Warum die gymnasiale Oberstufe so wichtig ist

Der St. Wendeler Schulstreit, der in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen beherrscht hat, hat viele Facetten. Alle weiterführenden Schulen wollen vor dem Hintergrund, dass in den kommenden Jahren die Schülerzahlen stark zurückgehen, ihre Position stärken und sichern. So ist der Schulstreit auch ein Verteilungskampf um die Schüler

Der St. Wendeler Schulstreit, der in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen beherrscht hat, hat viele Facetten. Alle weiterführenden Schulen wollen vor dem Hintergrund, dass in den kommenden Jahren die Schülerzahlen stark zurückgehen, ihre Position stärken und sichern. So ist der Schulstreit auch ein Verteilungskampf um die Schüler. Beeinflusst wird dieser durch die Ankündigung des Bildungsministeriums, neben den Gymnasien auch das Abitur nach neun Jahren auszubauen und der Sondersituation in St. Wendel. Hier dürfen seit letztem Jahr die beiden Gesamtschulen erstmalig an den Schulstandorten die Oberstufenschüler zum Abitur führen. Im Folgenden starten wir den Versuch, die Standpunkte darzustellen.Die Sicht der LandesregierungBildungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat unter dem Titel "Aufstieg durch Bildung" in ihrer Regierungserklärung vom 10. September das Ziel ausgegeben, neben dem klassischen Abitur an Gymnasien für die Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen ebenfalls einen klaren Weg zum Abitur nach neun Jahren zu schaffen. An Gymnasien erfolgt die Abiturprüfung ja nach acht Jahren (G8). Schüler der Gesamtschulen konnten schon bisher das Abitur machen, in St. Wendel bis letztes Schuljahr in Zusammenarbeit mit den Gymnasien Wendalinum und Cusanus. Für das Abitur nach neun Jahren (G9) sieht der Vorschlag der Landesregierung Schulverbundsysteme vor. Schulen sollen hier in der Oberstufe miteinander kooperieren. So könnten zum Beispiel die Realschulen, aber auch die Gesamtschulen mit den Gymnasien zusammenarbeiten oder mit dem derzeitigen beruflichen Gymnasium am Berufsbildungszentrum St. Wendel, aus dem dann ein Oberstufengymnasium entstehen würde. Das heißt, in diesem Oberstufengymnasium gibt es nur die Klassenstufen 11, 12, 13. Die Änderung der OberstufenordnungDie Landesregierung hat die gymnasiale Oberstufe reformiert und das Kursangebot gestrafft. Die Schüler müssen aus den Fächern Mathematik, Deutsch und Fremdsprache zwei E-Kurse wählen, früher hießen diese Leistungskurse. Das dritte Fach wird zum Grundkurs. Hinzu kommen eine Anzahl weiterer Grundkurse. Zum Beispiel: Entscheidet sich ein Schüler für Deutsch oder Mathe als E-Kurs, muss er eine Fremdsprache im G-Kurs machen. Und natürlich eine Anzahl weiterer Grundfächer belegen. Diese Straffung hat den Vorteil, dass auch kleinere Schulen eine gymnasiale Oberstufe anbieten können.Der Sonderfall St. Wendeler LandSeit Jahren bieten die beiden Gesamtschulen in Türkismühle und Marpingen in Zusammenarbeit mit den Gymnasien den Weg zum Abitur an. Die Klassenstufe elf wurde dabei an beiden Schulen unterrichtet, die Klassenstufen 12 und 13 in St. Wendel. Schüler und auch Lehrer fuhren dann nach St. Wendel. Für das laufende Schuljahr hat das Bildungsministerium beiden Gesamtschulen als einzige im Saarland erlaubt, die Schüler der Klassenstufe zwölf in Türkismühle und Marpingen zu unterrichten, in der so genannten Hauptphase der Oberstufe. In der Genehmigung heißt es zum Beispiel für Marpingen, dass die Schüler, die im Schuljahr 2008/2009 in die Hauptphase der gymnasialen Oberstufe eintreten, am Standort der Gesamtschule Marpingen unterrichtet werden können, ohne dass zusätzlicher Lehrerbedarf notwendig wird. Und weiter: "An der grundsätzlichen Kooperation mit der Gesamtschule Nohfelden/Türkismühle und den Gymnasien in St. Wendel ändert sich hierdurch nichts, da bei geringeren Schülerzahlen eine gemeinsame Unterrichtung wieder notwendig werden könnte." Für Türkismühle gilt die Genehmigung analog. Diese Sonderregelung hat zur Folge, dass seit diesem Schuljahr im Landkreis St. Wendel an sieben Schulstandorten das Abitur gemacht werden kann, an den drei Gymnasien, dem beruflichen Gymnasium, den beiden Gesamtschulen und auch der privaten Waldorfschule in Walhausen.Die Sicht der GesamtschulenDie Ankündigung der Bildungsministerin, diese Sonderregelung für die beiden Gesamtschulen im St. Wendeler Land nicht fortzuschreiben, hat zu Protesten der Gesamtschulen geführt. Sogar in Saarbrücken demonstrierten Schüler der beiden Schulen während einer Sitzung des Landtages. Vollversammlungen beider Schulen haben sich für die Fortführung der Oberstufe ausgesprochen. Ihre Argumente: Wir haben eine ausreichende Zahl von Schülern für die gymnasiale Oberstufe. Wir haben die Lehrer, die unterrichten dürfen und auch die notwendigen Räume. So sind in Marpingen vor einigen Wochen zwölf Klassenzimmer frei geworden, weil die Grundschule ausgezogen ist. Bei einem Wechsel müssten sich die Schüler zudem neu orientieren. In der Gesamtschule Marpingen werden 944 Schüler unterrichtet, 272 kommen aus dem Landkreis Neunkirchen. In Türkismühle sind es 821 Schüler, 164 kommen aus