Zwischen Willkommen und Leere

St Wendel · Als das Netzwerk für Flüchtlinge in St. Wendel vor einem Jahr gegründet wurde, hatte es 57 Mitglieder. Diese sollten sich um 80 Flüchtlinge in der Kreisstadt kümmern. Inzwischen leben hier 379 Vertriebene. Die Zahl der Ehrenamtler ist auf 150 gestiegen. Zeit für eine Bilanz.

Klare Strukturen haben das einstige Gewusel abgelöst. So beschreibt Arnold Orth die Entwicklung, die das Netzwerk für Flüchtlinge in St. Wendel angeschoben hat. Vor ungefähr einem Jahr wurde es gegründet. Der St. Wendeler Dekanatsreferent ist einer der Koordinatoren. Ziel des Netzwerkes war und ist es, eine Willkommensstruktur aufzubauen. Dazu gehören auch Paten, die den Flüchtlingen bei ihren ersten Schritten in der Fremde zur Seite stehen. "Es ist ein Begleiten in die Selbstständigkeit", sagt Pfarrerin Christine Unrath. Auch sie ist als Vertreterin der evangelischen Kirchengemeinde Mitglied im Koordinierungskreis. Dieser trifft sich einmal im Monat, erklärt Axel Birkenbach, Kulturamtsleiter der Stadt St. Wendel . Bei diesen Treffen wird unter anderem beraten, in welchen Bereichen und wie die Ehrenamtler unterstützt werden können. "Ohne sie wäre das nicht zu stemmen", betont Orth.

Im April 2015 startete das Netzwerk mit 57 Mitgliedern, heute sind es 150. Das ist ein Grund dafür, dass das Fazit der Koordinatoren-Runde nach einem Jahr überwiegend positiv ausfällt. "Was uns gelungen ist, ist die Kräfte zu bündeln. Aus Einzelkämpfern ist ein Team entstanden", so Orth. Ehrenamtliche, die sich bereits vor der Gründung des Netzwerkes für Flüchtlinge engagiert hatten, bekamen eine Anlaufstelle. Auch die Koordinierungsgruppe selbst ist ein Zusammenschluss verschiedener Institutionen. Vertreten sind katholische und evangelische Kirche, die Caritas , die Kreisstadt und der Landkreis St. Wendel .

"Es ist ein reger Austausch entstanden", so Orth. Den fördert das Netzwerk mit Veranstaltungen und Treffen. Als positiv bewertet Katja Haßdenteufel vom Caritasverband Schaumberg-Blies die Zahl derer, die sich engagieren ebenso wie die Tatsache, dass sie so lange dabei geblieben sind. Christoph Schirra, Leiter der Ehrenamtsbörse des Landkreises St. Wendel , spricht von einer "interkulturellen Offenheit", die entstanden sei. Als Indiz hierfür nennt er die Arabisch-Kurse, die bei der Volkshochschule angeboten werden.

Es habe innerhalb der zwölf Monate auch Zeiten gegeben, in denen die Ehrenamtler überfordert waren oder es nicht genügend Willkommenspaten für die Flüchtlinge gab, so Orth. Inzwischen kommen zwar weniger vom Syrien-Krieg geflohene Menschen in St. Wendel an. Dennoch hofft das Netzwerk auf weitere Mitglieder. "Man darf die Begleitung eines Flüchtlings als Projekt sehen. Und ohne schlechtes Gewissen auch einmal eine Pause machen", sagt Pfarrerin Unrath. Die Seelsorgerin begreift das Netzwerk als eine Entwicklung. "Wir sind miteinander auf einem Lernweg. Die Arbeit verändert sich." Es gelte, künftig Flüchtlinge einzubinden. In zwei Fällen, so berichtet Katja Haßdenteufel, ist das bereits gelungen. Zwei Flüchtlinge , die schon länger da sind, helfen den Neuankömmlingen beim Eingewöhnen.

Begegnungen fördern

Eine große Aufgabe für die Zukunft ist laut Orth die Integration. Was können wir tun, damit Flüchtlinge unsere Lebensweise kennen lernen? Eine Idee ist die Eröffnung eines Flüchtlingscafés in der Josefstraße. Der offene Treff soll zu einer Begegnungsstätte werden zwischen St. Wendlern und den neuen Mitbürgern. Aber auch Ehrenamtlern soll das Café die Möglichkeit zum Austausch geben. Wie Unrath betont, sollen auch negative Erfahrungen zur Sprache kommen, wie Enttäuschungen beim täglichen Umgang mit den Flüchtlingen. Es gelte, unterschiedliche politische, kulturelle und religiöse Einstellungen zusammenzubringen.

