Zum Karrierende einer Ausnahmesportlerin Ein letztes Mal das maximal Mögliche

St. Wendel · Der größte Erfolg von Sabine Spitz war der Olympiasieg. Aber auch sonst konnte sie zahlreiche Titel einheimsen. Einige davon in St. Wendel.

 So sehen Sieger aus: Am 17. Mai 2008 verteidigte Sabine Spitz in St. Wendel den EM-Titel und genoss den Applaus bei der Zieldurchfahrt.

So sehen Sieger aus: Am 17. Mai 2008 verteidigte Sabine Spitz in St. Wendel den EM-Titel und genoss den Applaus bei der Zieldurchfahrt.

Foto: atb-thiry/atb-thiry/Fotograf-Fr Klos

Kommenden Sonntag endet eine große Radsport-Karriere: Sabine Spitz, Olympiasiegerin von Peking, steigt nach der Mountainbike-Weltmeisterschaft im schweizerischen Grächen (Wallis) aus dem Sattel. Auch in St. Wendel, zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehrfach Gastgeber internationaler Querfeldein- und Mountainbike-Rennen, war die 47-Jährige gern und oft gesehener Gast. Gemeinsam mit SZ-Redakteur Thorsten Grim blickt Spitz auf mehr als zweieinhalb Jahrzehnte in der Weltspitze zurück.

Frau Spitz, Sie haben angekündigt, nach der WM in der Schweiz ihr Fahrrad an den Nagel hängen zu wollen. Spüren Sie schon Abschiedsschmerz oder freuen Sie sich nach mehr als 25 Jahren Leistungssport darauf, bald die Beine hochlegen zu können?

Sabine Spitz An den berühmten Nagel hänge ich mein Mountainbike ja nur insofern, als dass ich keine Rennen mehr unter leistungssportlichen Aspekten bestreite. Die Passion Mountainbike bleibt aber. Dennoch freue ich mich darauf, wenn ich dem Diktat des Trainingsplans und dem Druck des Erfolges nicht mehr unterworfen sein werde. Ich habe immer gesagt, ich fahre, solange der Spaß und die Motivation da sind und die Gesundheit mitmacht. Dieses Jahr habe ich gespürt, dass es Zeit ist, mich vom Leistungssport zu verabschieden. Es ist eine faszinierende Sportart, die wie keine zweite Natur, Fitness und Erlebnis miteinander verbindet. Diese Botschaft und die Faszination Mountainbike will ich zukünftig auch weitergeben und werde deshalb dem Sport weiterhin verbunden bleiben. Also das „Beine hochlegen“ muss noch etwas warten.

Bei der Deutschen Meisterschaft Anfang September sind sie noch einmal aufs Podium gefahren. Sind Sie zufrieden mit Bronze?

Spitz Ja. Es ging mir darum, mich noch einmal in einer maximalen Form zu zeigen – auch den Fans in Deutschland. Von daher bin ich zufrieden, dass bei meiner letzten Teilnahme an einer deutschen Meisterschaft ein dritter Platz herausgekommen ist.

Am Wochenende steht mit der WM in der Schweiz das letzte Rennen Ihrer Profi-Karriere an. Was haben Sie sich für Grächen vorgenommen?

Spitz In Grächen wird die Anforderung eine ganz andere sein, als bei der DM in der Vulkaneifel. Die Strecke stellt sich ganz anders dar, aber die Zielsetzung ist ähnlich wie jetzt bei der DM: Ich will noch ein letztes Mal das maximal Mögliche herausholen. Was es am Ende sein wird, welche Platzierung, das kann ich nicht sagen. Tatsache ist, es wird mein letztes Rennen in der Elite-Kategorie auf internationaler Bühne sein und ich möchte einen schönen Abschluss haben.

Wie sah die Vorbereitung aus?

Spitz Eigentlich galt die der DM. Die Trainingsinhalte zielten auf kurze Anstiege und ein sehr welliges Profil ab. Aber nach der DM hatte ich eine wirklich gute Trainingswoche, die mir bei der WM nochmal bisschen was bringen kann. Dort ist eine ganz andere Situation, die Strecke weist einen ganz anderen Charakter auf. Ich glaube, 70 Kilometer und 3500 Höhenmeter sprechen für sich. Das sind 30 Kilometer weniger als bei der DM, dafür aber 1100 Höhenmeter mehr.

Sie haben in Ihrer Karriere unzählige Male – national und international – auf dem Siegertreppchen gestanden. Sogar die Internet-Enzyklopädie Wikipedia listet nur einen Auszug Ihrer Erfolge auf. Welcher war der wichtigste Titel, welcher der schönste? Beides der Olympiasieg 2008?

