Das unvergessliche Osterfest von 1946

Oberkirchen · Marienschwester Thereslore Thiel half als Elfährige, gemeinsam mit ihren Freundinnen deutsche Kriegsgefangene in Freisen zu versorgen.

Papst Franziskus ging es 2016 im Jahr der Barmherzigkeit nie darum, möglichst viele Pilger nach Rom zu locken. Der Pontifex rückte die Aufmerksamkeit auf die Barmherzigkeit Gottes, welche die Menschen anspornen sollte, ebenfalls barmherzig tätig zu sein. Inspiriert davon berichtet die Schönstätter-Marienschwester Thereslore Thiel in Koblenz-Metternich von einer unvergessenen Kindheitserinnerung in ihrem Geburtsort Oberkirchen am Gründonnerstag.

Rückblick ins Jahr 1946 in das Bergmanns- und Bauerndorf am Weiselberg. Der Zweite Weltkrieg hatte Spuren hinterlassen, zumal sich in Freisen ein Lager mit deutschen Kriegsgefangenen unter französischer Kommandantur befand. "Wir waren damals sechs Mädchen im Alter zwischen elf und 14 Jahren, die sich noch heute mit Freude daran erinnern, wie wir den gefangenen Soldaten helfen konnten", berichtet die heute 83-jährige Marienschwester Thereslore. Das Elternhaus der damals Elfjährigen stand in Oberkirchen gegenüber dem Sägewerk (heute: Garten-/Museumstraße) ihres Onkels, der selbst noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war. Das stillgelegte Sägewerk kam in die Verwaltung der französischen Besatzungsmacht, die es wieder in Betrieb nahm. Deutsche Kriegsgefangene, die täglich vom Lager in Freisen (heute: Standort der Spedition Pfeiffer in der Bahnhofstraße) auf Lastwagen nach Oberkirchen gekarrt wurden, mussten darin arbeiten. "Wir waren eine einfache Bergmannsfamilie ohne Landwirtschaft", sagt sie. Ihre Mutter erkannte jedoch sofort, dass die Versorgung der Gefangenen sehr zu wünschen übrig ließ, und sie regte mit Nachbarsfrauen an, für eine Beilage zur dünnen Wassersuppe zu sorgen. Und so wurde im Dorf eine große Hilfsaktion gestartet. Noch vor Schulbeginn holten die Kinder die Henkelmänner (Essgeschirr) der Soldaten ab und brachten sie nach der Schule gefüllt mit einer gespendeten warmen Mahlzeit zurück. "Das ging drei, vier Monate so weiter", schildert sie. "Ich erinnere mich gut daran, dass wir Kinder beim ersten Mal einen Kartoffelsalat auf den Holzplatz gebracht haben", so Schwester Thereslore. Einer der Gefangenen war der Theologiestudent Hans, der mit großer Dankbarkeit das Essen annahm.

Ein besonderes Ereignis trug sich für das Oberkircher Mädel während der Osterzeit zu. "Wir sammelten Ostereier, um damit einen großen Henkelkorb zu füllen, den mein Großvater geflochten hatte", schildert die Marienschwester weiter. Am Gründonnerstag, dem letzten Arbeitstag vor den Ostertagen, brachten drei Mädchen, auf Schritt und Tritt beäugt von den französischen Soldaten, ihren Korb als Ostergeschenk zum Sägewerk. "Wir haben uns gewundert, dass keiner kam, um den Korb entgegenzunehmen", erinnert sie an einen außergewöhnlichen Moment. Offenbar hatte eine große Ergriffenheit die Männer erfasst, weshalb so mancher mit den Tränen rang. Sogar die sonst so lärmende Hauptsäge war beim Erscheinen der Kinder abgeschaltet worden, es herrschte fast gespenstige Stille. Auch Theologiestudent Hans kullerten Tränen über die Wange, und seine zittrige Stimme war nur in der Lage, zwei Worte zu sagen: "Danke, Kinder!"

Nach den Ostertagen, als die Essensaktion wieder anlief, überreichte Hans den Kindern eine Postkarte, gemalt von einem Gefangenen. Darauf trug ein Osterhase auf dem Rücken einen großen Korb voller Ostereier und ein Wegweiser zeigte in Richtung Oberkirchen. Auf der Rückseite der Karte war ein Dankesgruß mit den Unterschriften aller Gefangenen zu lesen. "Heute, nach 71 Jahren, da wir in der katholischen Kirche das Jahr der Barmherzigkeit begangen haben, erinnern sich noch vier Kinder von damals an diese Aktion. Und wir danken Gott, dass wir schon als Kinder in besonderer Weise Werkzeuge seiner Barmherzigkeit sein durften", sagt Schwester Thereslore.

Seit 1954 ist sie Mitglied der Schönstätter-Marienschwestern in Koblenzer Stadtteil Metternich und wirkte unter anderem 30 Jahre als Wallfahrtsschwester. Den ehemaligen Theologiestudenten Hans traf Schwester Thereslore bei dessen Primiz später wieder.

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