Krankenbesuch Vom Sorgenkind zum Wunderknaben

Homburg/Blieskastel · Die Aussicht auf Genesung stand für Weißstorch Paul nicht so gut, als er im Juli 2018 in die Wildtierauffangstation in den Saarpfalz-Kreis kam. Die Flügelspitze des Tieres war gebrochen. Jetzt hat Paul sich erholt und startet erste Ausflüge.

 Weißstorch Paul in seinem aktuellen Zuhause. In der Wildtierauffangstation in Blieskastel erholt er sich von einer Verletzung.

Weißstorch Paul in seinem aktuellen Zuhause. In der Wildtierauffangstation in Blieskastel erholt er sich von einer Verletzung.

Foto: Evelyn Schneider

Fast etwas schüchtern spitzt Weißstorch Paul hinter einem Unterstand hervor. Sein Übergangszuhause ist der Garten von Martin Hirsch. Dort hat der Vogel sogar einen kleinen Teich und viel Platz, um sich zu entfalten. Er kann jederzeit losfliegen. Es gibt keinen Zaun, keine Überdachung, die ihn daran hindern. Storch Paul schlägt mit seinen Flügeln. Ganz so, als wolle er demonstrieren, dass er wieder ganz gesund ist.

Martin Hirsch, der im benachbarten Blieskastel eine Wildtierrauffangstation für Vögel und Säugetiere betreibt, schaut lächelnd auf seinen Schützling. Der kam im Juli vergangenen Jahres als echtes Sorgenkind zu ihm. Denn die Handschwinge des im Mai in Werschweiler geschlüpften Jungstorchs war gebrochen. Kein frischer Bruch, sondern schon einige Wochen alt (wir berichteten). „Da besteht meist nur wenig Chance auf eine Heilung“, weiß Hirsch. Er erinnert sich noch, dass jenem unteren Teil des Flügels, der als Handschwinge bezeichnet wird, damals jeglicher Halt fehlte. Dennoch wollte der erfahrene Tierretter alles versuchen, um dem kleinen Adebar zu helfen. „Vielleicht gibt es ja ein Wunder“, dachte er damals und machte sich daran, die Handschwinge zu bandagieren. Nach vier Wochen löste er den Verband und alles schien gut. Doch einige Tage später bemerkte Hirsch, dass die Flügelspitze wieder an Halt verloren hatte. Erneut legte er Bandagen an, wartete wieder vier Wochen. Und dann gab es ein wirkliches Happy End. Der Flügel war stabil und ist es bis heute.

„Paul kann fliegen“, sagt Hirsch zufrieden. Doch traue sich der Storch noch wenig zu. Seine Verletzung kam just in der Phase, in der die Jungtiere in der Regel das Fliegen erlernen. Jetzt sei er eigentlich schon zu alt dafür. Der Experte glaubt an ein psychologisches Problem, denn körperlich ist Paul fit. Und so macht wohl am Ende nur die Übung den Meister.

Martin Hirsch beobachtet regelmäßig, wie Storch Paul die Treppen zum Balkon des Hauses hochstolziert und von dort aus in die Lüfte startet. Meist lege er nur eine kurze Strecke zurück, lande im Garten der Nachbarn. Doch ausgerechnet als Sturm Eberhard über das Saarland hinwegfegte, erlebte der Storch ein kleines Abenteuer. „Er saß wie üblich auf dem Balkon“, erinnert sich Hirsch. Dann sei er plötzlich weg gewesen. Für Stunden. In der Regel wird die Auffangstation benachrichtigt, wenn das Tier in der Umgebung gesichtet wird. Paul ist bekannt. Doch dieses Mal schwieg das Telefon. Martin Hirsch setzte sich ins Auto, fuhr die Gegend ab. Nichts. Auch über Nacht kam Paul nicht nach Hause. War ihm etwas zugestoßen? Am nächsten Morgen setzte Hirsch die Suche fort. Wieder ohne Ergebnis. Erst 24 quälende Stunden später kam der Anruf. Etwa einen Kilometer von der Wildtierauffangstation entfernt stolziere ein Storch umher: Paul.

Seit diesem stürmischen Erlebnis genießt der Jungstorch den sicheren Garten, wagt sich wieder nur auf kurze Ausflüge. Paul reckt den Kopf. Über dem Gelände kreist ein Milan. „Ihn und einen Artgenossen habe ich vor zwei Jahren aufgezogen“, erinnert sich Hirsch. Seither kämen die Greifvögel regelmäßig vorbei. „Wenn Paul die Milane sieht, ist er ganz aufgeregt“, sagt Hirsch. Es sieht auch majestätisch aus, wie die Tiere elegant durch die Lüfte gleiten. Martin Hirsch wünscht sich für Weißstorch Paul, dass er mutiger wird und sich eines Tages ein eigenes Zuhause sucht. Ob er jemals mit den Artgenossen auf die weite Reise gen Süden starten kann, sei fraglich. Vielleicht überwintere er einfach in Deutschland und schaue in den kalten Monaten bei Familie Hirsch vorbei. Die, das ist sicher, würde ihn gerne wieder aufnehmen und durchfüttern.

 Jungstorch Paul in seinem Nest in Werschweiler. Er breitet seine Flügel aus. So wird seine Verletzung an der Handschwinge sichtbar.

Jungstorch Paul in seinem Nest in Werschweiler. Er breitet seine Flügel aus. So wird seine Verletzung an der Handschwinge sichtbar.

Foto: Richard Linxweiler
 Sie kauern dicht beieinander – die drei Jungstörche, die im Mai vergangenen Jahres in Werschweiler geschlüpft sind.

Sie kauern dicht beieinander – die drei Jungstörche, die im Mai vergangenen Jahres in Werschweiler geschlüpft sind.

Foto: B&K/Bonenberger/
 Er kann es: Weißstorch Paul schlägt mit den Flügeln.

Er kann es: Weißstorch Paul schlägt mit den Flügeln.

Foto: Evelyn Schneider

Während Paul bei seinem Pflegepapa in Blieskastel lebt, ist sein biologischer Vater, Weißstorch Jean-Jacques, aus dem Winterquartier ins St. Wendeler Land zurückgekehrt. Auf seinem Horst in Werschweiler bereitet er mit Storchendame Lady Gaga das Nest für den künftigen Nachwuchs. An jener Stelle ist im Mai des vergangenen Jahres auch Paul als eines von vier Küken geschlüpft. Zwei Babystörche starben, so dass sich am Ende nur noch die Brüder Peter und Paul das Nest teilten. Kurz nach den ersten Flugversuchen der beiden wurde Pauls Verletzung sichtbar. Doch glücklicherweise ist aus dem Sorgen- ein Wunderkind geworden.

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