert der Leiter der First Responder-Truppe, Oliver Kastel. Was allerdings anders ist: Die First Responder können keine Einsatzgarantie geben, da alle Mitglieder ehrenamtlich neben dem Job die Einsätze fahren. Die Bilanz kann sich dennoch sehen lassen. Seit 2014 zählte Kastel 203 Einsätze, davon konnten die First Responder nur einen nicht übernehmen. Die Gruppe setzt sich zusammen aus sieben Rettungssanitätern, acht Rettungsassistenten, einem Notfallsanitäter in Ausbildung, zwei Notfallsanitätern und einem Notarzt. „Wir wohnen in der Gemeinde Freisen verteilt“, erläutert Kastel. Acht Helfer in Freisen, vier in Oberkirchen, drei in Reitscheid, zwei in Haupersweiler und jeweils einer in Asweiler und Schwarzerden. Das ist Teil des Konzeptes, denn so sind die Ehrenamtler innerhalb des Gemeindebezirks schnell dort, wo sie gebraucht werden.

Alarmiert werden die First Responder wie auch der Rettungsdienst über die zentrale Leitstelle in Saarbrücken. Und zwar per SMS und Funkmelder. Ist der Rettungswagen der Gemeinde mal anderweitig im Einsatz, muss einer aus der Umgebung angefordert werden – mit längerer Anfahrtzeit. Dann haben die ehrenamtlichen Ersthelfer einen zeitlichen Vorteil von etwa 15 bis 20 Minuten. Gut für den Patienten. Diese, so sagt Kastel, seien schon mal beruhigt, wenn sie nicht mehr alleine sind. Die Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten bewertet der First-Responder-Leiter als gut. Man kenne sich untereinander. In Ausnahmen seien die Helfer auch schon mal außerhalb der Gemeinde aktiv geworden. Er erinnert sich an einen Unfall mit mehreren Verletzten vor Baumholder. Solche Einsätze seien aber die Ausnahme.

Ein Einsatzfahrzeug nennt die Gruppe ihr eigen: einen Smart mit Blaulicht auf dem Dach und Ausrüstung an Bord: Sauerstoff, Defibrilator, Notfallrucksack. Ansonsten sind die Helfer mit Privatautos unterwegs. Kastel hofft, dass die Teamstärke von 19 Ehrenamtlern gehalten werden kann. Das habe sich bewährt. Die Truppe sei auf Spenden angewiesen, es hat sich auch ein Förderverein gegründet. Und noch etwas sei wichtig: Unterstützung. Die sei ihnen sowohl von den eigenen Familien als auch von Bürgermeister Karl Josef Scheer (SPD) gewiss. Das Team der First Responder schlendert über den Zeltplatz, lässt sich von Tjana Straßmann alles zeigen. Ende der Woche heißt es für die Mädels: Ab nach Hause. Dann haben sie viel zu erzählen. Auch von der Straßmann-Blockade.

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