Gedenktag Zeitzeuge bekennt: „Ich war beim Jungvolk“

St. Wendel · Wenn Zeitzeugen über ihre Erlebnisse während der Nazi-Zeit in Deutschland berichten, geht es oft um die Beobachtung von brennenden Synagogen, Judenverfolgungen und den abscheulichen Taten in den Vernichtungslagern der Nazis. Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst, Fliegeralarm und Fronteinsatz — es gibt nicht mehr so viele Menschen, die das noch am eigenen Leibe erfahren haben und nachfolgenden Generationen von persönlichen Erlebnissen berichten können.

Hermann Scheid berichtete aus seiner Jugendzeit im Nationalsozialismus.

Hermann Scheid berichtete aus seiner Jugendzeit im Nationalsozialismus.

Foto: Frank Faber

Doch zu seiner eigenen NS-Vergangenheit zu stehen, das gilt auch beinahe 73 Jahre nach Ende des Dritten Reichs in Deutschland noch als Tabuthema. Es gibt aber Ausnahmen. Hermann Scheid, 89 Jahre aus Oberthal, bekennt sich: „Ich war beim Jungvolk und in der Hitlerjugend und habe mich freiwillig dafür gemeldet.“ Im „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 hieß es: „Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitler-Jugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.“ Sport, Zeltlager, Gemeinschaftserlebnisse: Mit diesen Mitteln machte sich die Hitlerjugend schon ab 1926 daran, Kinder und Jugendliche ideologisch zu erziehen. Wie Scheid in seiner Jugendzeit da reingerutscht war, darüber hat bei der zentralen Gedenkveranstaltung berichtet. „Es fällt mir schwer mich zu bekennen, es ist ja fast eine Lebensbeichte“, gesteht Scheid und atmet ganz tief durch. Heutzutage, so verurteilt der ehemalige Nohfelder Bürgermeister, rege man sich über Kindersoldaten auf, die es damals auch gegeben habe. „Ich hatte viele Zweifel und Diskussionen darüber mit meinem Vater“, so der 89-Jährige. Erzkatholisch erzogen, habe er als Sohn einer Bergarbeiterfamilie das Gymnasium Wendalinum besuchen dürfen. „In dieser Zeit war das schon eine Ausnahme“, meint er.

Sein Vater sei noch von der Kaiserzeit geprägt gewesen – Drill war an der Tagesordnung, Disziplin das täglich Brot. Im Alter von zehn Jahren, so erzählt Scheid, sei er dem Deutschen Jungvolk (DJ), der Jugendorganisation der Hitler-Jugend (HJ) für Jungen zwischen zehn und 14 Jahren beigetreten. „Wir haben Lieder gesungen. Die Lieder über das 1000-jährige Reich haben mich erfasst“, blickt er zurück. Zudem herrschte im Elternhaus eine große Abneigung gegenüber dem Nachbarland Frankreich. Die Hochzeit seiner Tante mit einem französischen Zollbeamten bezeichnete sein Großvater als „Schande“.

Auch an der Schule habe der  Zweite Weltkrieg eine große Rolle gespielt. „1939 haben sich Abiturienten freiwillig zur Luftwaffe gemeldet. Man wollte Soldat werden“, sagt Scheid. Mit dem Gedanken hätten viele Jugendliche geliebäugelt, aber Tipps dazu hätte man dazu an der Schule nicht erhalten. Als Hitlerjunge habe man an einem Ausbildungslehrgang in einem Wehrertüchtigungslager teilnehmen können. „All das hat mich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr losgelassen“, so Scheid und ergänzt mahnend: „Wir dürfen diese Zeit nie vergessen“.

Zur Aufarbeitung der Vergangenheit sei er Mitglied in der Europäischen Union geworden. „Mein Ansatz war, in politischen Jugendorganisationen einen ganz neuen Weg zu gehen“, erklärt Scheid. Später von 1964 bis 1968 war er mit der Wahrnehmung der Geschäfte als Amtsvorsteher in Nohfelden beauftragt. Von 1968 bis 1973 war er Amtsvorsteher des Amtes Nohfelden und von 1974 bis 1988 Bürgermeister der Gemeinde, die ihm die Ehrenbürgerschaft verliehen hat. Auf Vorschlag von Ex-Saar-Ministerpräsident Peter Müller und dem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler ist Scheid 2008 wegen nachhaltiger Verdienste im sozialen und kulturellen Bereich mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Auch im Alter von knapp 90 Jahren ist Scheid als Heimatforscher im Landkreis tätig.

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