Spitz Ja, das war schon der Olympiasieg in Peking. Wobei: Ich finde es eigentlich unmöglich, die einzelnen Titel und Erfolge miteinander zu vergleichen oder gegeneinander abzuwägen. Jeder hat seine eigene Geschichte, seine eigene Faszination. Ich denke da zum Beispiel auch an den EM-Titel im Cross-Country in St. Wendel 2008. Das war eine ganz emotionale Geschichte. Vor dem Heimpublikum den Titel zu verteidigen, war einfach gigantisch. Vor allem wenn man weiß, dass ich damals mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte und es nach der ersten Runde so aussah, als ob ich keine Chance auf eine Medaille hätte. Dieser Titel hat mir extrem viel Kraft gegeben und war sicher ein wesentlicher Faktor für den Olympiasieg drei Monate später. Aber klar, was Bedeutung, Wahrnehmung und auch absoluten sportlichen Erfolg angeht, war das Gold von Peking das Highlight. Ein Olympiasieg ist das Größte, was ein Sportler erreichen kann, und wird für die meisten immer ein Traum bleiben.

Sieht man sich den Wikipedia-Auszug an, taucht da fünf Mal St. Wendel auf. Das Nordsaarland scheint Ihnen zu liegen?

Spitz Die Strecke und auch das Gelände in St. Wendel sind in der Tat gut auf meine Fähigkeiten auf dem Bike zugeschnitten. Ich mochte es immer, wenn die Kurse auch taktisch waren. Dass ich hier meistens gut unterwegs war, lag auch daran, dass die Rennen in St. Wendel für mich immer auch Saisonhöhepunkte waren, auf die ich mich besonders akribisch vorbereitet hatte.

Haben Sie besondere Erinnerungen an die Rennen in St. Wendel?

Spitz Wenn man so oft in St. Wendel am Start war – ich kann gar nicht sagen wie oft – gibt es auch viele Erinnerungen, die besonders sind. Vor allem ist da natürlich meine erste internationale Medaille die ich 2001 bei der EM gewonnen habe. Das war damals ein Riesenerfolg und überhaupt das allererste Edelmetall, das in der Mountainbike-Geschichte nach Deutschland gegangen ist. Oder dieser sensationelle Doppelsieg bei der Cross-WM mit der Unterbringung oben im Missionshaus. Das war einfach gigantisch. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.

Mal weg vom Sport – gab es in St. Wendel Begegnungen, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind? Gibt es besondere Anekdoten? Besondere Menschen?

Spitz Besondere Menschen auf jeden Fall, vor allem besonders offene, freundliche und hilfsbereite. Ich habe mich da sehr wohl gefühlt, sodass es sich für mich immer auch ein bisschen angefühlt hat, wie nach Hause zu kommen. Ein wesentlicher Teil davon war das schon fast familiäre Verhältnis zu den Verantwortlichen. Seien es Klaus Boullion (damals St. Wendeler Bürgermeister; Anm. der red), Rennleiter Thomas Wüst oder andere Personen, die in der Organisation mit dabei waren. Ich hatte ja quasi auch meinen eigenen Fahrer, der mich beispielsweise auf dem schnellsten Weg ins Fernsehstudio nach Saarbrücken gebracht hat. Das war einfach super…

Auch mit inzwischen 47 Jahren sind Sie das Gesicht des MTB-Sports in Deutschland, Sabine Spitz kennt man. Was kommt nach Ihnen?

Spitz Irgendjemand folgt immer nach, da habe ich keine Bedenken, auch wenn die Reihen der hoffnungsvollen Nachwuchssportler in Deutschland überschaubar sind. Aber mit Ronja Eibel aus Albsatdt haben wir im Moment ein ganz großes Talent. Sie hat dieses Jahr im Alter von 20 Jahren den U23 Weltcup gewonnen und fährt jetzt schon so schnell wie die schnellsten der Damen-Elite. Ich glaube sogar, dass sie schon im kommenden Jahr eine reelle Chance auf eine Olympische Medaille hat. Ich kann also guten Gewissens in Rente gehen.

1994 fuhren Sie Ihr erstes MTB-Rennen – wie kann man so lange Leistungssport auf solch einem Spitzenniveau betreiben?

Spitz Mit den richtigen Genen, viel Arbeit, einem guten Körpergefühl und – sehr wichtig – auch dem notwendigen Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen. Dazu muss natürlich die Freude und Motivation da sein, für das, was man tut. Es ist extrem wichtig, auf die Signale des Körpers zu hören, und nur das zu tun, was einem gut tut. Und man darf sich nicht verrückt machen lassen – leider ein häufiges Phänomen. Wichtig ist auch, ein gutes Team um sich zu haben, dem man vertrauen kann. Ohne Trainer, Mechaniker, Partner, Arzt, Physiotherapeut und Osteopath hätte ich nicht so lange so erfolgreich sein können.

