St. Wendel Zurück zum Kerngedanken Europas

St. Wendel · Gemeinsam stark: Deutschlands Zukunft lag und liegt in der EU. Das ist die Quintessenz des 28. St. Wendeler Wirtschaftstages.

 Ihre Stimme kennen viele aus dem Radio: Verena Sierra moderierte den 28. St. Wendeler Wirtschaftstag. Das Foto zeigt sie im Gespräch mit Landrat Udo Recktenwald, der den Wirtschaftstag im städtischen Saalbau eröffnete.

Ihre Stimme kennen viele aus dem Radio: Verena Sierra moderierte den 28. St. Wendeler Wirtschaftstag. Das Foto zeigt sie im Gespräch mit Landrat Udo Recktenwald, der den Wirtschaftstag im städtischen Saalbau eröffnete.

Foto: B&K/Bonenberger/

„Wer Visionen hat, der muss nicht zwingend zum Arzt gehen“, befand St. Wendels Landrat Udo Recktenwald (CDU). Damit widersprach er zeitversetzt Altkanzler Helmut Schmidt, der genau das einst empfohlen hatte. Und er widersprach mit guten Grund, denn ohne die Vision eines Freizeitsees mitten im Nordssarland, würde es heute keinen Bostalsee geben. „Damals haben einige gesagt, die sind verrückt, hier einen Freizeitsee anlegen zu wollen“, blickte Recktenwald bei der Eröffnung des 28. St. Wendeler Wirtschaftstages, gemeinsam veranstaltet vom Landkreis und der Kreissparkasse St. Wendel, mehr als 40 Jahre in die Vergangenheit. Denn so alt ist der See beziehungsweise die Vision davon.

Heute ist der Bostalsee Realität und Schwungscheibe des Tourismus im St. Wendeler Land. Das zählte im vergangenen Jahr mehr als eine Million Übernachtungen – ein Drittel der Übernachtungszahlen des ganzen Landes. Somit tragen Gäste von außerhalb inzwischen gehörig dazu bei, dass es dem Landkreis  wirtschaftlich vergleichsweise gut geht. Die Arbeitslosenzahl liegt nach Angaben der Agentur für Arbeit bei 3,4 Prozent. „Vollbeschäftigung“, nennt das Recktenwald. „Das zeigt, dass es uns gelungen ist, den Strukturwandel erfolgreich zu bewältigen.“ Zwar wäre es vermessen zu behaupten, es sei alles zum Besten bestellt, sagte der Landrat, „aber ein Ungerechtigkeitsgefühl ist im Landkreis kein Thema“, erklärte er und verriet die vier Erfolgsgeheimnisse des St. Wendeler Landes. Erstens gebe es eine „nach wie vor funktionierende Sozialstruktur“. Zweiter Punkt sei die Wirtschaftsstruktur mit vielen klein- und mittelständigen Unternehmen. Drittens besetze St. Wendel Zukunftsthemen und achte auf nachhaltige regionale Entwicklung. Und viertens: „Politische Stabilität, quer durch alle Kommunen“ zählte Recktenwald dem Publikum im gut gefüllten Saalbau auf. Nun hörten die zahlreichen geladene Gäste das sicherlich gerne, darunter Politiker, Geschäftsleute und Unternehmenslenker – allerdings war es wie mit einer guten Vorgruppe: Es gab freundlichen Applaus. Gekommen waren die meisten jedoch, um den Worten des Top-Acts zu lauschen: Gastredner Wolfgang Bosbach.

Der Politiker und Rechtsexperte ist seit 1972 Mitglied der CDU und galt dort als konservativer Rebell und unabhängiger Geist. In St. Wendel begann er seinen Vortrag mit einer Bestandsaufnahme: Obwohl es Deutschland aktuell wirtschaftlich ausgesprochen gute gehe, habe er manchmal den Eindruck, dass die Deutschen zu kritisch auf ihr Land und ihre Mitmenschen blickten. In diesem Zusammenhang habe er sich „sehr geärgert“ über den politischen und medialen Aufschrei auf Annegret Kramp-Karrenbauers (CDU) Verteidigungsrede vor dem Stockacher Narrengericht. „Wenn wir sonst keine Probleme haben, geht es uns doch richtig gut.“ Doch der Deutsche blickt eben gerne auf die Rückseite der Medaille. „Für jede Lösung ein Problem“, heiße oft das Motto. „Und wenn wir mal Licht am Ende des Tunnels sehen, verlängern wir den Tunnel.“ Dabei habe Deutschland Beeindruckendes geleistet. Und das nicht nur seit der Wiedervereinigung – aber auch. „Toll, was wir in den vergangenen 30 Jahren als Gemeinschaftsleistung geschafft haben.“ Blühende Landschaften, erinnert er an eine Weissagung des Altkanzlers Helmut Kohl (CDU), gebe es heute tatsächlich vielerorts im Osten.

Aber dennoch gebe es politische und gesellschaftliche Verwerfungen. Bosbach sprach von „turbulente Zeiten“. Der Niedergang der Sozialdemokratie in Deutschland („Ich habe keine Freude daran“) und Europa, der Populismus feiere „fröhliche Urstände“ und obenauf der Brexit. Dabei sei es richtig, dass die Europäische Union Großbritannien nicht weiter entgegenkomme. „Putzig“ nennt er die Briten, die „die EU verlassen, aber alle Vorteile behalten möchten.“ Das gehe nicht. Der Schritt der Briten sei für ihn übrigens kein gangbarer Weg. Denn wer sich die Weltlage ansehe, dem müsse klar sein, dass ein europäisches Land „politisch marginalisiert“ wird, wenn es der Gemeinschaft den Rücken kehrt. „Natürlich gibt es nationale Interessen, aber die vertritt man besser in der Gemeinschaft“.

Insgesamt müsse man auf dem alten Kontinent aber zurück „zum Kerngedanken Europas. Denn im Grunde ist Europa ein Projekt des Friedens“. Man gehe nicht mehr mit einer Waffe in der Hand auf einen Feind los, sondern mit offenen Armen auf einen Freund zu.

 Kräftigen Applaus spendete das Publikum Gastredner Wolfgang Bosbach beim 28. St.Wendeler Wirtschaftstag im städtischen Saalbau.

Kräftigen Applaus spendete das Publikum Gastredner Wolfgang Bosbach beim 28. St.Wendeler Wirtschaftstag im städtischen Saalbau.

Foto: B&K/Bonenberger/

Nun gelte es die Zukunft zu gestalten. Angstfrei und ohne Populismus. Dem Gespenst des Populismus begegnet man seiner Ansicht nach übrigens am besten mit einer gesunden Diskussionskultur. In der Gesellschaft und in den Parlamenten – damit sich die Menschen mit ihren Sorgen, Nöten und Ansichten in den Debatten auch wiederfinden. Alternativlos sei nichts. Es gebe immer verschiedene Wege – und welcher der beste sei, darum müsse immer wieder gerungen werden.

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