Digitalisierung in St. Wendel St. Wendel geht den Schritt ins Gigabit-Zeitalter

St. Wendel · Die nordsaarländische Kreisstadt wird als eine der ersten Städte im Saarland flächendeckend mit Glasfaseranschlüssen versorgt.

 Ein Kabelbündel aus Glasfaserkabeln vor einer sogenannten Speedpipe. Diese Leerrohre sind wichtige Bausteine für ein Glasfasernetzwerk.

Ein Kabelbündel aus Glasfaserkabeln vor einer sogenannten Speedpipe. Diese Leerrohre sind wichtige Bausteine für ein Glasfasernetzwerk.

Foto: dpa/Jan Woitas

Die Tabelle ist ernüchternd. Deutschland, das sich in den Bereichen Forschung, Entwicklung und zukunftsbasierter Technologien gerne in vorderster Front wähnt, ist ein Entwicklungsland. Bei der mit Abstand schnellsten Internet-Technologie hinkt „Made in Germany“ im internationalen Vergleich hinterher – weit hinterher: Lediglich 3,2 Prozent aller stationären Breitbandanschlüsse hierzulande waren laut einer kürzlich publik gemachten OECD-Studie im Dezember 2018 mit einem Glasfaserkabel verbunden. Fast nirgendwo in den Industriestaaten ist der Glasfaseranteil derart niedrig. Zum Vergleich: An der Weltspitze rangiert Südkorea mit einem Glasfaseranteil von 80,4 Prozent. „Da sind wir ganz weit hinten“, sagt Dietmar Bauer, Geschäftsführer der St. Wendeler Stadtwerke (SSW). Eine per Power-Point-Präsentation an die Stirnwand des Raums geworfene Statistik unterstreicht seine Aussage. Es ist Montagmorgen, und der leicht abgedunkelte Sitzungssaal des Energieversorgers ist Ort des Geschehens. Gemeinsam mit VSE-Net-Geschäftsführer Ingbert Seifert sowie am Projekt beteiligten Mitarbeitern stellt Bauer das neueste gemeinsame Vorhaben beider Unternehmen vor. Das heißt First-Glas. Dahinter steckt nicht weniger als das Vorhaben, in den kommenden Jahren alle St. Wendeler Haushalte an das Glasfasernetz anzuschließen. Und zwar tatsächlich die Haushalte.

Nicht selten sei es so, dass zwar Glasfaserkabel in die Erde gelegt würden, allerdings nur bis zu den Verbindungspunkten. Von dort aus komme dann nicht selten die alte Kupferleitung zum Einsatz, die den jeweiligen Haushalt mit dem weltweiten Netz verbindet. Das soll in St. Wendel anders laufen. Mehr noch: Es soll in der Fläche anders laufen. „St. Wendel ist im Saarland eine der ersten Städte, wenn nicht sogar die erste, die den Weg in die Gigabit-Gesellschaft geht und umsetzt“, lobt VSE-Net-Geschäftsführer Seifert. Mit den SSW verbinde sein Unternehmen eine „lange und enge Partnerschaft in der Telekommunikation“. Die SSW baut die Infrastruktur. VSE-Net betreibt das Netz, bietet Dienste an und hält so den Vertrag mit den Kunden. Auch beim Glasfaserausbau wird das so sein. „Wir haben unsere jeweiligen Stärken“, weiß Seifert. Bringe man diese Zusammen, sei das zum Wohle aller – gerade auch der Kunden. So können die St. Wendeler künftig mit Datenübertragungsraten von 300 Mbit pro Sekunde im Download- und mit 50 im Uploadbereich rechnen und arbeiten. Bei Bedarf ließen sich diese Zahlen auch problemlos weiter nach oben skalieren.

