Viturelles Treffen des St. Wendeler Netzwerks Erste Demokraten und die neue Lust aufs Land

St Wendel · 30 Teilnehmer schalteten sich online zu und verfolgten die Vorträge des Netzwerks St. Wendel.

 Idyllischer Blick auf ein Rapsfeld, im Hintergrund erhebt sich der Schaumberg. Eine neue Lust aufs Leben auf dem Land hat der Journalist Klaus Brill ausgemacht.

Idyllischer Blick auf ein Rapsfeld, im Hintergrund erhebt sich der Schaumberg. Eine neue Lust aufs Leben auf dem Land hat der Journalist Klaus Brill ausgemacht.

Foto: Bonenberger/Landkreis

Im virtuellen Raum hat sich das 2015 gegründete Netzwerk WND kürzlich getroffen. Wie ein Sprecher berichtet, schalteten sich mehr als 30 Teilnehmer zu. Das Netzwerk umfasst mehr als 120 Personen, die aus dem St. Wendeler Land stammen und nun anderswo leben, aber im Dialog mit den Einheimischen die Region voranbringen möchten. Sprecher ist der frühere Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse St. Wendel, Josef Alles. Beim Online-Treffen standen zwei Vorträge an. Der frühe Vorsitzende Richter am Saarländischen Oberlandesgericht in Saarbrücken, Franz-Josef Kockler, sprach über die St. Wendeler Unruhen von 1832/33, während sich Journalist Klaus Brill mit der „Neuen Lust aufs Land“ beschäftigte.

Unter Kennern gilt die „Coburger Zeit“ des St. Wendeler Landes als historische Delikatesse, berichtet ein Sprecher aus dem Vortrag. St. Wendel mit seinem Umland sowie der Raum Baumholder-Grumbach waren 1815 beim Wiener Kongress nach dem Sieg über Napoleon zu einem neuen Duodez-Staat geformt und dem Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld zugeteilt worden, der ihm den Namen Fürstentum Lichtenberg gab. Seine Herrschaft währte nur 18 Jahre lang, erregte aber überregional einiges Aufsehen durch mehrere politische Affären.

1832 wurde das Ländchen von der liberalen Demokratiebewegung erfasst. Als am 27. Mai 1832 Patrioten aus weiten Teilen Deutschlands zu einer Demonstration auf das Hambacher Schloss in der Pfalz zogen, versammelten sich parallel dazu Menschen auf dem St. Wendeler Bosenberg. Man errichtete einen Freiheitsbaum, sang französische Revolutionslieder. Die herzogliche Regierung verlangte die Entfernung des Baums und rief preußische Truppen aus Saarlouis zu Hilfe, als dies verweigert wurde. Ein blutiger Zusammenstoß konnte verhindert werden. Aber teils wurden Wortführer ins Gefängnis geworfen. Im Januar 1833 eröffnete man acht einzelne Verfahren gegen mehr als zwei Dutzend Personen. Ihnen seien größtenteils „Kinkerlitzchen“ vorgeworfen worden, sagte Franz-Josef Kockler in seinem Vortrag. Die Prozesse endeten mit Freispruch oder moderaten Urteilen. Einzig der Advokat Nicolaus Hallauer, der offenbar als Rädelsführer galt, sollte zwei Jahre und drei Monate in Haft und erhielt zudem Berufsverbot. Deshalb ergriff er die Flucht und ging nach Metz ins Exil, zumal ihm noch ein weiteres Verfahren wegen Hochverrats drohte, weil er beim Hambacher Fest eine Rede gehalten hatte. Der Referent regte unter anderem an, einen Platz nach Nicolaus Hallauer zu  benennen. Seine Anregung wurde von mehreren Teilnehmern der Netzwerk-Konferenz unterstützt, so vom Magdeburger Ökonomie-Professor Karl-Heinz Paqué, der früher Finanzminister in Sachsen-Anhalt war und heute die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit leitet. Er setzte sich dafür ein, 2022 und erst recht in 2032 die Jahrestage der Ereignisse zu nutzen, um an den „liberalen Freiheitskampf“ von Menschen wie Nicolaus Hallauer zu erinnern.

Unter dem Titel „Neue Lust aufs Land“ beschäftigte sich bei dem virtuellen Treffen des Netzwerks  Journalist Klaus Brill mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zukunft der Dörfer. Er sagte, die Krise habe „zumindest vorübergehend eine gewisse Aufwertung des ländlichen Lebensraumes“ hervorgerufen. Die vermehrte Nutzung des Home-Office habe einen Effekt auf den Autoverkehr, sie spare Zeit, Kraft und Geld und könnte Menschen dazu bringen, teure Wohnungen in der Stadt aufzugeben und aufs Land zu ziehen.

Als konkrete Möglichkeiten, in einem Dorf die Bewohner mit Zugewanderten und Ausgewanderten in Kontakt zu bringen und damit das Potential der Dorfgemeinschaft voll auszuschöpfen, nannte der Referent unter anderem die Veranstaltung eines internationalen Heimatabends  mit verschiedenen Musikdarbietungen aller Beteiligten oder ein Suppenfest, bei dem sowohl die Einheimischen als auch die Zugewanderten Großmutters Rezeptbücher hervorholen und einander gegenseitig mit kulinarischen Köstlichkeiten vertraut machen.

Nach Auffassung Brills sollten auch im Dorf unbedingt die Möglichkeiten des Internets und der neuen Sozialen Medien genutzt werden. Man könne etwa gemeinsam ein dörfliches Wikipedia anlegen. Gleichzeitig sei es aber unerlässlich, auch auf herkömmliche Weise, also durch die Erstellung von Heimatbüchern oder das Sammeln von Koch- und Liederbüchern möglichst viel Charakteristisches aus Geschichte und Gegenwart jedes Dorfes zu bewahren.

Es dürfe nicht eines Tages „alles, was das Leben unserer Vorfahren war, ins große Loch des Vergessens rauschen“. Klaus Brill plädierte außerdem für ein neues, modernes Heimatbewusstsein. „Die Heimatdödelei und Volkstümelei alter Zeiten stört heute viele Menschen genauso wie ein blauäugiges, naives Multi-Kulti-Getue, das über der weltumspannenden Schwarmgeisterei die eigene Kultur vergisst“, sagte er. „Dumpfe Fremdenfeindlichkeit schadet ebenso sehr wie die hochnäsige Verachtung der dörflichen Tradition.“

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