Leserreporter „Könnte schöner sein, könnte schlimmer sein“

St. Wendel · SZ-Leser-Reporter moniert den schlechten Zustand der Nikolaus-Obertreis Schule in St. Wendel. Die SZ hat sich an der Grundschule umgesehen.

 Das Gebäudeensemble der St. Wendeler Nikolaus-Obertreis Schule stammt aus den 1960-er Jahren. Der Sanierungsbedarf an der Grundschule, die nach Angaben der Stadtverwaltung zu den fünf größten im Saarland zählt, ist beträchtlich.

Das Gebäudeensemble der St. Wendeler Nikolaus-Obertreis Schule stammt aus den 1960-er Jahren. Der Sanierungsbedarf an der Grundschule, die nach Angaben der Stadtverwaltung zu den fünf größten im Saarland zählt, ist beträchtlich.

Foto: Thorsten Grim

22 Millionen Euro will der Kreis St. Wendel bis 2022 in seine Schulen investieren. So steht es im Schulentwicklungsplan, den der Kreistag im Dezember beschlossen hat. Das berichtete die Saarbrücker Zeitung. Wichtigste Aufgabe werde der Ausbau der gymnasialen Oberstufen und die Weiterentwicklung der gebundenen Ganztagsschulen sein, hieß es in dem Artikel. Das trieb Doktor Michel Saar, der in St. Wendel gemeinsam mit seiner Tochter eine Praxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe betreibt, die Zornesröte ins Gesicht. „Mit Interesse habe ich diesen Artikel gelesen und war am Ende fassungslos“, schrieb der Leser-Reporter daraufhin an die St. Wendeler Stadtverwaltung. Weiter heißt es in dem Brief, der gleichzeitig an die Saarbrücker Zeitung ging: „22 Millionen sollen für Schulen investiert werden, und für die sich in einem erbärmlichen Zustand befindliche Nikolaus-Obertreis-Grundschule soll erneut nichts getan werden.“ Der Mediziner fragt: „Sind die Politiker in Stadt und Kreis über den Zustand der Schule nicht informiert oder gar blind? Oder kommt dieses Geld aus einem anderen Topf und die Grundschulen bleiben außen vor?“

Doch, nein und ja, könnten komprimiert die Antworten auf diese Fragen lauten. „Wir wissen, dass an der Schule ein hoher Investitionsbedarf besteht“, räumt Bürgermeister Peter Klär (CDU) ein. Seine Verwaltung hat Doktor Saar geantwortet. Auch dieses Schreiben liegt der SZ vor. Darin wird zunächst klargestellt, dass die Millionen für weiterführende Schulen sind – investiert vom Landkreis, der Träger dieser Bildungseinrichtungen ist. In den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen hingegen die Grundschulen – und zwar alle im Stadtgebiet. Das sind neben der St. Wendeler die Grundschulen in Bliesen, Oberlinxweiler und Niederkirchen. In diese vier Schulen gehen insgesamt 700 Schüler, wobei die St. Wendeler die größte ist. Für den Betrieb der vier Grundschulen gebe St. Wendel jährlich 2,2 Millionen Euro aus. Aber: „Angesichts der schwierigen Haushaltslage und den damit verbundenen Sparzwängen sind langfristige Investitionen, welche nur mit einem enormen Kostenaufwand betrieben werden können, oft problematisch.“ Anstehende Sanierungsarbeiten „zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs“ würden aber stets durchgeführt. Das zeige die Renovierung der Sanitär-Anlagen Ende November des vergangenen Jahres.

Michael Saar macht diese Auskunft nicht glücklich. „Das ist doch Augenwischerei“, sagt er in einem Telefonat. „In meinen Augen ist diese Schule ein Schandfleck.“ Das habe er auch schon Innenminister Klaus Bouillon gesagt, mit dem der 70-Jährige vor vielen Jahren die Schulbank drückte. In dem 1909 gebauten historischen Schulgebäude. Dort ist heute die Nachmittagsbetreuung der Freiwilligen Ganzstagsschule untergebracht. Unterrichtet wird in dem in den 1960er-Jahren errichteten Erweiterungsbau.

Ortstermin an der Nikolaus-Obertreis Schule. Aus dem grauen, fast herbstlichen Januar-Himmel fallen Regentropfen. So viele, dass sich auf dem überwiegend schlecht asphaltierten Schulhof Pfützen gebildet haben. „Der Boden ist an einigen Stellen uneben“, sagt Schulleiter Benjamin Warken. Es klingt nicht nach einer Entschuldigung, sondern eher nach: Es ist wie es ist. „Könnte schöner sein, könnte schlimmer sein“, beschreibt er den Zustand seiner Schule. „Es gibt einen Sanierungsbedarf, das ist ja kein Geheimnis.“ Wobei er Wert darauf legt, dass vieles eher optischer Natur sei. „Das Grundlegende ist gemacht. Die Schultoiletten sind neuwertig, die Decken in den Klassenräumen wurden gestrichen, und es wurden neue Lampen aufgehängt. Die Flure bekamen ebenfalls einen neuen Anstrich, das Außendach ist neu, wir können so arbeiten.“ Er zeigt die Klassenzimmer, gewährt Einblick in die Sanitärräume, führt durch die Büros der Schulverwaltung und das Lehrerzimmer. Auch in die Schulturnhalle werfen wir einen Blick. Dort sind Wasserflecken an der Decke. „Die sind älteren Ursprungs. Das Dach ist inzwischen dicht“, sagt Warken. Das Parkett in der Halle ist in Ordnung, „die Geräte sind in einem Top-Zustand, die werden ja immer von Sachverständigen geprüft“, versichert der Schulleiter. Die Kippfenster an den großen Fenstern aus Glasbausteinen schließen. Etwas kühl ist es dennoch in der Halle. Die Fenster sind sogenannte Kältebrücken. „Aus energetischem Gesichtspunkt sind die Glasbaustein-Fenster vielleicht nicht die geschickteste Lösung.“

