„Sie kommen ohne ein Wort Deutsch“

St Ingbert · Die Zahl der Flüchtlinge in St. Ingbert, vorwiegend aus Syrien und Eritrea, wächst. Damit sie sich in ihrer Gaststadt zurechtfinden, geben ihnen Brigitte Schuster und Barbara Lipinski ehrenamtlich Deutschunterricht. Eine zweite Gruppe ist im Aufbau.

 Barbara Lipinski und Brigitte Schuster (Zweite und Dritte von links) unterrichten im Haus Uhl eine Gruppe von Flüchtlingen aus Eritrea und Syrien. Foto: Jörg Jacobi

Barbara Lipinski und Brigitte Schuster (Zweite und Dritte von links) unterrichten im Haus Uhl eine Gruppe von Flüchtlingen aus Eritrea und Syrien. Foto: Jörg Jacobi

Foto: Jörg Jacobi

"Ich brauche zweihandret Gramm Käse." "Zweihundert", verbessert Brigitte Schuster. Der junge dunkelhäutige Mann nickt. "Zweihundret." Er lauscht dem Klang des Wortes hinterher. War das jetzt richtig? Die deutschen Worte kommen ihm und den neun anderen Flüchtlingen aus Eritrea und Syrien noch etwas holprig über die Zunge. Wie bei der Zahl Hundert mischt sich beim Reden auch etwas Englisch in die Aussprache. Der Reihe nach zählen die neun Männer und eine Frau zwischen 19 und 40 Jahren auf, was sie im Supermarkt kaufen wollen. "Ich brauche Fleisch." "Ich brauche Milch." "Ich brauche Mineralwasser." Brigitte Schuster, die die Gruppe unterrichtet, hört zu, verbessert, erklärt immer mal wieder ein paar Sätze auf Englisch. Sie lächelt aufmunternd in die Runde, als ließe sich so das schüchterne Wesen der meisten Männer im Raum bezwingen. Wenn die Kommunikation ganz schwierig wird, hilft Dolmetscher Berhane Braner, der mit energischen Worten in die Sprache der Ostafrikaner übersetzt. Das verfolgen auch die drei Syrer mit Interesse.

Im Haus Uhl trifft sich die Gruppe oben unterm Dach. Der recht kleine Raum erinnert an Tage, da wohl ein Kulturamtsmitarbeiter seinen Schreibtisch dort hatte. An den Wänden hängen Plakate, die auf längst vergangene große Ausstellungen verweisen. "Spot on", heißt es auf einem - "Genau richtig". Das denkt auch Dolmetscher Braner über den ehrenamtlichen Sprachunterricht für die Flüchtlinge und andere Angebote von St. Ingberter Vereinen (siehe Text unten). Denn gar nichts tun, sagt er, sei für die jungen Männer aus seinem Heimatland Eritrea überhaupt nicht gut. Einen offiziellen Deutschkurs können sie nicht besuchen, so lange ihr Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist. Arbeiten erst recht nicht. Also lernen sie ein paar Grundbegriffe Deutsch, um sich in dem Gastland zurecht zu finden.

Seit Jahresbeginn hat St. Ingbert 58 Flüchtlinge aufgenommen. 35 Menschen kommen dabei alleine aus Syrien , 16 aus Eritrea . Damit ist die Zahl der Flüchtlinge im Vergleich zu den Vorjahren geradezu explodiert.

Brigitte Schuster, 65, und Barbara Lipinski, 59, bieten die ehrenamtlichen Deutschstunden an. Schuster hatte die Idee, nachdem sie einen jungen Eritreer auf dem St. Ingberter Bahnhof sah, der am Ticketkauf fast verzweifelte. Sie half ihm und wollte mehr tun. Mit dem jungen Mann startete sie im Mai das Projekt. Zwei Mal pro Woche anderthalb Stunden unterrichten Schuster und Lipinski die Flüchtlinge heute. "Sie kommen ohne ein Wort Deutsch", sagt Lipinski. Deshalb haben die beiden mit einem Bilderwörterbuch begonnen, mittlerweile übt die Gruppe mit Unterrichtsmaterialien. Um mehr Flüchtlingen unter die Arme zu greifen, hat Schuster zudem zwei weitere Mitstreiter gefunden, die mit einer Anfängergruppe starten wollen.

Begeistert von dem privaten Engagement äußert sich St. Ingberts OB Hans Wagner : "Ich finde diese Initiative ganz toll." Um die räumliche Situation zu verbessern, hat er den Umzug in den kleinen Rathaus-Sitzungssaal angeboten. Unterrichtsmaterialien könne das Rathaus ebenfalls stellen, sichert er zu. St. Ingberter Sportvereine empfangen die Flüchtlinge mit offenen Armen. Bei der DJK-SG nehmen sie an zwei Trainingsgruppen teil. Die erste Gruppe, die die neuen Sportler aufnahm, war der Lauftreff von Monika Kulicke-Günther. Vier interessierte Eritreer zwischen 19 und 40 Jahren laufen jetzt regelmäßig in der Wettkampfgruppe der Männer . Eine Bekannte von Kulicke-Günther hat ihr berichtet, das die Afrikaner noch die Schnellsten des Lauftreffs in Badelatschen und Jeans abgehängt haben. Beim Solilauf lief einer von ihnen bereits über 60 Kilometer. Die Ausstattung war das größte Problem der talentierten neuen Teilnehmer der Gruppe. Doch die Mitglieder des Lauftreffs wollten ihre sympathischen Neulinge nicht aus diesem Grund auf der Strecke lassen. Sie starteten eine Sammelaktion für gebrauchte Sportkleidung und Laufschuhe, die die Flüchtlinge dankbar annahmen. Kulicke-Günther plant, sie auch außerhalb des Trainings zu integrieren. "Wir treffen uns immer zwei- bis drei Mal im Jahr und gehen mit den Läufern etwas trinken. Ich habe die Männer der Gruppe gebeten, die Eritreer mitzunehmen", erzählt sie. Da die Läufer so laufstark sind, hat sie sie zusätzlich zum Leichtathletik-Training von Manfred Kohler geschickt. Auch er berichtet, dass die Afrikaner sehr motiviert und eifrig trainieren. "Sie haben mehr gemacht, als sie mussten", sagt er. Mit dem Wechsel der Trainingsstätte vom Wallerfeld in die Turnhalle des Leibniz-Gymnasiums habe sich das Projekt aber leider ein wenig zerschlagen. Der Trainer hofft jedoch, dass er die Talente wiedergewinnt.

Viele der Flüchtlinge sind nicht nur gute Läufer, sondern spielen auch gerne Fußball. An einem Sonntag bolzten etwa 25 auf dem Platz der DJK, berichtet Norbert Biller. Er sprach sie an. Seitdem trainieren die Fußballbegeisterten in einer eigenen Gruppe bei der DJK. Das Niveau der Spieler ist dabei sehr unterschiedlich. Das Training findet nach Möglichkeit dienstags und donnerstags statt. Die Zahl der Teilnehmer schwankt zwischen sieben und vierzehn Personen. Auch hier war das größte Problem die Ausstattung. Wie bei der DJK-SG fand sich ausreichend gebrauchte Sportkleidung, nur an Pullovern und Trainingsjacken für die kalte Jahreszeit mangelt es noch. "Aber das werden wir auch irgendwie stemmen", meint der Trainer zuversichtlich. Über Kleiderspenden würde der Verein sich freuen.

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