Wegweisend in der Flüchtlingsarbeit

St Wendel · Seit gut zwei Jahren kommen verstärkt Kriegsflüchtlinge aus Syrien im Landkreis St. Wendel an. Aber auch Menschen aus Ländern wie Afghanistan oder Eritrea verlassen ihre Heimat und wollen hier ein neues Leben beginnen. Dazu braucht es einige Voraussetzungen: Die deutsche Sprache muss erlernt, sich mit der Kultur auseinandergesetzt werden. In einer Serie will die Saarbrücker Zeitung einen Einblick geben, wie es in der Region in Sachen Integration läuft. Heute stellen wir den Migrations- und Beschäftigungscoach vor.

 Beschäftigungscoach Hajem Mohammad schreibt in der arabischen Sprache von rechts nach links. Der 29-Jährige ist in der Nähe von Damaskus in Syrien aufgewachsen.

Beschäftigungscoach Hajem Mohammad schreibt in der arabischen Sprache von rechts nach links. Der 29-Jährige ist in der Nähe von Damaskus in Syrien aufgewachsen.

Foto: B&K

Coaches gibt es in St. Wendel nicht nur im Fußball. Sondern auch in der Flüchtlingsarbeit . Barbara Motsch ist Migrationscoach beim Landkreis St. Wendel , Hajem Mohammad Beschäftigungscoach. Was es mit den beiden auf sich hat, erklärt Thomas Schmidt von der Kommunalen Arbeitsförderung des Landkreises. Diese ist zuständig für das Jobcenter. Und das Jobcenter wiederum ist zuständig für anerkannte Flüchtlinge , für Asylbewerber die Agentur für Arbeit. Der Beschäftigungscoach sei quasi die Schnittstelle zwischen Kommune und Agentur für Arbeit. Der Migrationscoach koordiniert unter anderem die Sprachkurse für die Flüchtlinge .

Mohammad hat seit April eine halbe Stelle beim Landkreis als Beschäftigungscoach - mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums. Zusätzlich fungiert er seit August als Übersetzer bei der Kreisverwaltung. Er ist kurdischer Syrer, kommt aus der Nähe der Hauptstadt Damaskus. Neben Kurdisch spricht er Arabisch, Englisch und Deutsch, außerdem ein bisschen Bulgarisch. Im Gespräch mit den noch nicht anerkannten Flüchtlingen will der 29-Jährige, der 2014 ebenfalls als Flüchtling nach Deutschland kam und in St. Wendel wohnt, erste Hilfestellungen geben, mit Gegebenheiten vertraut machen und herausfinden, wo der Asylbewerber steht. Was er kann, was er gelernt und als was er zuletzt gearbeitet hat. Da helfe es, wenn die Flüchtlinge jemanden vor sich haben, der ihre Sprache spricht. Das sei ein Eisbrecher, sagt Mohammad im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung .

Mit diesen Informationen versorgt Mohammad den jeweiligen Fallmanager des Flüchtlings. Dieser kann dann entscheiden, wie es weitergeht. Das Einordnen der Fähigkeiten sei gar nicht so einfach, gesteht Harald Becker, Amtsleiter für den Bereich Arbeitsförderung . "Denn in den meisten Fällen existiert kein Ausbildungsabschluss, der hier anerkannt wird", sagt Becker. Beispiel Zahnarzt: Das sei in Syrien kein akademischer Beruf, sondern Handwerk. "Viele Leute nannten sich Elektriker; aber es war total undurchsichtig, was sich dahinter verbirgt", so Becker. Es gebe auch Leute, die gar nicht in der Schule waren oder "Autos ausbeulen" als Beruf angeben. Ein ganz anderes Erlebnis hatte Mohammad. Er schmunzelt, wenn er davon erzählt: Ein studierter Rechtswissenschaftler möchte hier als Koch arbeiten. Das sei clever, meint Becker: "Wer hier herkommt, muss realistisch sein." Und Köche werden händeringend gesucht. Auch Mohammad war flexibel: Er ist studierter Politikwissenschaftler. Ein anderes Beispiel weiß Schmidt: "Ich erinnere mich an einen Zahnarzt, der wollte hier als Bildhauer arbeiten."

Warteliste für Sprachkurse

Fachkräfte-Mangel und demografischer Wandel, das sind die beiden Gründe, warum Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, sagt Schmidt. Daher gelte es, geeignete Menschen im Landkreis zu halten. Von den Flüchtlingen, die Ende 2013 und 2014 kamen, seien etwa zwei Drittel wieder weggezogen. Daher müsse man sie möglichst früh identifizieren und für den Arbeitsmarkt fit machen. Aber Becker warnt davor, zu euphorisch an die Sache heranzugehen. "Wir sprechen von Minimum fünf Jahren, bis ein Flüchtling Geld verdienen kann", sagt er und rechnet vor: zwei Jahre Sprachkurs, drei Jahre Ausbildung.

Diese Sprachkurse vermittelt Motsch. Alle Neuzugänge stellen sich bei der 32-Jährigen vor. Derzeit gebe es im Landkreis vier Integrationskurse mit 100 Teilnehmern und fünf Vorbereitungs-Kurse mit 75 Teilnehmern. Auf die Integrationskurse warteten mittlerweile 180 Flüchtlinge , die älter als 25 Jahre, und 100, die jünger als 25 sind. Wer am längsten auf einen Kurs gewartet hat, kommt zuerst zum Zug, sagt Motsch. Mittlerweile verwalte sie fünf Wartelisten: für Sprachtests, Integrationskurse, Vorbereitungskurse, Alphabetisierungskurse und Gruppeninformationen. Bei Letzteren wird jeweils 20 Syrern erklärt, wo sie sich bei Problemen hinwenden können (wir berichteten).

Egal welcher Kurs - Motsch hat die Übersicht. Sie schaut auch über Kreis- und Landesgrenzen, ob es dort freie Plätze gibt. So kann es auch vorkommen, dass Flüchtlinge , die im St. Wendeler Land wohnen, Kurse in Birkenfeld oder in Hermeskeil besuchen. "Weil es einfach schneller geht", sagt die Sozialarbeiterin.

Motsch ist auch Anlaufstelle für Ehrenamtler. Und sie organisiert Betriebsführungen oder Praktika bei Firmen. Erst kürzlich habe sie einem Syrer, der sagte, er sei Informatiker, ein Praktikum bei einer St. Wendeler Firma besorgt. Vier Wochen war er dort. Das Praktikum endete mit der Erkenntnis, dass grundlegende Kenntnisse in der Programmiersprache fehlten. Aber: "Der Flüchtling war begeistert; er will jetzt hier Datensicherheit studieren."

Motivation ist Voraussetzung

 Bilden im Einsatz für die Flüchtlinge im Landkreis St. Wendel ein Team: der syrisch-stämmige Beschäftigungscoach Hajem Mohammad und Migrationscoach Barbara Motsch.

Bilden im Einsatz für die Flüchtlinge im Landkreis St. Wendel ein Team: der syrisch-stämmige Beschäftigungscoach Hajem Mohammad und Migrationscoach Barbara Motsch.

Foto: B&K

Jetzt, da viele Sprachkurse bereits laufen, gelte es, die Kontakte zu Firmen weiter auszubauen. Dazu Schmitt: "Die Arbeitgeber sind sehr offen." Schließlich gebe es im Landkreis derzeit 600 freie Stellen. Vor allem im Handwerk oder im Hotel- und Gaststättengewerbe. Dazu Schmitt: "Wenn die Motivation stimmt, lässt sich hier beruflich einiges machen, ohne den anderen etwas wegzunehmen."

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