Von New York hinaus in die Welt

Bliesen · Der Bliesener Chor Viel-Harmonie hat sich für sein Konzertprogramm am kommenden Sonntag unter anderem das moderne Requiem „For the Living“ ausgewählt. Es stammt aus der Feder des US-amerikanischen Komponisten Dan Forrest. Der 38-Jährige lebt mit seiner Familie in einer Stadt im Bundesstaat New York. Im Vorfeld des Konzertes sprach SZ-Redakteurin Evelyn Schneider mit dem Komponisten über sein Werk, seinen Alltag, und moderne Popular-Musik.

 Der Erwachsenen-Chor der Viel-Harmonie Bliesen: Dessen Sänger beschäftigen sich seit Weihnachten 2015 mit zwei Requiems. Foto: Reiner Kloos/Verein

Der Erwachsenen-Chor der Viel-Harmonie Bliesen: Dessen Sänger beschäftigen sich seit Weihnachten 2015 mit zwei Requiems. Foto: Reiner Kloos/Verein

Foto: Reiner Kloos/Verein

Herr Forrest, Sie sind Berufskomponist. War Musik schon immer ein wichtiger Teil Ihres Lebens, oder gab es einen besonderen Moment, in dem Sie entschieden haben, Musik zu Ihrem Beruf zu machen?

Dan Forrest: Ich habe Musik schon immer geliebt. Als ich klein war, habe ich zugehört, wie meine Mutter Lieder auf dem Klavier spielte, oder Van-Cliburn-Aufnahmen (amerikanischer Pianist, Anmerkung der Redaktion) gelauscht. In der vierten Klasse begann ich mit Klavierunterricht. Ich bin vielseitig interessiert, aber Musik war schon immer das Wichtigste. Ich habe mich bei meinem Master-Abschluss am College auf das Klavierspiel konzentriert, danach wurde das Komponieren immer wichtiger.

Wie würden Sie einen typischen Tag im Leben eines Komponisten beschreiben?

Forrest: Ich arbeite zuhause, da ich keinen Vollzeit-Lehrerjob oder ähnliches habe. Daher beinhaltet ein gewöhnlicher Tag einige Stunden Komponieren und ein paar Stunden Kommunikation mit Herausgebern, Redakteuren, Dirigenten oder das Bearbeiten von Anfragen. Die Kommunikation ist sehr wichtig, aber ich muss manchmal vorsichtig sein, dass es nicht zu viel wird. Ich habe einen Teilzeitjob in der Kirche sowie einen Teilzeitjob bei Beckenhorst-Press. Außerdem habe ich drei Kinder, so dass mein Tag auch abseits des Komponierens ziemlich gefüllt ist. Steht aber die Abgabetermin eines Projektes an, konzentriere ich mich auf das Komponieren. Dann muss alles andere - außer der Familie - pausieren. Dann stehe ich früh auf oder arbeite bis in die Nacht, damit ich ungestört bin. Meistens sitze ich dabei an einem digitalen Keyboard und einem Computer, aber eigentlich liebe ich es, am Klavier zu komponieren. Aber ich arbeite einfach effektiver, wenn ich die Noten direkt in den Computer eingebe - so, wie sie mir einfallen.

Wann haben Sie "Requiem For the Living" komponiert, und wie lange hat es gedauert, bis es fertig war?

Forrest: Ich habe es 2013 geschrieben. Im Sommer 2012 hatte ich meinen Vollzeit-Lehrerjob im Fach Komponieren aufgegeben, so dass ich dem Komponieren mehr Zeit widmen konnte. Es ist das erste Werk, das ich geschrieben habe. Begonnen habe ich im Frühjahr 2012, ein Jahr später konnte ich das Manuskript beenden. Bis letztlich alles fertig war, vergingen insgesamt 16 Monate.

Was war die Inspiration für das Werk?

Forrest: Ich weiß von vielen Requiems, die in einer Zeit des persönlichen Verlusts komponiert wurden. In meinem Fall war es so, dass ich einfach die Schwere und die Schönheit dieser uralten Texte liebe. Deshalb habe ich versucht, ein Stück zu schreiben, das Bedeutung hat - für jeden, der schon einmal Schmerz und Verlust erlebt hat - also früher oder später jeder von uns.

In der Kirche beschreibt das Wort Requiem eine Messe zur Erinnerung an die Verstorbenen. Ihre Musik trägt den Namen "Requiem for the Living” (Requiem für die Lebenden). Haben Sie sich auf die kirchliche Bedeutung bezogen und mit dem Gegensatz "Lebende" und "Verstorbene" gespielt?

Forrest: Ja, in der Tat. Ich war weniger daran interessiert, für die Toten zu beten als für Ruhe für all jene von uns, die leben und hier auf der Erde sind. Das ist es, was das Wort Requiem bedeutet. Leitmotive sind die Aspekte von Schmerz und Trauer . In der ersten Sequenz geht es um den ehrlichen Blick auf Schmerz und Trauer , beginnend mit Stille, dann steigert sich das Gefühl allmählich bis zum Aufschrei. Die zweite Sequenz erkennt Bitterkeit und Wut an. Im dritten Teil geht es um ein Gebet an das Lamm Gottes für Gnade, und der vierte Teil ist eine Antwort auf die Gebete. Gottes Herrlichkeit wird sichtbar. Die letzte Sequenz porträtiert die ewige Ruhe, die den Kindern Gottes versprochen ist und zitiert die Worte Christi: Mögen alle zu mir kommen, die leiden und schwer an ihrem Schicksal tragen. Ich gebe ihnen Ruhe. Gegen Ende dieser Sequenz habe ich die Noten des Solos für den Tenor markiert. Es soll in der Muttersprache des Landes gesungen werden, in dem das Requiem aufgeführt wird, so dass das Publikum die Worte Jesu in seiner Sprache hört.