Viel Lob und Anerkennung gibt es in dem SZ-Gespräch mit dem Koordinierungsteam für die freiwilligen Helfer. Sie hätten sich ein fundiertes Wissen angeeignet, seien fit in Sachen Rechtslage, würden Schritt für Schritte Behördengänge abarbeiten, viel Zeit, Energie und teilweise auch das eigene Geld investieren.

Positiv gestimmte Paten

Und was sagen die Ehrenamtler selbst über ihre Aufgabe als Paten? Für Sabine Klär aus Osterbrücken überwiegen die positiven Momente. Für sie sind die Flüchtlinge zu Freunden geworden. So auch Abdalrahmaan Ibraheem. "Ich bin am 18. Mai als Geburtstagsgeschenk für Sabine gekommen", sagt der Flüchtling keck. Seine Willkommenspatin ist am 17. Mai geboren

Ebenfalls in Osterbrücken engagiert ist Carmen Krampe. "Ich bin inzwischen Alltagspatin", sagt sie und lächelt. Die Aufgaben seien mit der Dauer des Engagements vielfältiger geworden. Vom Zeigen der Bushaltestelle hin zu Verfahren in Sachen Familiennachzug . Ihr Schützling Hamrin Ahmad hat gerade eine positive Nachricht erhalten: Ihr Mann und ihre beiden Kinder haben das Visum für Deutschland erhalten. Die gelernte Krankenschwester aus Syrien ist seit einem Jahr hier. Ihr Deutsch ist schon sehr gut. Sie wolle fleißig weiterlernen, um dann wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können. "Ich glaube, ich brauche noch Geduld. Und dann kann ich hier arbeiten", sagt Hamrin Ahmad.

Geduld ist für manche Flüchtlinge ein schwieriges Thema. Das wird deutlich, als Mijazi Ghazwah von einer Leere in seinem Leben spricht. Seit gut einem Jahr ist er hier und fühlt sich verloren. Die Erwartungen im Vorfeld an Deutschland seien groß. "Wir denken, wir kriegen eine Wohnung, einen Job und Geld, alles ist okay." Doch jetzt sitze er nur da. Er habe in Syrien studiert. Doch das sei jetzt alles umsonst gewesen. Warum bekommen wir keinen Job?, fragt er. "Wir trinken in unserer Heimat keinen Alkohol, hier schon", gesteht Mijazi Ghazwah. Er fände es gut, wenn Flüchtlinge auch arbeiten könnten, wenn ihr Deutsch noch nicht perfekt ist. "Wenn wir mit Deutschen zusammenarbeiten, lernen wir die Sprache . So sind wir nur unter uns." Pate Reinhard Scharf würde sich auch wünschen, dass den Flüchtlingen schneller Jobs vermittelt würden. "Man muss nicht bei jeder Aufgabe perfekt Deutsch sprechen können." Er erinnert sich an einen gelernten Schreiner aus Syrien, der beim Umzug eines anderen Flüchtlings engagiert geholfen hat. Der freute sich, etwas tun zu können. Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille: Ein syrischer Koch, der eine Stelle hätte haben können, sei zu bequem gewesen, den potenziellen Arbeitgeber anzurufen.

Abdalrahmaan Ibraheem hat in Syrien Zahnmedizin studiert. Er kann die Bürokratie in Deutschland nicht verstehen. "Die Regierung ist nicht flexibel", sagt er. Beim Jobcenter habe er den Eindruck, dass sie nicht verstehen, was er will. "Ich bin Student und will studieren. Ich kann nicht mit meinen Händen arbeiten."

Mijazi Ghazwah beginnt im Mai seinen Sprachkurs. Er möchte einmal als Mediendesigner arbeiten. Doch zunächst bleibt erst einmal die Leere.

sankt-wendel.de/verwaltung

/fluechtlingsnetzwerk

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HintergrundDas Netzwerk für Flüchtlinge in St. Wendel wurde im April 2015 gegründet. Vorausgegangen war ein Beschluss des Stadtrats, eine Willkommenskultur aufzubauen. Bei der Gründung waren es 80 Flüchtlinge in der Kreisstadt und deren Stadtteilen. Inzwischen leben 379 vom Krieg vertriebene Menschen hier. Die Zahl der Netzwerkmitglieder hat sich innerhalb von zwölf Monaten von anfangs 57 auf 150 erhöht. Diese sind als Willkommenspaten, Sprachpaten oder im Bereich Kultur und Sport ehrenamtlich im Einsatz. Das Netzwerk-Koordinierungsteam setzt sich aus Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche, der Kreisstadt, des Landkreises St. Wendel und dem Caritasverband Schaumberg-Blies zusammen. evy

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