Studie: Über 9600 Kinder sind arm

Saarbrücken. Die Kinder- und Jugendarmut ist im Saarland im Vergleich zu den anderen westlichen Bundesländern besonders hoch. Im Saarland wiederum leiden im Regionalverband die meisten Kinder unter Armut: In der Gruppe der Jungen und Mädchen unter 15 Jahre war Ende 2010 fast jedes vierte Kind auf staatliche Hilfe angewiesen, hat das Otto-Blume-Institut in Köln in einer Studie ermittelt

 Kinder aus armen Familien müssen oft zuhause bleiben, weil das Geld für Freizeitaktivitäten fehlt. Foto: dpa

Kinder aus armen Familien müssen oft zuhause bleiben, weil das Geld für Freizeitaktivitäten fehlt. Foto: dpa

Saarbrücken. Die Kinder- und Jugendarmut ist im Saarland im Vergleich zu den anderen westlichen Bundesländern besonders hoch. Im Saarland wiederum leiden im Regionalverband die meisten Kinder unter Armut: In der Gruppe der Jungen und Mädchen unter 15 Jahre war Ende 2010 fast jedes vierte Kind auf staatliche Hilfe angewiesen, hat das Otto-Blume-Institut in Köln in einer Studie ermittelt.9613 Kinder unter 15 Jahren erhielten Geld vom Regionalverband. Das sind 23,8 Prozent aller Kinder, die im Regionalverband leben. Als arm gelten Familien, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben, sagte Wolfgang Biehl, Geschäftsführer des Diakonischen Werks an der Saar, beim SZ-Gespräch im Jugendamt. Das Jahres-Durchschnittseinkommen betrug 2010 rund 32 000 Euro.

Das Jobcenter Saarbrücken hat ermittelt, dass rund 6500 Kinder unter 15 Jahren ohne Unterbrechung auf Sozialgeld angewiesen sind - 1926 bereits seit 2005. Biehl erklärte, die in der Studie veröffentlichte Zahl sei noch höher, weil Geringverdiener und Familien, die gerade noch über dem Hartz-IV-Satz lägen, von der Studie nicht erfasst würden. Die Studie sei trotzdem gut, weil sie nicht nur finanzielle Aspekte beleuchte, sondern zeige, an welchen Aktivitäten diese Kinder nicht teilhaben könnten.

Hansjürgen Stuppi, Mitglied im Jugendhilfeausschuss des Regionalverbandes, ist überrascht, dass so viele Kinder dauerhaft auf Unterstützung angewiesen sind. Das werde auch nicht besser, weil die Bundesregierung die "Eingliederungshilfe", um Hartz-IV-Bezieher wieder in Arbeit zu bringen, deutlich kürzen wolle: "Die Kinder und Familien kommen aus der Armutsfalle nicht mehr raus."

Die Autoren der Studie empfehlen mehrere Maßnahmen gegen die Kinderarmut: Von der Geburt bis zur Ausbildung müssten Land und Jugendämter eine "Präventionskette" aufbauen, die verhindert, dass Kinder verarmen. Sie schlagen vor, dass der Kindergarten für die Eltern kostenlos und verpflichtend für alle sein müsse. Außerdem fordern die Autoren mehr echte Ganztagsschulen. Das unterstreicht auch Armin Kuphal, Mitglied des Vorstands des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Kuphal kritisiert, dass es keine Vision gegen die Kinderarmut gibt, sondern nur an dem System herumgedoktert werde. Bestes Beispiel sei das Bildungspaket der Bundesregierung. Die habe nicht verstanden, dass ein Großteil der Unterschicht - er nennt das "die nehmende Hand" - diese Angebote nicht annehmen werde. Stuppi kritisiert zudem die ausufernde Bürokratie. Der Regionalverband profitiere aber auch davon und könne die Schulsozialarbeit ausbauen. Dafür dürfe die Verwaltung aber nicht an anderer Stelle Geld sparen.

Welche Konsequenzen zieht das Jugendamt aus der Studie? Für Amtsleiterin Uschi Biedenkopf ist klar: "Wir brauchen mehr Kinderhäuser in den Stadtteilen. Das darf auch an der Schuldenbremse nicht scheitern." Zurzeit gibt es diese intensive Betreuung in Alt-Saarbrücken, Malstatt, Brebach und Völklingen. Biedenkopf möchte auch das Sozialraumbüro-Konzept ausweiten, in dem die Sozialarbeiter gemeinsam mit den Stadtteilprojekten die Fälle beurteilen und bearbeiten.

Ganz wichtig ist für Kuphal und Stuppi, die Arbeit nicht nur dem Staat zu überlassen, sondern die Verantwortung der Eltern und die Kinder bei der Berufsvorbereitung. Stuppi befürchtet, dass viele wichtige Projekte gegen Kinderarmut wegen der Spardiskussion gekürzt werden.

Meinung

Mit Bildung aus der Armut

Von SZ-RedakteurMarkus Saeftel

Die Gefahr, dass ein Kind unter Armut leidet, ist im Saarland und speziell im Regionalverband im Vergleich zu den anderen westlichen Bundesländern besonders hoch. Das ist erschreckend. Zwar hat die Politik erste Erfolge mit dem "Frühe- Hilfen"-Programm, bei dem schon in den Krankenhäusern Eltern Hilfe angeboten wird. Aber diese Anstrengungen reichen nicht, sondern müssen im Kindergarten und in der Schule weitergehen.

Trotzdem geht der Ausbau der Ganztagsschulen im Regionalverband schleppend voran. Und das Theater um den Krippenausbau ist kaum mehr zu ertragen. Hier muss vor allem die Landesregierung deutlich mehr tun. Denn arme Kinder sollten schon im Vorschulalter und in der Schule besonders gefördert werden. Das wird die Landesregierung Geld kosten, lohnt sich aber langfristig, damit diese Kinder später eine Ausbildung und nicht wie ihre Eltern eine Hartz-IV-Karriere machen. Das ist ihre einzige Chance, der Armutsfalle zu entgehen.

Hintergrund

 Kinder aus armen Familien müssen oft zu Hause bleiben, weil das Geld für Freizeitaktivitäten fehlt. Foto: dpa

Kinder aus armen Familien müssen oft zu Hause bleiben, weil das Geld für Freizeitaktivitäten fehlt. Foto: dpa

Die Zahl der Hartz-IV-Bezieher ist von Ende 2006 bis Februar 2011 um 2385 auf 38 945 gesunken. 9872 Kinder unter 15 Jahren erhielten Hilfe vom Jobcenter Saarbrücken. Damit ist fast jeder vierte Leistungsbezieher noch nicht 15 Jahre alt. Nach den Ergebnissen der Studie sind im Regionalverband Saarbrücken 23,8 Prozent der Kinder unter 15 Jahren arm. An zweiter Stelle folgt der Landkreis Neunkirchen mit 16,3 Prozent, dann der Landkreis Saarlouis mit 12,8 Prozent sowie die ländlich geprägten Kreise Merzig-Wadern mit 9,6 Prozent und St. Wendel mit 6,8 Prozent. sm

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