Als wir die Halle verlassen, fällt der Blick unweigerlich auf einen Absatz am Dach des Säulengangs. Mehrere Kabel verlaufen hier an der Wand. Allerdings nicht in einem Kabelkanal, sondern jedes für sich – das sieht hässlich aus. Genauso die gesprungenen Glasbausteine. „Der Zustand ist nicht der beste, aber es besteht keine Gefahr für die Kinder. Wenn das so wäre, wäre ich verpflichtet, den Bereich zu sperren und etwas zu unternehmen“, stellt Warken klar.

Apropos gesperrt. Das ist der Verbindungsgang von der Turnhalle zum Block II, in dem elf der insgesamt 16 Klassen untergebracht sind. Mit sechs Bauzaun-Elementen ist der Verbindungsgang abgesperrt. An einigen Stellen haben Arbeiter Putz abgeklopft. „Darin sind keine Räume, die wir für den Schulbetrieb brauchen.“ Allerdings könne das Gebäude nicht einfach abgerissen werden, „weil darunter Versorgungsleitungen laufen. Das geht nicht mal einfach so“.

Termin bei Bürgermeister Klär. Zu dem unschön eingezäunten Verbindungstrakt sagt er. „Den haben wir vorsichtshalber gesperrt, weil er sich abgesenkt hatte. Wir sind dabei zu überlegen, das Bauwerk zu beseitigen.“ An seine Stelle solle ein Rückzugsraum sowie eine Sanitäranlage für körperlich eingeschränkte Kinder kommen – Stichwort Inklusion. „Wir sind am Rechnen, ob hier ein Ersatzneubau Sinn macht oder ein Modul“, also ein mit Funktionsräumen ausgestatteter Container, erläutert St. Wendels Bürgermeister. So oder so sei es jedoch immer schwierig, an der Schule größere Baumaßnahmen anzugehen. Das gelte auch für eine energetische Sanierung. Die wäre nötig, denn die Fassaden sind größtenteils ungedämmt. Eine Million Euro, schätzt Klär, würde das kosten. Oder mehr, denn die Heizungsanlage ist aus den 1980-er Jahren – auch hier sei eine neue und energiesparende Anlage kein Luxus. „Aber es kann wegen des laufenden Betriebs immer nur in den Ferien gebaut werden“, erläutert der Verwaltungschef das Problem.

 Ein Absatz am Dach des Säulengangs. Kabel verlaufen hier an der Wand – nicht schön, aber ungefährlich. Genauso die gesprungenen Glasbausteine.

Ein Absatz am Dach des Säulengangs. Kabel verlaufen hier an der Wand – nicht schön, aber ungefährlich. Genauso die gesprungenen Glasbausteine.

Foto: Thorsten Grim
 Der mit Bauzaunelementen abgesperrte Verbindungsgang von der Turnhalle zum Block II. Auf dem Schulhof stehen die Wasserpfützen.

Der mit Bauzaunelementen abgesperrte Verbindungsgang von der Turnhalle zum Block II. Auf dem Schulhof stehen die Wasserpfützen.

Foto: Thorsten Grim
 Das ursprünglichen Schulgebäude der Nikolaus-Obertreis Schule.

Das ursprünglichen Schulgebäude der Nikolaus-Obertreis Schule.

Foto: Thorsten Grim

Überhaupt fragt sich Klär – und auch im Stadtentwicklungskonzept wird diese Frage aufgeworfen –, ob es sinnvoll sei, in den aktuellen Standort weiter zu investieren. Zu alt, zu eng und verkehrstechnisch problematisch, da mitten in einem Wohngebiet gelegen. Oder ob es nicht besser wäre, „jetzt nicht morgen oder übermorgen, aber doch in absehbarer Zeit“, über einen Neubau oder einen Umzug nachzudenken. Ob er dabei ein konkretes Objekt vor Augen hat, möchte Klär nicht sagen. Und die Finanzierung? Klär verweist einerseits auf das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz. Mit 3,5 Milliarden Euro unterstützt der Bund kommunale Investitionen zur Sanierung, zum Umbau und zur Erweiterung von Schulgebäuden. Andererseits „müsste im Saarland eh eine Schulbauoffensive gestartet werden. Jetzt wäre eine gute Zeit, denn in Berlin ist man sich einig, dass in Grundschulen investiert werden soll“. Es werde ja immer kolportiert, dass es keinen Bruch in der Bildungslinie geben dürfe. „Die Kindergärten sind gut, die weiterführenden Schulen sind gut, aber bei den Grundschulen gibt es Probleme.“ Doch nun setze ein Umdenken ein. Es gibt also Hoffnung für den vierfachen Großvater Saar, dass wenigstens die zwei jüngsten seiner Enkelkinder nicht mehr im „Schandfleck“ eingeschult werden.

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