SZ-Wochenkolumne Keine Zeit zu verlieren

St. Wendel · Gedanken zum ersten bundesweiten Warntag seit der Wiedervereinigung.

 Thorsten Grim

Thorsten Grim

Foto: SZ/Robby Lorenz

Am 3. Oktober vor 30 Jahren kam zusammen, was zusammen gehörte: DDR und BRD – nicht ganz ein Jahr nach der friedlichen Revolution und dem damit einhergehenden Fall der Mauer. Deutschland, einig Vaterland. Drei Jahrzehnte später ist im wiedervereinigten Deutschland zwar längst nicht alles perfekt und sind die Lebensverhältnisse (und Löhne) noch immer auf ungleichem Niveau. Aber wir können dennoch insgesamt stolz darauf sein, was wir seither bewerkstelligt haben. Das gilt aber nicht nur für Deutschland. Schließlich war der Fall des Eisernen Vorhangs mehr als nur deutsche Geschichte. Das Tauen der beiden großen Blöcke veränderte Europa, ja die ganze Welt. Nicht wenige hofften seinerzeit, dass mit dem Ende des Ost-West-Konflikts alle großen Auseinandersetzungen auf dem Planeten ebenfalls enden würden. Sogar die Abschaffung von Bundeswehr und Nato wurde debattiert. Das ist nicht passiert. Wenngleich die im Kalten Krieg permanent hochgehaltene Alarmbereitschaft zunächst deutlich runtergefahren wurde: Bunker wurden außer Dienst gestellt, die Truppe wurde verkleinert, später die Wehrpflicht auf Eis gelegt. Auch der Katastrophen- und Zivilschutz in Europa und Deutschland wurde stark zurückgefahren – man sah schlicht nicht mehr die Notwendigkeit dafür. Die Verantwortung für Schutzmaßnahmen wurde auf niedrigere Verwaltungsebenen übertragen oder an freiwillige Projekte übergeben. Inzwischen wissen wir: Bedauerlicherweise hat sich unsere Welt nicht ganz so entwickelt wie seinerzeit erhofft. Immer öfter drängt sich heute das Gefühl auf, dass wir 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges dem Ausbruch eines dritten globalen Schlachtens näher stehen als dem nicht nur 1990 herbeigesehnten Weltfrieden. Damit nicht genug: Extreme Wetterereignisse und Naturkatastrophen häufen sich. Zudem führt uns das Coronavirus vor Augen, dass wir trotz allen Fortschritts keineswegs vor globalen Seuchen gefeit sind – im Gegenteil. Kurz: Die Herausforderungen und Ungewissheiten nehmen augenscheinlich zu. Von daher ist es gut und richtig, die Bevölkerung wieder stärker für mögliche Bedrohungsszenarien zu sensibilisieren. Der erste bundesweite Warntag seit der Wiedervereinigung war dafür ein Baustein. Weitere müssen kommen, hat dieser Tag doch gezeigt, dass einiges im Argen liegt. Das betrifft die Sirenen, die nicht mehr vorhanden sind oder nicht von den Leitstellen aus angesteuert werden können. Das betrifft die Bevölkerung, die zum großen Teil die jeweiligen Sirenen-Signale nicht mehr zu deuten weiß. Das gilt für die Vielzahl scheinbar nicht kompatibler Warn-Applikationen auf mobilen Endgeräten. Das gilt für die offenbar zu schnell an Belastungsgrenzen stoßenden Mobilfunknetze. Es gibt also viel zu tun. Wir sollten es zügig angehen.

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