Statt alleine zuhause Jungunternehmer vermieten in St. Wendel Arbeitskollegen und Bürofeeling

St. Wendel · Vorbei sind die Zeiten, in denen Freiberufler alleine zu Hause schufteten. Jetzt kommen sie in Coworking Spaces zusammen — und inspirieren sich gegenseitig.

 Die beiden Jungunternehmer Daniel Leismann (links) und Tobias Decker haben den Coworking Space in St. Wendel gegründet.

Die beiden Jungunternehmer Daniel Leismann (links) und Tobias Decker haben den Coworking Space in St. Wendel gegründet.

Foto: Alexander Stier

Sie haben wohl durchschaut, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte. Junge Menschen starren auf ihre Bildschirme, tragen Jeans, Turnschuhe und Polo-Shirts. Einige haben Hornbrillen, andere Mützen aufgesetzt. Sie tippen, chatten, surfen, plaudern miteinander und wandern in regelmäßigen Abständen vom Büro in die Küche. Dort gibt es nicht nur Kaffee, sondern auch einen stylischen Kühlschrank. Gefüllt mit Wasser, Cola, Limonaden in sämtlichen Geschmacksrichtungen – und Bier.

„Das ist der perfekte Ort für produktives Arbeiten“, ist Frank Bastuck überzeugt. Der Erfolgscoach ist bereits seit Februar Teil der Coworking-Space-Community in St. Wendel. Gleich nach der Eröffnung des Brühlhauses hat er sich dort eingemietet. „Hier ist immer was los und man lernt viele Leute kennen“, sagt Bastuck. Der 42-Jährige startet gerade mit seiner Firma „Einfach.Erfolgreich.“ durch. Gemeinsam mit seinem Team schult er Kunden und gibt ihnen etwa Tipps, wie es gelingt, Job, Familie und Freunde unter einen Hut zu bringen. Als Jungunternehmer sei es wichtig, möglichst viele Kontakte zu knüpfen. Und sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können. Im Brühlhaus lässt sich all das miteinander verbinden.

 Die moderne Küche ist das Herz des Brühlhauses. Hier treffen sich die Freiberufler zum Kaffeetrinken und Plaudern.

Die moderne Küche ist das Herz des Brühlhauses. Hier treffen sich die Freiberufler zum Kaffeetrinken und Plaudern.

Foto: Alexander Stier

Das Gebäude liegt in der St. Wendeler Innenstadt in der kürzlich neu gestalteten Brühlstraße. Es ist einer von vielen Coworking Spaces, die zurzeit in zahlreichen deutschen Städten eröffnen. Selbständige können sich dort einen Schreibtisch mieten, zusammen Pause machen und sich als Kollegen fühlen. Die Kosten: 179 Euro pro Monat, wenn man das Büro täglich nutzen möchte, und 39 Euro pro Monat, wenn man nur einmal die Woche herkommt. Wlan mit 200 Mbit/s, Internetverbindung und die Getränke sind dabei inklusive. Insgesamt bietet das Brühlhaus auf 100 Quadratmetern Platz für sieben Coworker, die sich auf drei Räume verteilen.

 Gegen soziale Verarmung: Selbständige, die es leid sind, alleine daheim zu sitzen, finden im St. Wendeler Coworking Space Gesellschaft.

Gegen soziale Verarmung: Selbständige, die es leid sind, alleine daheim zu sitzen, finden im St. Wendeler Coworking Space Gesellschaft.

Foto: Alexander Stier

Die Idee dazu hatten Daniel Leismann und Tobias Decker. Beide junge Unternehmer, die es leid waren, ständig alleine zu Hause zu sitzen. „Da fällt einem die Decke auf den Kopf“, weiß Decker. Der 28-Jährige stellt Modeaccessoires aus Holz her und arbeitet als Online-Marketing-Berater. Sein Ziel war es, mit dem Coworking Space einen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen gegenseitig inspirieren und über ihre Projekte diskutieren. Wo sich Massagetherapeuten, Versicherungsberater und Designer ein Büro teilen. „Ein bestimmtes Klientel suchen wir nicht. Wir sind offen für jeden“, betont Decker. Die meisten ihrer Kunden seien Jungunternehmer, aber auch junggebliebene Geschäftsleute aus der Region.

