Stolperstein gibt Nazi-Opfer einen Namen

Rilchingen-Hanweiler. Die Mörder hinterließen eine Spur aus Papier. Heimatforscher Franz-Ludwig Strauss (Foto: Strauss) nimmt Seite für Seite aus dem akkurat geführten Ordner. Dann breitet er mit ernster Miene auf dem Tisch aus, was die Nazi-Bürokraten über ihr Opfer Hermann Alexander geschrieben haben

 Dieses Bild vom 11. September 1938 zeigt (von links) Tochter Lieselotte Alexander, Herta Alexander mit Sohn Josef Edgar und Hermann Alexander. Ihn verschleppten die Nazis zwei Monate später nach Dachau. Foto: Privatarchiv Franz-Ludwig Strauss

Dieses Bild vom 11. September 1938 zeigt (von links) Tochter Lieselotte Alexander, Herta Alexander mit Sohn Josef Edgar und Hermann Alexander. Ihn verschleppten die Nazis zwei Monate später nach Dachau. Foto: Privatarchiv Franz-Ludwig Strauss

Rilchingen-Hanweiler. Die Mörder hinterließen eine Spur aus Papier. Heimatforscher Franz-Ludwig Strauss (Foto: Strauss) nimmt Seite für Seite aus dem akkurat geführten Ordner. Dann breitet er mit ernster Miene auf dem Tisch aus, was die Nazi-Bürokraten über ihr Opfer Hermann Alexander geschrieben haben. Wie sie ihn, den Juden aus Rilchingen-Hanweiler, nummeriert, von seiner Familie getrennt, in Kategorien eingeordnet, auf Transportlisten erfasst haben. Wie sie ihn in kümmerliche Lagerlumpen steckten, um ihm jede Individualität zu nehmen.

Blatt für Blatt dokumentiert Hermann Alexanders Weg bis nach Auschwitz, wo er am 4. Dezember 1942 starb. Er durfte nur 37 Jahre alt werden.

Strauss will dafür sorgen, dass Hermann Alexanders Name nicht in den kilometerlangen Regalreihen von Archiven verborgen bleibt. "Mich hat die Art, wie wir mit der Nazi-Diktatur und ihren Opfern umgegangen sind, immer schon geärgert", sagt Strauss, während er auf die Vermerke der Täter blickt. Der 64-Jährige, ein pensionierter Berufsschullehrer, möchte die Erinnerung an den Menschen Hermann Alexander mitten ins Leben holen.

Nach Rilchingen-Hanweiler, dorthin, wo er mit seiner Familie lebte,bis er in die Mordmaschinerie seiner Peiniger geriet. "Das ist eine Geschichte, die hier ihren Anfang genommen hat", sagt Strauss. Er arbeitet seit Jahrzehnten die Historie seines Heimatortes auf. Bei diesen Recherchen stieß er auf Hermann Alexanders Schicksal. Er ist der einzige Jude, dessen Leben im kleinen Grenzort belegbar ist.

Am 9. November 1938, in der Reichspogromnacht, verhafteten die Nazis Hermann Alexander zum ersten Mal und sperrten ihn sieben Monate lang in Dachau ein.

Mit der Hartnäckigkeit des Forschers ging Strauss auf eine monatelange Spurensuche, um mehr über diesen Menschen zu erfahren. Und darüber, was seine Mörder mit ihm gemacht haben. Wertvolle Hinweise für den Spurensucher kamen vom Internationalen Suchdienst, englisch International Tracing Service (ITS). Das ist eine vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) geleitete Einrichtung im hessischen Bad Arolsen.

Mit der Zahl der Erkenntnisse wuchs bei Strauss das Interesse, dem Forschen und dem Faktensammeln ein Zeichen der Erinnerung folgen zu lassen. "Dabei stieß ich auf die Aktion Stolpersteine und den Kölner Künstler Gunter Demnig." Der Bildhauer erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir verlegt. "Inzwischen liegen Stolpersteine in über 500 Orten Deutschlands und in mehreren Ländern Europas", steht auf der Internetseite der Stolperstein-Aktion.

Strauss nahm Kontakt zu Demnig auf. Ergebnis: Deutschland wird in Rilchingen-Hanweiler um einen Stolperstein reicher. Zwar ist das Anwesen, in dem Hermann Alexander mit seiner Familie in der Straße Am Holzplatz zur Miete wohnte, längst verschwunden. Aber der Eigentümer des Hauses, das heute dort steht, ist, wie Strauss hervorhebt, mit dem Erinnerungsstein einverstanden. Am 9. April fügt Demnig ihn in den Bürgersteig ein.

Dass es Kritik an den Stolpersteinen gibt, auch von Juden, weiß Strauss. Und er nimmt die Kritik ernst, damit lasse sich - symbolisch - noch einmal auf den Opfern herumtrampeln. Dem hält Strauss entgegen: "Diese Steine zwingen uns doch dazu, unseren Blickwinkel zu ändern. Wer die Inschrift lesen will, muss sich nach vorn beugen, um das Geschriebene in sich aufzunehmen. Und jeder, der das guten Willens tut, verneigt sich schließlich dank des Stolpersteins vor dem Opfer."

Was Strauss und Demnig mit der Stolperstein-Zeremonie erreichen wollen, hat ein Mensch offenbar sehr gut verstanden. Und das ist Strauss sehr wichtig.

 Gunter Demnig vor einem seiner Stolpersteine, die an Nazi-Opfer erinnern. Foto: dpa

Gunter Demnig vor einem seiner Stolpersteine, die an Nazi-Opfer erinnern. Foto: dpa

 So ähnlich könnte der Stolperstein für Hermann Alexander aussehen. Foto: Axel Mauruszat

So ähnlich könnte der Stolperstein für Hermann Alexander aussehen. Foto: Axel Mauruszat

Er steht seit langem im Kontakt mit Alexanders Tochter Lieselotte, die vor wenigen Tagen 82 Jahre alt wurde. Sie lebt in Saverne und ist am 9. April dabei, wenn ihrem Vater in Rilchingen-Hanweiler mit dem Stolperstein ein zehn mal zehn Zentimeter großes Denkmal gesetzt wird. "Sie war überrascht - und sehr erfreut."

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