Wochenkolumne Kleine Geschichte zur Emanzipation

Da, schon wieder. „Ey, Fo...!“ schallt es durch das geöffnete Dachfenster. Mir fällt der Kopf auf die Tastatur. Tiefe Verzweiflung bemächtigt sich meiner. Bestimmt schon 30 Mal hat der junge Mann nun lautstark zu verstehen gegeben, dass es ein Leichtes für ihn ist, die äußerlichen, primären weiblichen Geschlechtsorgane ganz vulgär beim Namen zu nennen – oder besser gesagt zu schreien.

Wochenkolumne: Kleine Geschichte zur Emanzipation
Foto: SZ/Robby Lorenz

„Ey, Fo...!“ Schon wieder. In meiner Halsschlagader pulsiert spürbar das Blut. Ich hebe mein Haupt von der Tastatur, stehe auf und schleppe mich zum offenen Fenster. Irgendwo da unten am Glashaus, das den Zugang zur Tiefgarage überdacht, sitzt oder steht der mit Testosteron übervolle Schreihals und grölt beseelt vor sich hin. Im Hintergrund läuft Techno-Musik, die sich anhört, als sei die CD hängen geblieben. „Fo...!“. Sträucher behindern meine Sicht, weshalb ich den Krakeler nicht genau ausmachen kann. Jedenfalls ist er nicht alleine. Eine ganze Gruppe hat sich dort versammelt. Die meisten sind junge Männer, aber auch junge Frauen sind dabei. „Ey, Fo...!“ Es möchte aus mir heraus brechen und tut es auch. Ich gebe lautstark zu verstehen, was ich von dem Gebaren der Jugendlichen halte. Gleich darauf habe ich ein schlechtes Gewissen. Was, wenn der junge Mann da unten gar nicht auf allerniedrigstem Niveau provozieren will, sondern einfach nur krank ist? Vielleicht leidet er unter einem Tourette-Syndrom? „Ey, Fo...!“ Wie auch immer, mein Ruf aus dem Fenster, so er denn gehört wurde, hat beim Plärrer und seinem Publikum keine spürbare Reaktion hervorgerufen. Ich gebe auf und schließe das Fenster – trotz der an diesem Tag sommerlichen Temperaturen. Doch noch immer ist sein Schreien zu hören. „Fo...“ Das kann doch nicht wahr sein! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jugend muss rebellieren und provozieren. Und ich selbst war in jungen Jahren alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Aber das hier? Was ist das? Und wieso wird der Schreihals von den Umstehenden nicht eingebremst? Finden die Mädels das gut, was dieser Typ von sich gibt? Das wäre erschreckend. Und mir drängt sich ein Bild auf: Irgendwann ist auch der schönste Plärr-Tag zu Ende und die Mitglieder der Fo...-Gruppe gehen ihrer Wege. Die Mädels schlendern gemeinsam über die Mott in Richtung Busbahnhof, unterhalten sich über die „süßen Jungs“ und plötzlich sagt eine: „Du, ich glaube, er mag mich.“ „Wie kommst Du darauf“, fragt eine andere? „Er hat mich so lieb Fo... genannt.“ Übrigens: Noch bis zum 29. September laufen in St. Wendel die Frauenkulturtage.

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