Wegen starker Tourismus-Bilanz Droht Gastgewerbe Fachkräftemangel?

St. Wendel · Gewerkschaftschef Mark Baumeister befürchtet bei anhaltendem Boom Überlastung der 2000 Beschäftigten.

 Rund 2000 Beschäftigte im Landkreis St. Wendel arbeiten nach NGG-Angaben im Hotel- und Gaststättengewerbe. NGG-Chef Baumeister befürchtet, dass sie überlastet werden, wenn der tourismus-Boom im Kreis anhält.

Rund 2000 Beschäftigte im Landkreis St. Wendel arbeiten nach NGG-Angaben im Hotel- und Gaststättengewerbe. NGG-Chef Baumeister befürchtet, dass sie überlastet werden, wenn der tourismus-Boom im Kreis anhält.

Foto: picture-alliance/ dpa/Roland Weihrauch

Das Nordsaarland kam im vergangenen Jahr auf 1,6 Millionen Gäste-Übernachtungen. Wobei sich die Übernachtungszahlen allein im Landkreis St. Wendel auf 1 025 088 summieren – wenn auch kleinere Beherbungsbetriebe mit eingerechnet werden (wir berichteten). Damit entfallen fast ein Drittel der Übernachtungen im Saarland auf das St. Wendeler Land. Mark Baumeister von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht von einer „starken Bilanz – die jedoch nur mit dem starken Engagement der Beschäftigten überhaupt möglich ist“. Allein im Landkreis St. Wendel beschäftigt das Gastgewerbe nach Angaben der Gewerkschaft, die sich auf Zahlen der Arbeitsagentur beruft, knapp 2000 Menschen. „Allerdings fehlen hier zunehmend Fachkräfte – auch, weil die Branche ein waschechtes Image-Problem hat“, ist Baumeister überzeugt. Ein Hauptgrund: immer extremere Arbeitszeiten. Zwar gehöre das Arbeiten am Abend oder am Sonntag für Hotelfachleute und Kellner fest zum Job. „Aber in den vergangenen Jahren sind die Schichten deutlich länger und die Erholungszeiten kürzer geworden. Das macht nicht jeder ewig mit“, erklärt der Geschäftsführer der NGG-Region Saar.

Baumeister kritisiert insbesondere die Forderungen von Unternehmern, das Arbeitszeitgesetz zu lockern. „Geht es nach dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, dann sollen 13-Stunden-Arbeitstage bald zum Normalfall werden. Aber hier steht die Gesundheit der Beschäftigten auf dem Spiel. Nicht umsonst gibt es gesetzliche Grenzen“, so Baumeister. Das Arbeitszeitgesetz schreibt eine Regelarbeitszeit von acht Stunden täglich vor. In Ausnahmefällen kann sie auf zehn Stunden ausgedehnt werden. Baumeister erklärt: „Nach einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin steigt das Unfallrisiko nach der achten Arbeitsstunde exponentiell an.“ Und wer oft im Schichtdienst arbeitet, der habe ein erhöhtes Risiko, am Herzen oder an Diabetes zu erkranken.

„Die guten Übernachtungszahlen und steigende Umsätze zeigen, wie groß der Einsatz der Beschäftigten in der Gastronomie und Hotellerie ist“, sagt Baumeister. Im Kreis St. Wendel arbeiteten gerade gelernte Fachkräfte „längst am Limit“. Die dürfe man nicht mit „Horror-Arbeitszeiten“ verprellen. Schon jetzt falle es der Branche schwer genug, Schulabgänger für eine Ausbildung zu gewinnen.

Die NGG warnt davor, das Gastgewerbe zum „Vorreiter für ausufernde Arbeitszeiten“ zu machen. Bei einer aktuellen Branchenumfrage der Gewerkschaft gaben 81 Prozent der Befragten an, ihre Arbeitsbelastung habe in den letzten Jahren zugenommen. Fast jeder Zweite muss demnach in der Freizeit für den Betrieb einspringen.

Dabei betreffen ungewöhnliche Arbeitszeiten auch viele andere Wirtschaftsbereiche. „Bundesweit arbeitet mittlerweile jeder vierte Beschäftigte regelmäßig am Wochenende“, erklärt Baumeister und beruft sich dabei auf den aktuellen Mikrozensus. „Das sind rund neun Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und 700 000 mehr als noch im Jahr 2010.“ In der Hotellerie und Gastronomie liege die Quote der Wochenendarbeiter sogar bei 86 Prozent, habe die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ermittelt. Hinzu komme die Arbeit auf Abruf, von der im Gastgewerbe jeder Vierte betroffen ist. „Wenn der Chef per WhatsApp in letzter Sekunde die Dienste verteilt, dann können Beschäftigte ihren Alltag kaum planen“, kritisiert Baumeister.

Statt längere Arbeitszeiten zu fordern, sollten Hoteliers und Gastronomen die Branche attraktiver machen: „Das fängt bei einer guten Ausbildungsqualität an und reicht bis zur Bezahlung nach Tarifvertrag. Und wenn das Personal Spaß an der Arbeit hat, dann kommen die Gäste auch gern wieder.“

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