Das Konzept einer solchen Arbeits-Gemeinschaft ist bisher eher in großen Städten bekannt. „Einmal hat mich jemand angesprochen und gefragt, ob wir ein Steakhaus sind, weil er auf dem Schild Cow-Working statt Co-Working gelesen hat“, erzählt Decker und lacht. Für ihn und seinen Partner sei es ein Risiko gewesen, die Geschäftsidee in die Tat umzusetzen. Beide wussten nicht, wie die Menschen auf dem Land ihren Coworking Space annehmen würden. „Wir haben lange überlegt und uns zwölf Immobilien angesehen“, erinnert sich Leismann. Mehrmals seien sie in dem Gebäude in der Brühstraße gewesen, ehe sie sich dafür entschieden hätten.

Vor ihnen hatte dort ein Arzt seine Praxis. „Wo jetzt die Küche steht, war früher das Labor“, beichtet Leismann. Die Männer mussten alle Räume renovieren. Sie strichen die Wände, verlegten Laminat und bauten neue Möbel auf. Alles sollte modern und hip sein. „Das Ambiente muss schon passen“, ist Leismann überzeugt. Das Herz des 33-Jährigen schlägt bei Inneneinrichtungen höher.  Logisch, dass er sich um die Dekoration der Räume gekümmert hat. Überall stehen und hängen Schilder mit Sprüchen – in Holzrahmen gefasst, die der St. Wendeler selbst entworfen hat. Der Tisch im Besprechungsraum ist aus Holzbalken zusammengebaut und Pflanzen verschönern die Zimmerecken.

Doch Coworking bedeutet für die beiden Gründer mehr als nur ein modernes Büro. Für sie steht vor allem das Netzwerken im Vordergrund. Daher haben die Männer auch einen Business-Club ins Leben gerufen, bei dem sich Jungunternehmer kennenlernen sollen. „Zu den ersten Treffen kamen so acht bis zehn Leute“, erinnert sich Leismann. Mittlerweile seien es drei Mal so viele. Sie treffen sich im Restaurant Bruder Jacob – entweder morgens zum Unternehmerfrühstück oder abends zum Unternehmer Networking (siehe Info). Zu den Teilnehmern zählen beispielsweise ein Imker, der Bienen vermietet, mehrere Fotografen, IT-Experten und Produkte-Entwickler. „Das Schöne ist, dass sich die Unternehmer nicht als Konkurrenten ansehen. Sie helfen sich gegenseitig und es entstehen Kooperationen“, hat Decker beobachtet. Wer in etwas gut ist, unterstütze den anderen. Daher finden im Brühlhaus auch immer wieder Events statt, bei denen die Jungunternehmer ihr Wissen weiter geben. Demnächst steht etwa das Seminar „Instagram Basics – Praxis – Instagram Marketing 4 your Business“ an. Leismann, der sich besonders gut mit Sozialen Medien auskennt, wir dann über Hashtags, Feed- und Story-Beiträge referieren.

„Wenn man ins Brühlhaus kommt, lernt man immer viel dazu“, bestätigt Erfolgscoach Bastuck. Er stockt seine Firma gerade auf, sein Team besteht bereits aus mehreren Mitarbeitern. Doch den Coworking Space zu verlassen, kommt für ihn nicht infrage. „Ich werde auch weiterhin mindestens zwei Mal pro Woche von hier aus arbeiten“, hat er sich vorgenommen. Der Kontakt zu anderen Unternehmern, der Austausch von Erfahrungen und die gegenseitige Inspiration – für ihn habe sich das Arbeitsmodell der Zukunft schon jetzt ausgezahlt.

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