Eltern auf Probe

St Wendel · Wie fühlt es sich an, ein Baby zu haben? Dieses Experiment machten diese Woche die Schüler der Berufsgrundschule am BBZ in St. Wendel. Eine Woche kümmerten sie sich um eine programmierte Puppe. Windeln wechseln, Fläschchen geben, knuddeln – all das stand auf dem Stundenplan.

 Die jungen Teilnehmer hatten unter anderem mit anstrengenden Nächten zu kämpfen. Fotos: B&K

Die jungen Teilnehmer hatten unter anderem mit anstrengenden Nächten zu kämpfen. Fotos: B&K

"Einige gehen jetzt auf dem Zahnfleisch", beschreibt Rita Webers, Fachlehrerin für Pflegepraxis am Berufsbildungszentrum St. Wendel , den Zustand der Schüler der Klasse BGS 10.2. Denn in dieser Woche warensie nicht nur Schüler , sondern auch Eltern - dank des Projektes "Babybedenkzeit" der katholischen Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen im Saarland. Fünf Tage lang kümmerten sich 13 Jugendliche und sechs Babys - programmierte Puppen , die versorgt werden mussten. Wie die Plastik-Säuglinge behandelt wurden, das zeichnete ein Chip auf. Dieser wurde am Freitag zum Abschluss des Projektes ausgewertet.

Windeln wechseln war angesagt, Flasche geben, "bobbeln", wie es Schülerin Zandra Neustraß aus Stennweiler ausdrückt. Der 16-Jährigen gefiel das Projekt, sie würde ihren kleinen Ben gerne noch länger behalten. Ihre Begründung: "Ben ist sehr pflegeleicht, und das Projekt bringt neue Erfahrungen." Sie hatte besonderes Glück: Einmal schlief ihr "Neugeborenes" sogar durch.

Ob der Simulator viel schreit, oft Hunger hat oder lieber friedlich im Bettchen liegt, das bestimmt die Programmierung. 15 Tagesabläufe können vorgegeben werden - von einem Baby, das sich alle vier Stunden mal meldet, bis zu einem, das ständig wach wird. "Jeden Tag gibt es einen anderen Rhythmus", erklärt Ulrike Lang, Leiterin der Schwangerenberatungsstelle St. Wendel , die gemeinsam mit Carina Keßler-Beierschmitt das Projekt leitete. Die Extreme wurden dabei ausgelassen. Beispielsweise gab es unter den sechs Simulatoren, die in St. Wendel eingesetzt wurden, keine Schreikinder. Dazu Jung: "Wir wollen die Schüler ja nicht in den Wahnsinn treiben." Aber die eine oder andere lebhafte Nacht war doch dabei. Fabian Freude aus Oberkirchen berichtet von einer "anstrengenden Nacht". Bei ihm war es ein technisches Problem. Zur Puppe gehörten neben einer Trage, einem Schlafsack und einer Flasche auch zwei Windeln, die abwechselnd verwendet werden sollen. Allerdings hatten die Schüler die Windeln verwechselt - also hatte die Puppe das Gefühl, die Windel wurde nicht gewechselt. Die Folge: Das Kind schrie immer wieder. Auch Annika Brücher aus Ottweiler zeigte sich an einem Morgen sehr müde, weil ihr Baby sie in der Nacht wachgehalten hatte: "Jede Stunde hat es geweint." Einmal fühlte sie sich überfordert, rief die Notruf-Handynummer der Leiterinnen an. Keßler-Baierschmitt sagt: "Bei Problemen sind wir 24 Stunden am Tag erreichbar." Meistens könnten sie bereits am Telefon helfen, "bei Bedarf fahren wir auch um 3 Uhr in der Nacht raus".

Ein Anruf kam auch von Fabian Freude. Er ist bei der Feuerwehr und informierte die Damen, dass er sein Armband, an dem der Chip befestigt ist, seiner Mutter geben werde, weil er einen Einsatz habe. Normalerweise ist das Weitergeben des Chips nicht erlaubt, in diesem Fall drückten die Leiterinnen aber ein Auge zu. "Weil es in der Realität genau so vorkommen kann", sagt Keßler-Baierschmitt.Ganz realistisch erlebte auch Saskia Scherer aus St. Wendel das Projekt. Sie ist im siebten Monat schwanger. Zum ersten Mal sei eine Schwangere bei dem Projekt dabei, betont Jung. Der 16-Jährigen machte der Film über eine Geburt, den sie in dieser Projektwoche anschaute, Sorgen: "Ich habe etwas Angst vor der Geburt." Interessant fand sie hingegen die Kreißsaal-Besichtigung im Marienkrankenhaus. Saskia wurde nur als "Patentante" eingeteilt, sie bekam kein Simulator-Baby mit nach Hause. Das erklärt Keßler-Beierschmitt so: "Sie soll sich auf ihre Schwangerschaft konzentrieren und nicht eine Bindung zu dem Simulator aufbauen." Diese sei nicht zu unterschätzen. Es gebe Kurse - das Projekt gibt es seit mehr als zehn Jahren im Saarland -, da fließen Tränen. Andere hingegen "geben mit einem Lachen das Kind ab; froh, kein Wochenende mit Babygeschrei zu haben", sagte Jung.

Meinung:

Fürs Leben lernen!

 Noah mit seinem Plastik-Baby. Die programmierte Puppe simuliert alle Bedürfnisse eines Neugeborenen.

Noah mit seinem Plastik-Baby. Die programmierte Puppe simuliert alle Bedürfnisse eines Neugeborenen.

Von SZ-RedakteurinMelanie Mai

Mal ehrlich - welche Themen sind aus Ihrer Schulzeit hängen geblieben? Unendlichkeitsrechnung? Gedichtsinterpretationen? Die Zahlungsmittel der Römer? Nein, es sind die praktischen Dinge. Die man später im Alltag noch braucht. Das sind nicht nur Rechtschreibung und Dreisatz. Aber leider kommen lebensnahe Themen in der Schule oft zu kurz. Zu meiner Schulzeit wurde das Fach "Familienhauswesen" stets belächelt. Heute sage ich: Dieses Fach hat mir für mein späteres Leben wirklich etwas gebracht. Der Baby-Kurs ist auch so eine Sache. Vielleicht nimmt ihn nicht jeder so ernst. Aber mit Sicherheit werden sich die Jugendlichen später noch einmal an das Gelernte erinnern, wenn sie selbst Kinder haben. Solche alltagstauglichen Thmen sollten öfter einen Platz im Unterricht finden.

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