Rheinland-Pfalz. Mit einer Oberstufe am Schulstandort fällt es den Gesamtschulen leichter, diese Schüler zu halten. Zumal die Konkurrenz größer wird. So bietet Rheinland-Pfalz die Realschule plus an, die zur Fachhochschulreife führt.Die Sicht der Erweiterten RealschulenGute Schüler der Erweiterten Realschulen konnten auch bisher nach der mittleren Reife ihr Abitur machen, allerdings an einer anderen Schule. Die Realschulen teilten ihre Schüler früher ab Klassenstufe sieben in Hauptschüler und Mittlere-Reife-Schüler ein. Diese frühe Differenzierung war ein Nachteil gegenüber den Gesamtschulen. Mittlerweile ist dies geändert. Die Differenzierung erfolgt in jedem Halbjahr neu. Darüber hinaus werden die besten Realschüler gezielt in A-Gruppen oder A-Klassen für den Weg zum Abitur vorbereitet. Auch dies analog zu den A-Kursen an Gesamtschulen. Diese Unterschiede zwischen den beiden Schulformen sind also verschwunden. Bisher gab es an den Realschulen auch keine Klasse elf. Aber auch dies ist nun grundsätzlich möglich, wenn die Schülerzahl stimmt. Die Realschulen sehen nun in der gymnasialen Oberstufe an Gesamtschulen eine Bevorzugung der Gesamtschulen. Sie befürchten, dass die Gesamtschulen ihnen damit nicht nur nach Klasse zehn die Schüler abziehen, sondern schon ab Klasse 5. Gemäß dem Motto: Warum später wechseln, dann schicke ich gleich mein Kind dahin. Gerade für die kleinen Realschulen in Namborn-Oberthal und Nonnweiler könne dies fatale Folgen haben. Deshalb fordern die Realschulen eine Gleichbehandlung aller Schulformen. Auch hier ein Blick auf die Schülerzahlen: St. Wendel: 335, Freisen: 627, Theley: 708, Oberthal: 226, Nonnweiler: 184.Die Sicht der GymnasienIn der öffentlichen Diskussion haben sich die Gymnasien bisher zurückgehalten. Allerdings haben die drei Gymnasien in St. Wendel einen Brief an die Bildungsministerin geschrieben, der der SZ vorliegt. Darin schreiben sie, dass die Gymnasien nichts gegen die Einrichtung von Oberstufen an Gesamtschulen haben, allerdings müssten die Bedingungen für alle gleich sein. So kritisieren sie, dass an der Gesamtschule Marpingen zum Beispiel Grundkurse genehmigt worden seien, die weniger als zehn Schüler, zum Teil nur vier bis sechs Schüler hätten, wobei Kursgrößen von 15 bis 25 Schüler vorgeschrieben seien. Hier seien Kurse zugelassen worden, die im Bereich der Gymnasien nie genehmigt worden wären. Von einer Gleichbehandlung beider Schulformen könne da keine Rede sein. Wenn es darüber hinaus richtig sei, dass bei der Berechnung der notwendigen Lehrerstunden an beiden Schulformen unterschiedliche Bemessungsgrundlagen festgelegt worden seien, dann sei dies eine Wettbewerbsverzerrung und eine weitere Benachteiligung der Gymnasien, so deren Argumentation. Auch hier ein Blick auf die Schülerzahlen: Am Gymnasium Wendalinum werden 772 Schüler unterrichtet, am Cusanus-Gymnasium 861, das Arnold-Janssen-Gymnasium in Trägerschaft der Steyler Missionare zählt mehr als 900 Schüler. Im beruflichen Gymnasium am Berufsbildungszentrum sind es 98 Schüler, 49 in Klassenstufe 11, 49 in 12.Die demographische EntwicklungDie Schülerzahlen werden in den kommenden Jahren drastisch zurückgehen. 1992 kamen im Landkreis St. Wendel 1034 Kinder zur Welt. Das ist die Altersstufe, aus der jetzt ein Teil in die gymnasiale Oberstufe eintritt. Im Landesdurchschnitt machen nach einer Auswertung des Landtages 26 Prozent der Schüler Abitur. Bei 1034 wären es dann 267. Und dies verteilt auf mittlerweile sieben gymnasiale Oberstufen (wobei Schüler aus anderen Landkreisen und Rheinland-Pfalz hier nicht mitgerechnet sind). 2007 wurden im Landkreis St. Wendel 609 Kinder geboren, 41 Prozent weniger als 1992. Bei 26 Prozent wären dies in 15 Jahren 158 Kinder, die sich für eine gymnasiale Oberstufe entscheiden.Die politische Diskussion Die Politiker und Bürgermeister, egal welcher Partei, haben sich hinter ihre jeweilige weiterführende Schule gestellt. Dort, wo die Gesamtschulen sind, fordern diese die Weiterführung der Oberstufe. Dort, wo es Realschulen gibt, fordern sie ein Ende der Sonderregelung, da sie Nachteile für ihre Schulen und zum Teil ihre Standorte gefährdet sehen. Landrat Udo Recktenwald hat sich grundsätzlich für eine Kooperation der Schulen und weniger gymnasiale Oberstufen ausgesprochen. Er sieht aber auch, dass mit der Sonderregelung für die Gesamtschulen Fakten geschaffen wurden. Gleichzeitig benachteilige das die Realschulen. Deshalb schlägt er vor, die Oberstufe an den Gesamtschulen zu lassen und weitere an den Realschulen einzurichten. All dies in einer Übergangsphase, solange die Schülerzahlen dies ermöglichen. Statt an weniger Schulen könnten dann bald an noch mehr Standorten Abitur gemacht werden. Die CDU-Fraktion im Kreistag hat ihre Zustimmung schon signalisiert. Die SPD-Fraktion hat Mitte der Woche ihr Votum für den Erhalt der Oberstufe an Gesamtschulen angekündigt. Wie geht es weiter: Der Kreistag befasst sich in einer Sondersitzung an diesem Mittwoch, 3. Dezember, 16 Uhr, im Sitzungssaal des Landratsamtes mit diesem Thema und gibt eine Empfehlung ab. Die Entscheidung trifft das Bildungsministerium. Meinung