Gibt es ein Instrument, dessen Klang Sie besonders mögen?

Forrest: Es ist schwierig, mich für eines zu entscheiden. Ich liebe alle Instrumente, die ihre eigene Stimme zu dem Orchester-Ensemble beitragen. Ich komponiere am liebsten für Chor und Orchester. Da ist so viel Potenzial an Klangfarben und Struktur mit all den verfügbaren Instrumenten.

Der Chor Viel-Harmonie aus Bliesen , einem Ort in Deutschland, wird Ihr Requiem präsentieren. Wie fühlt sich das an? Und in wie vielen Ländern wurde es bereits aufgeführt?

Forrest: Zum jetzigen Zeitpunkt wurde das Requiem in Dutzenden Ländern von fünf der sieben Kontinente aufgeführt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Musik, die ich mir in meinem Büro erdacht habe, einmal um den Globus kreist. Ich bin erstaunt, zutiefst dankbar für die Gelegenheit, musikalisch zu Menschen zu sprechen an Orten, an denen ich niemals war.

Was macht Ihrer Meinung nach Ihr Requiem aus?

Forrest: Es ist schwierig für einen Komponisten , sein eigenes Werk zu analysieren, weil wir so nah dran sind, dass wir das Werk anders hören als die anderen Zuhörer. Ganz ehrlich, ich glaube, diese Frage können jene besser beantworten, die es gehört, gesungen oder gespielt haben. Ich denke, es gäbe eine Vielzahl an Antworten. Irgendwie scheinen Menschen auf der ganzen Welt eine Verbindung zu der Musik zu haben.

Sie sind noch jung, und soweit ich weiß, haben Sie immer Musik für die Kirche und klassische Stücke geschrieben. Hatten Sie jemals Interesse gehabt, eine Rockoper oder einen Popsong zu schreiben?

Forrest: Nein, klassische Musik und traditionelle Kirchenmusik sind mehr mein Geschmack. Ich höre breitgefächert Musik, schreibe aber nicht breitgefächert. Ich habe gerade für eine A-Cappella-Gruppe komponiert. Ich genieße es, Sachen auszuprobieren - aber es waren bisher keine Rockoper oder ein Popsong dabei. Unter dem Motto "Lux aeterna" (das ewige Licht) steht das Konzert des Bliesener Chores Viel-Harmonie. Mit dem Kammerorchester Resonanz präsentieren die Sänger am Sonntag, 20. November, 17 Uhr, in der Pfarrkirche in Bliesen zwei Requiems. Chorleiter Harald Bleimehl, der auch die Gesamtleitung des Konzertes übernimmt, fand das erste Werk recht schnell. "Das Requiem von John Rutter kenne ich schon sehr lange", so der Musiker. Da es aber nur 40 Minuten dauere, habe er sich auf die Suche nach einer Komposition gemacht, mit der er das Konzertprogramm ergänzen konnte. Bei der Recherche sei er per Zufall auf das "Requiem for the Living" des US-Amerikaners Dan Forrest gestoßen. "Es ist erst vor zwei Jahren in den Staaten erschienen und in Deutschland noch nie aufgeführt worden", so Bleimehl.

Forrests Komposition sei sehr vielfältig, spannend, fast dramaturgisch geschrieben. Wie der Chorleiter verrät, üben Werke, die sich mit existenziellen Fragen befassen oder in existenziell schwierigen Situationen entstanden sind, eine große Faszination auf ihn aus.

Was aber ist das Besondere an Forrests Requiem? "Die Musiksprache lehnt sich an die gemäßigte Moderne an." Es gebe Stellen, die an Filmmusik erinnern. "Neben sehr dramatischen Stellen schlägt das Requiem genau wie jenes von John Rutter einen sehr trostvollen Ton an", so Bleimehl.

Seit dem Weihnachtskonzert im vergangenen Jahr probt Bleimehl mit dem Chor die beiden Werke. Außerdem gab es zur Vorbereitung auf das Konzert über Pfingsten drei Probetage in Prüm sowie eine Ganztagesprobe in Bliesen . Requiems stuft der Chorleiter per se als schwierig ein - und zwar, "weil jeder im Chor Erfahrungen mit Schmerz und Trauer in die Probenarbeit mitbringt. Und gerade durch die Musik, werden diese häufig sogar noch emotional verstärkt". Aber die künstlerische Auseinandersetzung damit könne auch helfen. "Zu erfahren, dass zwei Komponisten die gleichen Kämpfe mit den Fragen nach dem Warum, Woher und Wohin ausfechten, dass rechts und links im Chor Menschen die gleichen bitteren Tränen geweint haben, kann für einen selbst eine Hilfe sein. Schließlich ist Forrests Requiem eines für die Lebenden", so Bleimehl.

Das Konzert mit dem Titel "Lux aeterna" ist am Sonntag, 20. November, 17 Uhr, in der Pfarrkirche Bliesen . Sitzplätze im Hauptschiff kosten 15 Euro, im Seitenschiff zwölf Euro. Karten gibt es bei Ringfoto Color Wagner in Bliesen , Tel. (0 68 54) 9 20 74.

dievielharmonie.de

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