Wochenkolumne Raus aus dem Alltagstrott

Es ist alle Jahre wieder wie das Erwachen aus einem Rausch. Gerade noch saßen all überall auf den Tannenspitzen Engel, hing der Himmel voller Glocken, leuchteten Hundertausende Lämpchen gegen das winterliche Dunkel an.

 Thorsten Grim

Thorsten Grim

Foto: SZ/Robby Lorenz

Es herrschte Friede den Menschen seiner Gnade. Doch kaum ist das neue Jahr da, ist schlagartig Schluss mit Besinnlichkeit. Als hätte er mit seinen Kumpels Stress und Hetze nur um die Ecke herum gelungert, ist er schlagartig wieder da, der Alltagstrott. Ob wir wollen oder nicht, rücken Pflicht und Arbeit – oder umgekehrt – wieder auf die vorderen Plätze der Prioritätenliste. Wir schalten auf Autopilot und erledigen routiniert und so gut es eben geht die an uns gestellten Forderungen. Dabei verrinnen die Stunden und Tage unserer Lebenszeit wie im Flug. Klar, Routine ist auch gut. Sie hilft uns, Handeln zu strukturieren. Sie gibt uns Sicherheit und kann unserem Wohlbefinden, unserer Produktivität und Motivation dienen. Aber sie kann eben auch dazu führen, dass wir blind werden für das Besondere, das allem Geschaffenen innewohnt. Daher ist es gut, wenn wir die Routine ab und an durchbrechen und versuchen, die Welt wieder mit Kinderaugen und -ohren wahrzunehmen. Es gleicht quasi einer Achtsamkeitsübung, beispielsweise eine Blume in all ihren Facetten eingehend zu betrachten. Oder dem Gluckern eines Bächleins intensiv zu lauschen – und dann auch mal in das Fließgewässer hineinzulangen, um das Element tatsächlich auf der eigenen Haut zu spüren. Bewusst zu fühlen, wie der Wind einem im Haar spielt – statt es einfach nur wahr- und hinzunehmen. Frische Blätter anzufassen, sie blinzelnd gegen das Sonnenlicht zu halten, um staunend das feine Adernwerk zu betrachten. Die Zeichnungen eines schön strukturierten Steines zu begutachten, den man gerade irgendwo am Wegesrand aufgelesen hat. Alles Dinge, die keinen materiellen Gewinn bringen und daher im Alltagstrott oft routiniert auf der Strecke bleiben. Das soll in diesem Jahr anders sein, das habe ich mir fest vorgenommen.

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