Blick in die Geschichte Dunkle Geschichte eines unscheinbaren Hauses

Theley · Das heutige Vereinsheim der Theleyer Obst- und Gartenbauer diente einst als Zwangsarbeiterlager für sowjetische Frauen und Männer.

 Ein Schild an dem Steinhaus in Theley weist auf die heutige Nutzung durch den örtlichen Obst- und Gartenbauverein hin.

Ein Schild an dem Steinhaus in Theley weist auf die heutige Nutzung durch den örtlichen Obst- und Gartenbauverein hin.

Foto: Marion Schmidt

Wer am Ortsausgang von Theley Richtung Primstal ins Gewerbegebiet am Keltenweg einfährt, passiert schon bald ein eingeschossiges, barackenähnliches Steingebäude. Ein Schild an einer Hauswand weist auf die Nutzung durch den örtlichen Obst- und Gartenbauverein hin. Dass hier zur Nazi-Zeit schreckliche Menschenschicksale besiegelt wurden, wissen nur die Wenigsten. Auch gibt keine Tafel Aufschluss über die historische Dimension des Gebäudes. „Als ich im Oktober vergangenen Jahres das heutige Gebäude im Keltenweg fotografierte, fragte mich eine Passantin überrascht, warum ich dieses unscheinbare Haus fotografiere. Wie viele Vorbeigehende wusste sie nichts von dem früheren Zwangslager“, erinnerte sich Volker Munkes. Damit sich das ändert und die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, forscht der Hasborner seit beinahe 40 Jahren über das Zwangsarbeiterlager in Theley. Stummer Zeuge dieses Lagers ist heute eben jenes Gebäude im Keltenweg. „Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist wichtig, damit das nicht noch einmal passiert“, erklärte Tholeys Bürgermeister Hermann Josef Schmidt (CDU) in seiner Begrüßung. Die Volkshochschule Theley hatte zu dieser Veranstaltung geladen. Etwa 200 Besucher waren gekommen.

Volker Munkes ist es ein besonderes Anliegen, die Geschichte des Zwangsarbeiterlagers in Theley ins Bewusstsein zu rufen. Denn auch hier manifestierten sich die menschenverachtenden Taten des Nazi-Regimes. Dort, wo heute in einem Gebäude im Keltenweg der Obst- und Gartenbauverein Theley beheimatet ist, wurden von 1942 bis 1945 sowjetische Frauen und Männer unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Stacheldrahtzäune und Wachtürme sollten die Deportierten in Schach halten. Harte Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen gegen die Regeln prägten den Alltag. Sanktionen hatte auch die Bevölkerung zu befürchten, wenn sie den Inhaftierten helfen wollte.

 200 Zuhörer kamen zu dem Vortrag von Volker Munkes.

200 Zuhörer kamen zu dem Vortrag von Volker Munkes.

Foto: Marion Schmidt

Mitte 1943 habe der Kriegsverlauf einen verstärkten Arbeitseinsatz der Inhaftierten verlangt, erzählte Munkes. Die für das wohl stark überfüllte Theleyer Lager dokumentierten hohen Sterberaten lassen die katastrophalen Lebensumstände und Arbeitsbedingungen erahnen. Viele überlebten die Lagerhaft nicht. Der Referent berichtete von der anfänglichen Praxis, arbeitsunfähige Zwangsarbeiter wieder in ihre Heimat abzuschieben. Später habe man Kranke und Arbeitsunfähige aus Theley in die Heilanstalt Klingenmünster oder in die Vernichtungsanstalt Hadamar gebracht. Bei seinen akribischen Recherchen konnte Volker Munkes anhand von Sterbe-Urkunden die Identität eines Lagerleiters und von Mitgliedern der Wachmannschaft als Tholeyer Bürger verifizieren.

„Ich selbst gehöre mit meinen 65 Jahren schon zu der Generation, die diese Zeit nicht mehr erlebt hat. Heute leben nur noch wenige Zeitzeugen. Die Generationen nach uns werden nur noch über Berichte von dieser Zeit erfahren. Da die Literatur zu den Geschehnissen in unserer Region lückenhaft ist, ist eine gewissenhafte Aufarbeitung jetzt nötig. Das sind wir denen schuldig, die hier leiden mussten“, mahnte Munkes. Er erinnerte an frühere Publikationen, die über das am westlichen Ortsrand von Theley befindliche Lager berichteten. So schilderte Bernhard Schirra in seinem 1985 erschienen Roman „Am Rande des Abgrunds“ das Lagerleben in seiner letzten Phase. Auch Tholeys früherer Bürgermeister Toni Schäfer sei in den 1990er-Jahren in einer Publikation auf das Zwangsarbeiterlager und die Situation nach Ende des Krieges eingegangen.

Munkes beleuchtete auch die Zeit nach 1945, als im Oktober der französische Militär-Gouverneur des Saarlandes den Auftrag zur Einrichtung eines Internierungslagers für NS-Belastete in den Baracken am Keltenweg erteilte. 2400 Personen, die Mitglied in einer Nazi-Organisation waren, sollen dort inhaftiert gewesen sein. Zu den bekanntesten Gefangenen zählen der ehemalige, 1946 zum Tode verurteilte, badische Gauleiter Robert Wagner und der ehemalige Saarbrücker Oberbürgermeister Fritz Schwitzgebel.

Für Volker Munkes ist die Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels unserer Geschichte eine Herzensangelegenheit. Das spürte man bei seinem Vortrag. Mit Nachdruck ließ er die Zuhörer an seinen Recherchen teilhaben und hinterlegte seine wohl gewählten Worte mit viel historischem Bildmaterial. „Erst durch Visualisierung begreift man das Ausmaß der im Theleyer Lager verstorbenen Menschen“, erläuterte er das Konzept eines virtuellen Friedhofs, den er in seine Präsentation eingebaut hatte. Mit Namen von Verstorbenen versehene Grabsteine blendete er wortlos ein und ließ sie auf die Zuhörer wirken. Auf dem Jüdischen Friedhof, der auf einer Anhöhe zwischen Tholey und Theley liegt, seien 75 Zwangsarbeiter bestattet, 27 Zwangsarbeiter auf dem Thelyer Gemeindefriedhof. „Damit morgen nicht wieder geschieht, was wir gestern geschehen ließen, deswegen ist die Aufarbeitung unserer Geschichte wichtig“, erläuterte der Referent seine Motivation zu seinen Recherchen, die er auch in diesem Jahr fortsetzen wird.

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