Begonnen mit dem Aufbau eines leistungsfähigen Glasfasernetzes haben die Stadtwerke nach eigenen Angaben bereits vor 20 Jahren. Ursächlich dafür war laut Bauer die Tatsache, dass sich das St. Wendeler Rathaus seinerzeit auf sechs Gebäude aufteilte. Daten wanderten damals über Kupferleitungen vom einen ins andere Haus – allerdings wurden die Daten-Pakete mit der Zeit größer, die Anschlüsse mehr und die Leitungen daher langsamer. „Im Jahr 2000 haben wir dann das Projekt realisiert“, berichtet Bauer, wie das erste Glasfasernetz ins St. Wendeler Erdreich gelangte. Kurz darauf kam das Konversationsgelände hinzu – und St. Wendel nutzte mit seinen Stadtwerken die Gelegenheit, das Glasfasernetz auszubauen. „Das führte dazu, dass sich Unternehmen ansiedelten, die sonst sicherlich nicht gekommen wären“, sagt Bauer und spricht von einer „extrem starken Infrastruktur.“

Lag der Fokus zunächst noch darauf, kommunale und Landes-Liegenschaften ans Glasfasernetz anzubinden und zu versorgen, öffneten die Stadtwerke mit ihrem Kooperationspartner VSE-Net ab 2007 auch privaten Telefon- und Internetkunden den Netzzugang. So kamen zwischen 2012 und 2015 die Stadtteile Bliesen, Niederlinxweiler, Oberlinxweiler, Urweiler und Winterbach ans Glasfasernetz – bis zu den vorhandenen Kabelverzweigern. Über „die letzte Kupfermeile“ waren Übertragungsgeschwindigkeiten von 100 Megabit pro Sekunde möglich. „Jedoch war da bereits absehbar, dass die Möglichkeiten der bestehenden Kupferleitungen in naher Zukunft an ihre Grenzen stoßen würden“, blickt Diplom-Ingenieur Bauer zurück. 2015 hätten die SSW dann entschieden, ausschließlich in den zukunftsweisenden „echten Glasfaserausbau“ zu investieren – und wie eingangs erwähnt jedes einzelne Gebäude mit einer eigenen Glasfaser anzuschließen.

Hierfür wurden und werden zu allen Häusern in St. Wendel sukzessive Leerrohre verlegt, in die dann die Glasfaserleitung eingezogen wird. Oder besser: eingeblasen, wie es richtig heißt. 300 Kilometer Leerrohre liegen laut Bauer inzwischen im St. Wendeler Erdreich, 55 Kilometer Glasfaserkabel wurden bereits eingeblasen. „Mit dieser bestehenden Infrastruktur können wir jetzt schon 1500 Häuser, das sind ungefähr 16 Prozent der Häuser in St. Wendel, erreichen“, berichtet Bauer. Und: „Wir wollen jetzt in die Vermarktung gehen.“ Zunächst können Bewohner und Unternehmen in Werkstraße, Ostertalstraße und Schorlemerstraße ins neue Zeitalter gelangen, dann werden nach und nach weitere Straßen freigeschaltet.

 Glasfaser bis ins Haus: Dietmar Bauer (SSW, links) und Ingbert Seufert (VSE-Net) wollen St. Wendel ins Gigabit-Zeitalter hieven.

Glasfaser bis ins Haus: Dietmar Bauer (SSW, links) und Ingbert Seufert (VSE-Net) wollen St. Wendel ins Gigabit-Zeitalter hieven.

Foto: Thorsten Grim

Der Aufbau dieser hochmodernen und nachhaltigen Infrastruktur – SSW-Chef Bauer spricht auch in finanzieller Hinsicht von einer Mammutaufgabe und ist sicher, dass auch in 30 Jahren die Glasfasertechnik in der Telekommunikation das Maß aller Dinge sein wird – soll in den kommenden zehn bis 15 Jahren abgeschlossen sein. Mit der Umsetzung dieses Vorhabens schaffe die SSW eine unverzichtbare Voraussetzung für die Ansiedlung neuer Firmen und sieht sich selbst als „Motor für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und der Region“.

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