TV-Krimi: Zeichen zum besseren Miteinander

St Wendel · Ganz gespannt hat Petra Krämer den aktuellen SR-Tatort verfolgt. „Totenstille“ hat sich auch mit dem Leben von Gehörlosen beschäftigt. Ein wichtiges Thema, wie die kommissarische Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen Saarland findet.

 Können nach einer Weile miteinander kommunizieren: Der gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) mit Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow). Foto: Manuela Meyer/SR

Können nach einer Weile miteinander kommunizieren: Der gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) mit Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow). Foto: Manuela Meyer/SR

Foto: Manuela Meyer/SR

Der gehörlose Ben beobachtet einen Mann in seinem Wagen. Dieser telefoniert, ist aufgeregt. Immerhin glaubt er, gerade eine Frau erwürgt zu haben. Ben liest ihm dieses Geständnis von den Lippen ab. Eine Schlüsselszene aus dem Saar-Tatort "Totenstille".

Petra Krämer ist von Geburt an schwerhörig und kann selbst Lippen lesen. Doch ginge dieses Talent nicht automatisch mit Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit einher, sagt sie. Auf diese Distanz zu sehen, was jemand hinter einer Autoscheibe in ein Telefon sagt, hält sie eher für Zufall. Die kommissarische Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen Saarland hat den aktuellen Saar-Tatort als Vorpremiere im Kinosaal erlebt. "Es war ziemlich laut", sagt sie und lächelt. Umso erschreckender sei der Moment gewesen, in dem plötzlich der Ton weg war. Kommissar Stellbrink will sich in die Welt der Gehörlosen hineinfühlen, setzt sich Kopfhörer auf und nimmt die Stille wahr. Für die hörenden Zuschauer ein Effekt, für die gehörlosen nicht wahrzunehmen. Dafür konnten sie einige Szenen in Gebärdensprache ohne Übersetzung verfolgen. Da brauchten dann ausnahmsweise die Hörenden einen Untertitel. Neben der klassischen Aufklärung eines Mordes ging es in diesem Tatort auch um Kommunikationshürden zwischen Menschen, die hören können, und jenen, die ohne diesen Sinn leben müssen. Es ging auch um Vorurteile und Unwissenheit. So spricht der Kommissar den Gehörlosen in lautem Tonfall an. Als ob das etwas helfen könnte. Krämer, die auch den Gehörlosenverein Team St. Wendeler Land leitet, weiß bei ihrem Besuch in der Redaktion von vielen positiven Reaktionen auf diesen Tatort zu berichten. "Die meisten sagen, es war gut dargestellt - die Probleme zwischen Hörenden und Gehörlosen." Vor Beginn der Dreharbeiten sei der Landesverband angeschrieben worden, ob nicht Gehörlose als Komparsen mitmachen wollen. "Manche waren stolz, dass sie gefragt wurden", verrät Krämer. Und tatsächlich hat sie bei der Szene auf dem Friedhof einige Gehörlose aus dem Verband entdeckt.

Krämer fände es schön, wenn das Thema gehörlos in Filmen öfter eine Rolle spielen und wie im Saar-Tatort auch gehörlose Darsteller zur Besetzung gehören würden. "Dann wird die Welt vielleicht aufmerksamer." Vorurteile, gehörlosen Menschen gegenüber, gebe es noch immer. Das sei bei allen gehandicapten Personen gleich. Doch vieles habe sich verbessert. Auch, was das Fernsehen betrifft. "Die Untertitelung ist viel besser geworden", so Krämer. Lange hätte der Landesverband dafür gekämpft, dass der "aktuelle Bericht" im SR Fernsehen untertitelt wird. Das sei inzwischen erreicht.

