Plötzlich alt …

St Wendel · Heute ist der Internationale Tag der älteren Menschen. Das nahm SZ-Redakteurin Melanie Mai zum Anlass, selbst zu testen, wie es sich anfühlt, 80 Jahre alt zu sein. Das nämlich demonstriert der „Age Man“, ein Altersanzug, den das Marienkrankenhaus in St. Wendel zur Verfügung gestellt hat.

 Noch ist alles im grünen Bereich: Hildegard Marx (links) und Melanie Mai packen den Koffer mit dem „Age Man“ aus. Fotos: Bonenberger & Klos

Noch ist alles im grünen Bereich: Hildegard Marx (links) und Melanie Mai packen den Koffer mit dem „Age Man“ aus. Fotos: Bonenberger & Klos

"Alt werden ist kein Zuckerschlecken", sagt Hildegard Marx, die Krankenhaus-Oberin in St. Wendel . Wenn man innerhalb weniger Minuten alt wird, ist das doppelt schwer zu verkraften. So geschehen, als ich im Marienkrankenhaus den "Age Man" überstreife. Dieser Anzug, den Marx aus der Zentrale in Waldbreitbach hat kommen lassen, gaukelt mir vor, 80 Jahre alt zu sein. Also fast genau doppelt so alt.

39 bin ich noch, als ich mit Hildegard Marx den großen, silbernen Blechkoffer öffne. Voller Erwartung. Und Spannung. Es geht recht unspektakulär los. Marx legt mir Bandagen an; ich sehe aus, als wollte ich eine Tour mit Inlineskatern machen. Die schwarzen Protektoren sehen aus wie Ellbogen- und Knieschoner. Sie sollen meine Bewegungsfähigkeit einschränken. Das tun sie zwar, aber wirklich älter fühle ich mich nicht. Vielleicht wie 45.

Dann ziehe ich die graue Latzhose über, sie sieht aus wie ein "Blaumann" - nur eben in Grau. Dieser Anzug ist mit Gewichten gefüllt. Die Bewegungen werden langsamer. Und strengen mehr an. Aber wirkliche Einschränkungen spüre ich nicht. Ok, ich würde in diesem Anzug keinen Marathon-Lauf mehr machen (was ich ohnehin nicht machen würde). Samt Jacke, die ebenfalls mit Gewichten versehen ist, fühle ich mich jetzt wie schätzungsweise 65. Das ist erträglich; ich bin beruhigt. Weiße Handschuhe sollen mir das Geschick mit den Händen erschweren; auch sie sind für mich nicht besorgniserregend.

Kopf ist das Problem

 Hildegard Marx hilft Melanie Mai in den Altersanzug. Beide Arme und Knie sind bereits präpariert.

Hildegard Marx hilft Melanie Mai in den Altersanzug. Beide Arme und Knie sind bereits präpariert.

 Drei von sechs Farben erkennt Melanie Mai richtig. Bei Rot und Gelb gibt's Probleme.

Drei von sechs Farben erkennt Melanie Mai richtig. Bei Rot und Gelb gibt's Probleme.

 Vor allem zu Beginn geriet Mai ins Schwanken.

Vor allem zu Beginn geriet Mai ins Schwanken.

 Ein Cent-Stück erkennen – gar nicht so einfach.

Ein Cent-Stück erkennen – gar nicht so einfach.

Aber dann: Kopfhörer, eine Brille über meine Brille und ein Helm, wie für einen Schweißer gemacht, schränken meine Seh- und Hörfähigkeiten ein. Und wie! Jetzt fühle ich mich wirklich wie 80. Oder älter. Mein Sichtfeld ist stark eingeschränkt, alles hat plötzlich einen Gelbstich, und ich merke, dass ich beim Reden schreie. Irgendwie fühle ich ein wenig Platzangst.

Jetzt bin ich komplett eingekleidet. Und es kann an die kleinen Alltagstests gehen. Die erste Herausforderung: Tabletten aus dem Schälchen nehmen. Das ist einfach. Es klappt trotz der Handschuhe. Die zweite Aufgabe: der Geldbeutel. Öffnen, kein Problem. Ich bin ein wenig stolz auf mich. "Jetzt hätte ich gerne ein Cent-Stück", sagt Marx. Und schon fangen die Probleme an. Zunächst einmal suche ich eine Weile, bis ich das kleinste Geldstück gefunden habe. Immer wieder muss ich eine Münze rausnehmen, sie hochhalten und nah ran gehen. Meistens habe ich Pech, erwische ein Zwei- oder Fünf-Cent-Stück.

Jetzt geht's an die Farben: Die Krankenhaus-Oberin hält mir eine Palette mit sechs Farben vor die Augen. Ich bin ziemlich sicher, als ich ihr sage, was ich sehe. Aber meine Fehlerquote ist hoch. Der gelbe Punkt war doch eindeutig weiß, sage ich mir. Und Rot, Orange und Pink sahen alle gleich aus - rot eben.

"Wollen wir ein wenig spazieren gehen", fragt mich Marx. Schon bei den ersten Schritten merke ich, dass ich mein Gefühl für Distanzen verloren habe. Ich verliere hin und wieder das Gleichgewicht. "Das ist normal in dem Alter", sagt Marx. Für mich ist das alles andere als normal. Ich taste mich an der Wand entlang, bin unsicher. Aber es klappt. Langsam. Ich spüre immer mehr, wie schwer mein Körper ist. Vor allem beim Treppensteigen. Aber das, was mir die größten Sorgen, bereitet, ist nach wie vor der Kopf. Vielleicht ist es wirklich so im Alter, vielleicht ist es aber auch die abrupte Umstellung: Jedenfalls wird mir übel. Wir gehen zurück zu unserer Basis-Station; ich ziehe den Helm ab und fühle mich gleich ein wenig besser. Aber es dauert etwa eine Stunde, bis ich mich wieder fühle wie vor dem Selbsttest. Wie 39 und gesund.

Was bleibt, ist ein komisches Gefühl. "Der Anzug soll ein Bewusstsein schaffen, wie es ist, alt zu sein", erklärt Marx. Wenn es bei älteren Menschen mal nicht so schnell geht, dann zeige man eher Verständnis, man biete Hilfe an. Laut Marx, wisse jeder, der den Anzug einmal getestet habe: "Nicht alles ist perfekt." Das mag sein. Bei mir jedenfalls hat der Test auch Angst heraufbeschworen. Angst vorm Alter. Zumal ich nur die körperlichen Gebrechen vor Augen geführt bekam - die geistigen kommen ja noch dazu.

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