Strategien gegen die Pandemie Ein Virus, verschiedene Wege, ihn zu stoppen

St. Wendel · Landrat Udo Recktenwald spricht über die Balance zwischen regionalen Konzepten und einheitlichen Regelungen. Und warum es den Katastrophenfall aktuell nicht braucht.

 Foto: Cdc/ZUMA Wire/dpa

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Es ist ein winzig kleines Virus, das es gerade vermag, die Welt in einer Frage zu vereinen: „Wie kann die Pandemie am besten gestoppt werden?“ In vielem ähneln sich die Strategien der einzelnen Länder, die auf Ausgangsbeschränkungen, den Stillstand des öffentlichen Lebens setzen, es gibt aber auch Unterschiede. Was Deutschland betrifft, so hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 22. März einen Neun-Punkte-Plan vorgestellt. Dieser fordert die Bürger unter anderem auf, Abstand zu halten, Kontakte zu minimieren und auf Hygiene zu achten. Kurz vor dieser Entscheidung hatten bereits das Saarland und Bayern Ausgangsbeschränkungen angeordnet. Im Freistaat gilt zudem der Katastrophenfall. Somit gibt es auch innerhalb eines Landes unterschiedliche Herangehensweisen? Ist das gut so oder bräuchte es in der Corona-Krise die absolute Einheitlichkeit?

„Föderalismus hat seine Stärke“, sagt St. Wendels Landrat Udo Recktenwald (CDU). Jeder könne das verantworten und leisten, was er zu verantworten und zu leisten vermag: „In grundsätzlichen Dingen ist es aber wichtig, mit einer Stimme zu sprechen.“ So hat das Saarland seine Ausgangsbeschränkungen den Vorgaben des Bundes angepasst. Beispielsweise in dem Punkt, dass Bewegung an der frischen Luft alleine, mit den Menschen, mit denen man zusammenwohnt oder mit einer nicht im Haushalt lebenden Person möglich ist. Zuvor war dies im Saarland bis zu fünf Personen erlaubt. Die Verordnungen gelten bis 20. April.

Was die Organisationsstruktur betrifft, so gebe es laut Recktenwald auch regional Unterschiede. „Im Umgang mit der Corona-Krise setzen die Verantwortlichen auf unterschiedliche Strategien“, weiß der Landrat. „Wir wollten im Landkreis St. Wendel von Anfang an vor der Lage sein.“ Einen solchen zeitlichen Planungs-Vorsprung hatten die Verantwortlichen beispielsweise bei den Covid-19-Versorgungszentren, die es in jedem Landkreis und dem Regionalverband Saarbrücken geben soll. „Wir hatten schon früh geprüft, welche Hallen für Notbelegungen in Frage kommen, haben nicht gewartet, bis die Anweisung vom Land kam“, berichtet Recktenwald.

Sehr früh habe der Landkreis in Abstimmung mit den Bürgermeistern der Kommunen auch die Absagen von Veranstaltungen und die Schließung öffentlicher Gebäude auf den Weg gebracht. Gerne hätte Recktenwald den Unterricht eine Woche früher ausgesetzt als schließlich geschehen. „Nach Rücksprache mit den Amtskollegen haben wir entschieden, abzuwarten.“ Schließlich kam am 13. März vom Land die Entscheidung, die Schulen und Kitas zu schließen.

Nicht nur beim Thema Schulen gebe es einen regen Austausch mit den Kollegen in anderen Landkreisen. „Wir alle waren noch nie in einer solchen Situation. Wir lernen jeden Tag dazu. Sind dankbar für Hinweise.“ Eine wichtige Aufgabe auf Ebene des Landkreises ist in Zeiten von Corona das Gesundheitsamt. Hier können die Verantwortlichen eigene Konzepte verwirklichen. „Wir haben im Landkreis St. Wendel intensiv auf Kontaktverfolgungen gesetzt und ein eigenes Abstrich-Team organisiert“, reflektiert der Landrat. 104 Menschen sind mit dem Coronavirus infiziert, etwa 400 befinden sich aktuell in Quarantäne, eine Person ist gestorben. Zuletzt kamen im Schnitt vier bis fünf Neuinfizierungen pro Tag hinzu. „Es ist ein kontinuierlicher, aber flacher und damit vom Gesundheitssystem zu bewältigender Anstieg“, wertet Recktenwald. Auch dank der Ausgangsbeschränkungen, ist Amtsarzt Frank Bleymehl überzeugt. „Wenn wir diese Regelungen nicht hätten, hätten wir bei den Zahlen wohl einen stärkeren Anstieg.“

Es gibt nach Auffassung von Dirk Schäfer, Leiter des operativ-taktischen Stabs, eine Schlüsselsituation, die sich positiv auf die Fallzahlen ausgewirkt hat. Eine Reisegruppe mit 38 Personen war in Montafon (Österreich) unterwegs. Zu dieser habe der Landkreis noch während des Urlaubs Kontakt aufgenommen. „Und die Reisenden waren wiederum vernetzt mit anderen Skifahrern“, berichtet Schäfer. So kam es, dass sich knapp 70 Skifahrer bei der Rückkehr beim Gesundheitsamt meldeten. „Unter ihnen gab es viele positive Fälle. Wenn wir die nicht abgefangen hätten, würden wir jetzt über andere Zahlen reden.“

Andere Zahlen, nämlich deutlich höhere gegenüber dem Saarland mit 1162 Corona-Infizierten (16 Todesfälle) hat Bayern. Nach Angaben auf der Homepage des Bayerischen Landesamts für Gesundheit sind in dem am stärksten betroffenen Bundesland 19 153 Menschen positiv auf das Virus getestet worden (277 Todesfälle). Die bayrische Staatsregierung hat bereits am 16. März aufgrund der Corona-Pandemie den Katastrophenfall ausgelöst.