Krämer schätzt, dass etwa 6800 Hörgeschädigte im Saarland leben, davon zirka 880 Gehörlose. Sie selbst kam 1959 schwerhörig auf die Welt. Sie litt nach der Geburt an Sauerstoffmangel, verbrachte die ersten Lebenswochen in einer Kinderklinik. Dass sie nicht oder nur wenig hören konnte, fiel aber erst im Alter von drei Jahren auf. Sie bekam gezieltes Sprachtraining. Lernte harte Konsonanten mit dem Pusten von Watte aussprechen und beobachtete im Spiegel ihren Mund beim Sprechen der Buchstaben. "Das war anstrengend."

Mit sieben Jahren wurde sie eingeschult. Besuchte bis zur dritten Klasse eine normale Schule. Dort habe sie sich wohlgefühlt. Hänseleien habe sie keine erlebt. Im Gegenteil, die Kinder in der Nachbarschaft sind immer gemeinsam mit ihr zur Schule gegangen. Dann erfuhren ihre Eltern von einer speziellen Schule für Schwerhörige in Saarbrücken. 1969 wechselte sie dorthin. Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zum Büropraktiker, arbeitete schließlich an einer Schule für Behinderte in Saarbrücken. Die Gebärdensprache lernte sie erst später. Auch durch ihren Mann Manfred, der gehörlos ist. Krämer hält es für wichtig, dass sich Gehörlose mit Hörenden beschäftigen. Die Kommunikation könne funktionieren, wenn beide Seiten offen aufeinander zugehen. Sie hat kein Verständnis dafür, dass manche Gehörlose nichts mit Hörenden zu tun haben wollen. "Ich sage ihnen dann immer. Wir brauchen die Hörenden."

Immer wieder legt sich die Stirn von Petra Krämer während des Gesprächs in kleine Falten. Ausdruck der Konzentration. Denn sie liest jede Frage von den Lippen ab. Sie kann hören, aber um die Worte sicher zu verstehen, ist sie darauf angewiesen, den Sprechenden genau zu beobachten. Dreht sich ihr Gegenüber weg, hat sie kaum eine Chance, ihn zu verstehen. Sie trägt Hörgeräte in beiden Ohren. Ein Cochlea-Implantat, von dem auch im Saar-Tatort die Rede ist, lehnt sie ab.

Für die Zukunft des Landesverbandes der Gehörlosen Saarland wünscht sie sich eine hauptamtliche Stelle. "Damit wir noch mehr erreichen können." Und vielleicht eifern einige Filmemacher dem SR-Tatort insofern nach, dass sie gehörlose Schauspieler besetzen und so mehr Authentizität erreichen.

Den Gehörlosenverein Team St. Wendeler Land gibt es seit 2000. Derzeit sind es 23 Mitglieder. Es gibt ein monatliches Treffen. Jeden dritten Freitag im Monat im ehemaligen Gesundheitsamt in der Mommstraße. Nächster Termin: 19. Februar, 13 bis 17.30 Uhr. Kontakt: Petra.Kraemer1@t-online.de

 „Ich bin Polizist“: Petra Krämer gebärdet beim Redaktionsbesuch den Satz, den seit Sonntag viele Hörende in Gebärdensprache beherrschen. Foto: B&K

„Ich bin Polizist“: Petra Krämer gebärdet beim Redaktionsbesuch den Satz, den seit Sonntag viele Hörende in Gebärdensprache beherrschen. Foto: B&K

Foto: B&K

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HintergrundEin Cochlea-Implantat kann schwerhörigen und gehörlosen Menschen wieder beziehungsweise zum besseren Hören verhelfen. In Deutschland erhalten jährlich 2000 Menschen ein solches Implantat, weltweit sind 280 000 darauf angewiesen. Das Cochlea-Implantat besteht aus zwei Teilen. Ein Empfänger wird in der Gehörschnecke (lateinisch Cochlea) eingesetzt. Der zweite Teil besteht aus Mikrofon, Sprachprozessor und Sender. Damit werden akustische Signale in elektrische Impulse umgewandelt. Diese werden auf den Hörnerv übertragen und können dann vom Gehirn als Klänge Ton, Sprache oder Geräusch erkannt werden. Das Gerät muss auf den Träger eingestellt und regelmäßig den Hörfortschritten angepasst werden. evy

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