Eine Lösung auf Zeit

Von SZ-Redakteur Volker Fuchs Landrat Udo Recktenwald spricht im Streit über die gymnasiale Oberstufe an Gesamtschulen von einem schwer auflösbaren Konflikt. Recht hat er. Denn mit der Ausnahmeregelung für die beiden Gesamtschulen im Landkreis St. Wendel sind Fakten geschaffen worden. Fakten, die sich nicht leugnen lassen. Auch wenn es so mancher möchte, die Uhr um ein Jahr zurückdrehen, das geht nicht. Dann nämlich hätten alle den Ausbau des Weges zum Abitur nach neun Jahren begrüßt. Jetzt aber ist die Diskussion um das G9 zu einem Verteilungskampf der weiterführenden Schulen geworden. Jede Schule will sich bei zurückgehenden Kinderzahlen einen Standortvorteil sichern. Wobei die kleinen Erweiterten Realschulen in Nonnweiler und Namborn-Oberthal schon jetzt schlechtere Karten haben.An sieben Schulstandorten im Landkreis St. Wendel Abitur zu machen, macht auf Dauer keinen Sinn. An neun und mehr noch weniger. Trotzdem hat der Vorschlag des Landrates etwas für sich. Er verschafft Zeit. Zeit, dieses viel zu wichtige Thema aus dem Dauer-Wahlkampfjahr 2009 herauszuhalten. Zeit über die Übergangsphase hinaus vernünftige Lösungen zu finden, die Zukunft haben. Eine könnte ja auch zum Beispiel in einer gemeinsamen Oberstufe einer Gesamtschule und Erweiterten Realschulen bestehen. Eine Lösung, die in der Hitze der laufenden Debatte wohl keine Chance hätte. Eins ist jedoch schon jetzt klar, wenn die Kinder, die jetzt geboren werden, die Klassenstufe zehn erreicht haben, sieht die gymnasiale Landschaft im Landkreis wieder anders aus.

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Der St. Wendeler Schulstreit!Über die gymnasiale Oberstufe an den beiden Gesamtschulen im Landkreis, über die Gleichbehandlung aller weiterführen Schulen ist in den vergangen Tagen heftig diskutiert worden. Die SZ hat die Fakten und unterschiedlichen Ansi
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