„Wagner-Bürckel-Aktion“ Wenn die Opfer Namen erhalten

St. Wendel · Zum 80. Mal jährt sich am 22. Oktober die sogenannte „Wagner-Bürckel-Aktion“. Damals wurde auch Juden aus dem Landkreis St. Wendel ins Internierungslager Gurs deportiert.

 Im Herbst 1940 wurden die saarländischen Juden ins Lager Gurs in Frankreich deportiert.

Im Herbst 1940 wurden die saarländischen Juden ins Lager Gurs in Frankreich deportiert.

Foto: das bilderwerk/uli barbian

Die aktuell steigenden Infektionszahlen haben dazu geführt, dass die in St. Wendel geplante Veranstaltung abgesagt werden musste. Doch das Datum und das Gedenken bleiben. Zum 80. Mal jährt sich die sogenannte „Wagner-Bürckel-Aktion“. Am 22. Oktober 1940 wurden 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland in das Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen deportiert. Diese Maßnahme ging von Josef Bürckel, Gauleiter Saarpfalz, und Robert Wagner, Gauleiter Baden, aus und sah vor, alle Juden aus ihrem Machtreich zu vertreiben. Nach Angaben der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes wurden während der nach ihnen benannten „Wagner-Bürckel-Aktion“ auch 134 Juden aus dem Saarland in das Lager Gurs verschleppt.

Als ab August 1942 die Deportationen in die Vernichtungslager im besetzten Osteuropa begannen, wurden auch die in Gurs internierten Saarländer in das Sammellager Drancy bei Paris gebracht. Von dort ging es in das Vernichtungslager Auschwitz.. 78 jener saarländischen Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppt wurden, wurden ermordet. 30 Menschen überlebten, darunter zwei in Auschwitz, oder konnten nach Übersee fliehen.

Aus der Stadt St. Wendel wurden am 22. Oktober 1940 das Ehepaar Eduard und Hermine Reinheimer mit ihrer Tochter Ilse verschleppt sowie die verwitwete Geschäftsfrau Erna Berl. Die Familie Reinheimer und Erna Berl wurden im August 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Aus Tholey wurden am 22. Oktober 1940 Moses und Berta Isaak sowie ihre Tochter Veronika Katz, die in der Pfalz lebte und gerade ihre Eltern besuchte, nach Gurs deportiert. Moses Isaak verstarb 1942 im Lager Récébédou (Frankreich). Seine Frau Berta konnte aus dem Lager fliehen und nahm sich im selben Jahr in Chaponost (Frankreich) das Leben. Veronika Katz wurde nach Ausschwitz deportiert und ermordet.

Ebenfalls am 2. Oktober 1940 wurde aus Tholey auch das Ehepaar Jakob und Johanna Lion nach Gurs gebracht, von dort in das Lager Récébédou bei Toulouse. Mit Hilfe ihrer in den USA lebenden Kinder konnte das Ehepaar Lion 31. Dezember 1941 in die USA auswandern, wo Jakob Lion 1953 und seine Frau 1963 verstarben.

Zu den in Gurs internierten Menschen aus dem Landkreis St. Wendel gehörte ebenso das Ehepaar Jenny und Louis Vo(o)s aus Tholey, das nach Antwerpen emigriert war und von dort nach Gurs kam. Beide wurden in Auschwitz ermordet. Der Metzger Julius Bermann aus Tholey war mit Ehefrau Friederike und Sohn Manfred 1939 nach Belgien ausgewandert. Die Familie war 1940 in Gurs. Während die Eltern 1942 nach Auschwitz deportiert wurden, kam Sohn Manfred in ein Kinderheim und wurde bis zur Befreiung versteckt. Er wanderte 1953 in die USA aus. In Gurs war auch das Ehepaar Lanz interniert, das in St. Wendel ein Schuhgeschäft führte. Beide wurden 1939 nach Frankreich ausgewiesen. Während Rüfka Lanz 1947 nach Israel emigrierte und dort wieder heiratete, wurde ihr Mann 1943 von Gurs nach Sobibor verschleppt und ermordet.

Saarländische Juden, die nach der Rückgliederung des Saargebietes an NS-Deutschland 1935 nach Frankreich, Belgien, die Niederlande oder Luxemburg oder spätestens nach dem Pogrom am 9. November 1938 emigrierten, wurden nach Kriegsbeginn 1939, vor allem aber nach dem Überfall im Mai 1940 auf Frankreich und die Benelux-Länder, als „feindliche Ausländer“ in Gurs interniert. Das galt auch für Saarländer, die als Gegner des Nationalsozialismus 1935 emigrierten, um der Verfolgung zu entgehen. Darunter waren Männer und Frauen, die sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen hatten. Nach dem Sieg der Truppen General Francos flohen sie im Februar 1939 über die Pyrenäen nach Frankreich. Im April wurde für sie nahe dem Dorf Gurs ein Auffanglager für die aus Spanien Geflüchteten errichtet. Viele der Internierten traten in die Fremdenlegion ein, verpflichteten sich für Arbeitskommandos und wurden nach 1940 an Deutschland ausgeliefert und dort in Konzentrationslager eingewiesen. Andere überlebten versteckt oder unter falschem Namen in Frankreich. Zu den in Gurs aus dem Kreis St. Wendel Internierten gehörten auch Peter Reindorf, der in den Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm oder Georg Eckert, der 1941 an Deutschland ausgeliefert worden war.

Der Historiker und ehemalige Leiter des Instituts für Pfälzische Landesgeschichte und Volkskunde Roland Paul hat bereits für die am 22. Oktober 1940 aus der Pfalz deportierten Juden die im Departementsarchiv in Pau aufbewahrte Lagerkartei ausgewertet. Im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung Saarland ging er im vergangenen Jahr diese Aufgabe an und ermittelte alle in Gurs internierten Saarländer. Seine Recherchen ergaben, dass rund 500 Menschen aus dem Saarland seit 1939 in Gurs interniert waren. Derzeit befindet sich bei der Landeszentrale für politische Bildung eine entsprechende Datenbank im Aufbau.

 Dieser Stolperstein in der  St. Wendeler Schloßstraße  erinnert  an Erna Berl,  geborene  Herz. Sie gehörte zu den Juden, die 1940 nach  Gurs depotiert wurden.

Dieser Stolperstein in der St. Wendeler Schloßstraße erinnert an Erna Berl, geborene Herz. Sie gehörte zu den Juden, die 1940 nach Gurs depotiert wurden.

Foto: B&K/Bonenberger/

Die zum 80. Jahrestag der „Wagner-Bürckel-Aktion“ geplante Ausstellung unter dem Titel „Gurs 1940. Deportation und Ermordung südwestdeutscher Jüdinnen und Juden“ ist aufrund der Corona-Pandemie auf nächstes Jahr verschoben. Voraussichtlich ab 8. April soll sie in allen Landkreisen und im Regionalverband gezeigt werden.

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