Märchenfest Von einem Blinden, der mit den Ohren sieht

St. Wendel · Im St. Wendeler Mia-Münster-Haus gingen am Wochenende die Märchentage über die Bühne. Für die erwachsenen Besucher gab es einen Erzählabend.

 Johanna Nicole Mangold hatte in ihr Märchenprogramm auch musikalische Elemente einfließen lassen.

Johanna Nicole Mangold hatte in ihr Märchenprogramm auch musikalische Elemente einfließen lassen.

Foto: Carmen Gerecht

Das Tor zur Anderswelt öffnet sich. Eine Anderswelt – erzählt von drei Frauen –, die einen zum Umdenken bewegen soll. „Weges Glück und Schurkenstück“, so der Titel und das Motto des Erwachsenen-Erzählabends bei den Märchentagen, die am Wochenende von der Kreisstadt St. Wendel in Zusammenarbeit mit dem Landkreis veranstaltet wurden.

Ein Klangspiel ertönt mit feinem, hellen Klang. Es wird ganz still um die 70 Erwachsenen, die sich im St. Wendeler Mia-Münster-Haus eingefunden haben. Angelika Wanzek – sie ist für ihre Schwester Simone Wanzek-Weber eingesprungen – beginnt ihre erste Geschichte um zwei Freunde und einen Schatz aus Gold, der möglichst effizient eingesetzt werden soll. Dieses Vorhaben erweist sich als gar nicht so einfach, denn auch habgierige Menschen trachten danach, wie der mächtige Khan und seine Reiter. Doch einem Jüngling mit reinen Gedanken gelingt es mithilfe von Wildvögeln, die er zuvor gekauft hatte, einen Wundergarten anzupflanzen, der fortan den Armen und Elenden Nahrung bietet. Dank der ausdrucksstarken Vortragsweise, teilweise mit Gesang, vermag sie die Zuschauer in jene ferne Welt zu entführen.

Johanna Nicole Mangold bindet ebenfalls musikalische Elemente, beispielsweise mit einer indianischen Flöte oder einer Trommel, in ihre Erzählkunst ein, wenn sie vom blinden Waisen und dem Jäger erzählt. Denn der Jäger, der den Blinden lange nicht mitnehmen wollte, ist verblüfft, was denn der Blinde, den man auch nicht austricksen kann, alles zu sehen vermag. Seine Erklärung: „Ich sehe mit den Ohren.“ Wenn er schon so weise ist, soll er auch zwei Fragen beantworten: Warum es so viel Krieg und Hass auf der Welt gibt und warum dennoch Freundschaft? Seine Antwort: „Weil viele sind, wie du, die sich nehmen, was ihnen nicht gehört“ und „weil viele sind wie du, die aus ihren Fehlern lernen“.

Livia Jansen setzt in ihrem langen schwarzen Samtkleid auf gruselige und lustige Elemente in ihren Geschichten. Unter anderem erzählt sie von einer Frau, die unerlaubt in eine Totenmesse mit leichenblassen Gestalten gerät und fast dafür mit dem Leben bezahlen muss. Oder dem Märchen um die verwöhnte Prinzessin Goldhaar, die erst eine bittere Lektion lernen muss, bis sie zu schätzen weiß, dass sie mit König Feuerbart den richtigen Mann an ihrer Seite gefunden hat.

Es ist egal, ob Wanzek im weiteren Verlauf der knapp zweieinhalbstündigen Veranstaltung noch von dem schönen Küchenjungen, der sich auf die Reise zur Sonne begeben muss, ehe er die Prinzessin heiraten darf, oder Mangold, den Jäger, mit einem fremden Wanderer mit Würfeln aus Knochen ein Wettspiel machen lässt – alle drei ausgebildeten Geschichtenerzählerinnen beherrschen ihr Metier. Mit ausdrucksstarker Gestik und verschiedenen Stimmlagen lassen sie die Geschichten lebendig werden, ohne dass sie dabei ein großes Bühnenbild oder viele Requisiten benötigen. Die Erzählungen haben alle eins gemeinsam: Es geht um Menschen, die sich auf eine Reise begeben, eine Reise zu sich selbst, auf der sie etwas loslassen, damit an diese Stelle was Besseres treten kann oder sie selbst zu einem besseren Menschen werden.

Für die Kinder gab es am Samstag- und am Sonntagnachmittag die Märchen „Das singende klingende Bäumchen“, „Die kleine Meerjungfrau“ und „Die goldene Gans“. Etwa 430 Zuschauer ließen sich insgesamt von den Geschichten verzaubern.

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