Wäre das auch hier denkbar? Prinzipiell, so erläutert Recktenwald, könnte auch das Saarland oder der Landkreis St. Wendel den Katastrophenfall auslösen. „Der führt zu veränderten Verantwortlichkeiten“, so Recktenwald. Im Saarland ist die oberste Katastrophenschutzbehörde das Innen-Ministerium, untere Katastrophenschutzbehörden sind die Landkreise. „Der Vorteil beim Katastrophenfall ist, dass Landkreis und Landrat dann die Oberhand über alle Einsatzkräfte haben“, erklärt Heiko Schneider vom Katastrophenschutz des Landkreises. Er nennt ein Beispiel: „Bei Hochwasser oder Unwetter in Gemeinden, kann der Landkreis den Katastrophenfall ausrufen und übernimmt in der Folge die Führung und die Kosten.“ Wegen der anfänglich schnell gestiegenen Zahlen von Corona-Infizierten im Landkreis und insbesondere wegen der Fälle im Team des St. Wendeler Marienkrankenhauses vor gut zwei Wochen, die zu einem zwischenzeitlichen Aufnahme-Stopp für Patienten führten, hätte es die Überlegung gegeben, den Katastrophenfall auszurufen, sagt Recktenwald. Doch in Absprache mit dem Land habe der Kreis darauf verzichtet. Die Klinik läuft seit einer Woche wieder im Normalmodus. Momentan sehe der Krisenstab keine Notwendigkeit für den Katastrophenfall, verdeutlicht Schäfer. „Es wäre jetzt ungünstig, weil es bereits Strukturen in den Landkreisen gibt. Durch den Katastrophenfall könnte einer zurückgeworfen und der andere überfordert werden“, begründet er.

Neben den Entscheidungsträgern sind in der Krise auch immer die Hilfsorganisationen gefordert. Nicht nur für Aufgaben, die unmittelbar mit der Pandemie zu tun haben, sondern auch was den Retter-Alltag betrifft. Wenn beispielsweise bei einem Brandeinsatz alles schnell gehen muss, gibt es da genügend Schutz? „Im Einsatz-Fall fährt das dafür nötige Personal raus. Wenn in einem Wagen für neun Feuerwehrleute Platz ist, sind dennoch höchstens fünf darin unterwegs. Darauf wird geachtet“, erklärt Schäfer. Teilweise hätten die Gemeinden wechselnde Feuerwehrschichten eingerichtet. „Masken – abgesehen von den Atemschutzmasken – sind schwierig bei einem Brandeinsatz“, sagt der Leiter des operativ-taktischen Stabs. Anders bei Einsätzen zur technischen Hilfe. Da werden laut Schäfer Masken getragen. Wie wichtig das ist, macht er anhand eines Beispiels deutlich. „Es gab einen Unfall zwischen Neunkirchen und Ottweiler, bei dem eine Person einge-
klemmt wurde. Diese war positiv auf Corona getestet und auf dem Weg in die Klinik.“ Die Einsatzkräfte seien für die besondere Situation wegen des Virus sensibilisiert. „Wir achten darauf, dass unsere Rettungskräfte gut ausgestattet sind – mit zertifiziertem Mundschutz“, betont zudem der Landrat.

Ein sonniges Wochenende steht bevor, in einer Woche wird Ostern gefeiert. Kanzlerin und Ministerpräsidenten haben deutlich gemacht, dass die aktuellen Regelungen auch über die Feiertage gelten. Trotzdem sind zuletzt auch Stimmen laut geworden, die anregten, über die Rückkehr in mehr Normalität und das Ende der Ausgangsbeschränkungen nachzudenken. Das hält Recktenwald für leichtfertig. „Intern in den Krisenstäben müssen wir uns Gedanken machen, wie es weitergehen wird“, sagt St. Wendels Landrat, „aber nicht öffentlich“. „Ich glaube nicht, dass es den Punkt gibt, an dem wieder alles normal ist. Es könnte vielmehr einen Wechsel zwischen Lockerungen und strengen Phasen geben.“ Solche Wellenentwicklungen mit Corona-Infektionen könne das Gesundheitssystem verkraften. „Es ist wichtig, den Leuten die Wahrheit zu sagen. Dass uns das Thema im Sommer beschäftigen wird“, macht Recktenwald deutlich. Er setze weiterhin auf die Vernunft der Leute, und die überwiegende Mehrheit lege diese auch an den Tag.

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