Sie kam, um das Hören zu lernen

St Wendel · Eine zeitlang war ihre Welt ganz still, dann kam mit dem ersten Implantat das erste Hören, und nun startet sie in ein Leben voller Geräusche. Die Rede ist von der achtjährigen Malak. Für ein neues Implantat kam das von Geburt an gehörlose Mädchen von Marokko hierher.

 Ahmed Bellagnech (Mitte) und Dr. Oliver Müller (rechts) verbinden den Sprachprozessor mit dem Implantat. Malak hält ganz still. Ihre Mutter Kabira Echouaf schaut gespannt zu. Fotos: B & K

Ahmed Bellagnech (Mitte) und Dr. Oliver Müller (rechts) verbinden den Sprachprozessor mit dem Implantat. Malak hält ganz still. Ihre Mutter Kabira Echouaf schaut gespannt zu. Fotos: B & K

Sie ist acht Jahre alt, in einem fremden Land und strahlt übers ganze Gesicht, als sie in den OP-Saal geschoben wird. "Ich hole mir jetzt das Implantat, mit dem ich duschen und spielen kann", sagt Malak. Und die Ärzte und Schwestern um sie herum bekommen feuchte Augen. Donnerstag vergangene Woche ist das marokkanische Mädchen, das gehörlos geboren wurde, an der Mannheimer Universitätsklinik am linken Ohr operiert worden. In die Hörschnecke wurde ein Cochlea-Implantat eingesetzt. Mit dessen Hilfe kann sie bald deutlich besser hören. Im rechten Ohr trägt sie bereits ein altes Implantat.

Im Krankenhaus immer an ihrer Seite war neben Mama Kabira Echouaf auch der aus Marokko stammende biomedizinische Ingenieur Ahmed Bellagnech. Auf seine Initiative hin wurde der zweistündige Eingriff vorgenommen. Die Kosten dafür übernimmt die Klinik. Nachdem das Implantat mit Elektroden eingesetzt wurde, geht es ans Feintuning. Denn zu dem Implantat gehört ein Sprachprozessor, der, ähnlich einem Hörgerät, hinter dem Ohr getragen wird. Der Sprachprozessor wandelt akustische Signale in elektrische Impulse um. Diese wiederum werden auf den Hörnerv übertragen und können dann vom Gehirn als Klänge erkannt werden.

Gestern Morgen ist es soweit. Der Sprachprozessor wird eingeschaltet und angepasst. Etwas unsicher sitzt Malak auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch von Ahmed Bellagnech in den Mediclin-Bosenberg-Kliniken in St. Wendel . Sie drückt den Rucksack auf ihrem Schoß fest an sich. Der medizinische Ingenieur lächelt dem Mädchen aufmunternd zu. Dann wird es spannend. Vor Malak liegen Bilder mit Affen. Eines steht symbolisch für "zu leise", eines für "zu laut" und eines für "gute Lautstärke". Eine Stunde dauert es, bin alles perfekt abgestimmt ist. Eine Woche lang kommt Malak nun täglich auf den Bosenberg, zum Nachjustieren und zum Hörtraining. Aber auch danach muss regelmäßig kontrolliert werden. Malak wird sicher nochmal nach Deutschland kommen, und Bellagnech will das Mädchen im Urlaub in Marokko besuchen. "Sie ist jetzt adoptiert, ein lebenslanger Vertrag", scherzt er. Außerdem sorgt das Büro von Advanced Bionics in Marokko für die Langzeitnachsorge. Das 1993 gegründete Unternehmen hat auch das Implantat gespendet sowie ein speziell entwickeltes wasserdichtes Gehäuse, damit das Mädchen auch schwimmen kann.

Während Malak konzentriert Zeichen gibt, steht ihre Tante Khadija Freyler etwas abseits und strahlt. "Das ist unglaublich", sagt sie. "Jetzt hat sie eine Zukunft. Das ist wie ein neues Leben." Die in St. Wendel lebende Marokkanerin hat Ahmed Bellagnech und seine Familie auf dem Weihnachtsmarkt kennen gelernt und von dem Schicksal ihrer Nichte erzählt. Sie kam gehörlos auf die Welt, erst im Alter von knapp zwei Jahren bemerkten die Eltern, dass sie nicht auf Geräusche reagiert. 2007 wurde sie am rechten Ohr operiert und bekam ein Implantat. Dadurch konnte sie ein bisschen hören. Die Kosten von 30 000 Euro für Implantat und OP waren für die Familie alleine nicht zu stemmen. Es wurden in Marokko Spenden gesammelt.

Die Familie war dankbar für das Implantat und in der Folge extrem vorsichtig im Umgang damit. "Wenn ein Kabel kaputt geht, kostet die Reparatur zwischen 80 und 100 Euro. Aber die Familie hat nur 180 Euro im Monat zur Verfügung", weiß Bellagnech. Deshalb durfte Malak nicht toben wie andere Kinder. "Ein Mädchen, das nie spielen, rennen, Fahrradfahren durfte, das hat mich betroffen gemacht", sagt der Medizin-Ingenieur. So stand für ihn schnell fest, dass er Malak helfen möchte. Das Mädchen ist intelligent und geht - da eine Schule für Schwerhörige zu weit von ihrem Wohnort nahe der Hauptstadt Rabat entfernt ist - auf eine reguläre Grundschule. Dort wird sie in Zukunft dem Unterricht noch besser folgen, und sie wird sich besser artikulieren können. Bellagnech ist froh, dass sowohl der Implantat-Hersteller Advanced Bionics als auch die Universitätsklinik in Mannheim und die Mediclin-Bosenberg-Kliniken so unkompliziert zusammen gearbeitet haben, um der Achtjährigen zu helfen.

"Ich habe jetzt ein Dusch-Implantat", hat Malak nach der OP stolz gesagt. Bald wird das Mädchen wissen, dass sie durch das Implantat noch so viel mehr erleben kann als zu duschen. Es ist, wie ihre Tante Khadija Freyler sagte: Sie beginnt ein neues Leben. Und das tut sie mit einem Lächeln.

 Malak lächelt. Das neue Implantat samt passendem Sprachprosessor ermöglicht ihr künftig ein anderes Leben.

Malak lächelt. Das neue Implantat samt passendem Sprachprosessor ermöglicht ihr künftig ein anderes Leben.

Zum Thema:

AUF EINEN BLICKEin Cochlea-Implantat kann schwerhörigen und gehörlosen Menschen wieder zum Hören verhelfen. In Deutschland erhalten jährlich 2000 Menschen ein solches Implantat, weltweit sind 280 000 darauf angewiesen. Das Cochlea-Implantat besteht aus zwei Teilen. Ein Empfänger wird in der Gehörschnecke (lateinisch Cochlea) eingesetzt. Der zweite Teil besteht aus Mikrofon, Sprachprozessor und Sender. Damit werden akustische Signale in elektrische Impulse umgewandelt. Diese werden auf den Hörnerv übertragen und können dann vom Gehirn als Klänge Ton, Sprache oder Geräusch erkannt werden. Das Gerät muss auf den Träger eingestellt und regelmäßig den Hörfortschritten angepasst und nachjustiert werden.evy

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