Haben Sie mal überschlagen, wie viele Kilometer Sie im Laufe Ihres Radsportlebens durch die Walachei geradelt sind?

Spitz Oh je, da kommt sicher einiges zusammen. . . 27 Jahre, mit im Schnitt zirka 15 000 Kilometern pro Jahr, das müsste in etwa hinkommen – also rund 400 000. . . ich hab’s nicht so mit Statistiken.

Also haben Sie etwa zehn Mal die Erde umrundet – querfeldein. War die Straße nie eine Option für Sie?

Spitz Nicht in dem Sinne, dass ich mich darauf konzentriert hätte. Ich bin ja etliche hochkarätige Straßenrennen und Rundfahrten gefahren, und das durchaus auf einem guten Niveau. Das hat auch Spaß gemacht und war eine schöne Abwechslung. Aber es war immer nur zu Trainingszwecken. Insgesamt betrachtet war das nicht meine Welt, nicht meine Leidenschaft.

Mit 47 Jahren ist man noch etwas jung, um in Rente zu gehen. Was kommt nach dem Leistungssport?

Spitz Jetzt kommt das, was für die Masse der fünf Millionen Deutschen, die häufig auf dem Bike unterwegs sind, am wichtigsten ist: Natur, Bewegung, Erlebnis, Gesundheit und auch Nachhaltigkeit sind da wichtige Stichworte, die das Mountainbiken ausmachen. Diese Werte will ich weitergeben und auch versuchen, die Faszination des Mountainbike-Rennsports anderen zu vermitteln. Leider und völlig zu Unrecht führt dieser Sport in Deutschland nur ein Schattendasein in den Medien. Ich werde zukünftig auch bei RedBull TV die Live-Übertragungen der Mountainbike Weltcups als Expertin co-kommentieren. Dazu kommen ein paar Tourismus-Projekte, Ideen rund um das Coaching von Freizeit- und Profisportlern. Zudem werde ich als Marken-Botschafterin für verschiedene Unternehmen aktiv sein. Also langweilig wird es mir nicht.

Im Reich, so nennen die Saarländer das übrige Bundesgebiet, hat sich inzwischen herumgesprochen, dass man in St. Wendel und dem Nordsaarland richtig gut Urlaub machen kann. Nach dem Ende Ihrer Karriere werden Sie vielleicht bisschen mehr Zeit haben – werden Sie uns mal als Touristin in der Fußgängerzone begegnen?

Spitz Das würde ich auf keinen Fall ausschließen. Wenn es sich ergibt, komme ich sehr gerne wieder einmal nach St. Wendel. Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt und zum Mountainbiken ist es nach wie vor eine tolle Gegend. Es wäre natürlich auch schön, wenn es vielleicht in Zukunft wieder einmal ein MTB-Event in St. Wendel geben würde.

 Mountainbike-Olympiasiegerin Sabine Spitz hat ihr Karriereende angekündigt. Am Sonntag steigt sie ein letztes Mal in den Sattel.

Mountainbike-Olympiasiegerin Sabine Spitz hat ihr Karriereende angekündigt. Am Sonntag steigt sie ein letztes Mal in den Sattel.

Foto: dpa/Fredrik von Erichsen
 Im September 2009 trug sich Sabine Spitz in das Goldene Buch der Stadt St. Wendel ein, zur Freude von Bürgermeister Klaus Bouillon.

Im September 2009 trug sich Sabine Spitz in das Goldene Buch der Stadt St. Wendel ein, zur Freude von Bürgermeister Klaus Bouillon.

Foto: atb-thiry/atb-thiry/Fotograf-Bonenberger
 St. Wendels damaliger Bürgermeister Klaus Bouillon gratuliert Sabine Spitz, Siegerin des MTB-Marathon St. Wendel 2008.

St. Wendels damaliger Bürgermeister Klaus Bouillon gratuliert Sabine Spitz, Siegerin des MTB-Marathon St. Wendel 2008.

Foto: atb-thiry/atb-thiry/Fotograf-Bonenberger

Apropos Mountainbike beziehungsweise Querfeldein und St. Wendel. Der von hier stammende Sascha Weber hat bei der DM das Herrenklassement in einem spannenden Finale gewonnen. Kennen Sie Sascha?

Spitz Ja, klar. Wir haben uns beispielsweise am Freitag vor dem Wettkampf bei der Streckenbesichtigung getroffen und sind die letzten 15 Kilometer bis ins Ziel gemeinsam abgefahren.

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