Abseits der Magie Eng war es auf dem Heiligen Berg

Oberlinxweiler · Der Zauberer Martin Mathias hat ein Buch über seine Zeit als Schüler des St. Wendeler Missionshauses geschrieben.

 Der frühere Missionshaus-Schüler Martin Mathias wollte als Erwachsener ursprünglich einmal Priester werden.

Der frühere Missionshaus-Schüler Martin Mathias wollte als Erwachsener ursprünglich einmal Priester werden.

Foto: Frank Faber

Für den bekannten Zauberer Martin Mathias bedeutet Magie, sein Publikum aus seinem Alltag in eine Wunderwelt der Illusionen zu entführen. Aber die wenigsten wissen: Im Kindesalter sei er ein Gefangener der damaligen Zeit, seiner Gedanken und Gefühle gewesen. „Es war der Zeitgeist der 1950er-Jahre, es war die Macht der katholischen Kirche, die uns knebelte und knechtete“, sagt Mathias heute. Über sein Leben und die Erfahrungen als Schüler des St. Wendeler Missionshauses hat der 72-Jährige nun das Buch „Der Heilige Berg – Gefangen in der Gottesburg“ veröffentlicht.

Ursprünglich wollte der Schüler Mathias als Erwachsener Priester werden. Er wollte Pater werden mit dem Ziel, später in die Mission geschickt zu werden. Doch das Leben in einem Kloster sei für ihn dann die Steigerung eines geistigen und moralischen Korsetts gewesen. „Eine richtige Qual“, meint er rückblickend. Von 1958 bis 1964 sei er Zögling im Missionshaus gewesen.

Zum Schreiben sei er gekommen, nachdem ihm sein Freund, Zauberpater Hermann Bickel, das Buch „Lehrjahre in St. Wendel und St. Augustin – Fragmente der Erinnerung“ in die Hand drückte. Der Autor des Buches, Josef Quack, drückte drei Jahre vor Mathias im Missionshaus die Schulbank. „Und es ist fast nicht zu glauben, wie unterschiedlich wir die Dinge gesehen und empfunden haben“, vergleicht Mathias. Sein Schülerleben hatte völlig andere Schwerpunkte als das von Quack. Sport war das Ding von Mathias, wovon ihn auch „zwei Komissköppe“ nicht abhalten konnten.

In der Untertertia (entspricht der achten Klasse, Anm. der Red.) sei er nicht versetzt worden. „Die ganze Schule schaute nach diesem Versager, ein Schamgefühl von einer Intensität, wie es sich die meisten Menschen heutzutage nicht mehr vorstellen können“, schreibt er im Buch. Das Klavierspiel wollte er erlernen, aber: „Wenn du mal in Griechisch und Latein bessere Noten hast, kannst du wieder zu mir kommen und nachfragen“, habe Pater Präfekt Pulch seinen Wunsch abschlägig beschieden.

Und dann die Sexualität. Sex sei damals dermaßen tabuisiert gewesen, „dass wir Kinder gar nicht darüber gesprochen haben“. Er und seine Mitschüler hätten sich „in Grund und Boden geschämt, Worte wie Geschlechtsverkehr, Masturbieren, Glied oder gar Scheide in den Mund zu nehmen“, sagt Mathias. Masturbieren sei ja nach dem Kirchenrecht ein schweres Vergehen gewesen, eine schwere Sünde, so wie am Sonntag einen Gottesdienst zu verpassen oder jemanden umzubringen.

„Wenn wir im Sommer klassenweise ins hauseigene Schwimmbad gingen, legten wir beim Umziehen sorgfältig das Handtuch über den Unterleib und zogen darunter ganz heimlich die Unterhose aus“, schildert er. Und der Autor gesteht: „Ich habe Jahre gebraucht, um mich aus diesem Kokon, aus dieser Knebelung zu befreien.“ Allerdings habe er vom Missbrauch von Schutzbefohlenen, weswegen die katholische Kirche auch hinter St. Wendeler Klostermauern in die Kritik geraten ist, nichts mitbekommen. Dafür habe er noch Jahre nach seiner Zeit im Missionshaus über Probleme mit der Potenz geklagt, deren Ursachen rein im Psychischen gelegen hätten. „Wenn ich meine Sexualität nicht hätte erfahren, erleben und ausleben dürfen, wäre ich wohl verrückt geworden.“

Sein Buch über die Erlebnisse auf dem Heiligen Berg soll keine Schuldzuweisung, keine Abrechnung oder ein Nachtreten sein. „Es ist Vergangenheitsbewältigung. Ab meinen 70. Lebensjahr wollte ich eh reflektieren, was war denn da eigentlich?“, erläutert Mathias. Und in seinem Werk zeichnet er diesen Weg nach und lässt lange offen, ob sich ein ehemaliger, indoktrinierter Klosterschüler aus einem moralischen Käfig befreien kann. Was für den Deutschen Meister im Zaubern für Kinder auf der Bühne heute eine seiner leichtesten Übungen ist.

 So ist Martin Mathias bekannt: als Zauberer.

So ist Martin Mathias bekannt: als Zauberer.

Foto: Franz Rudolf Klos/Stiftung Hospital/Franz Rudolf Klos

„Der Heilige Berg“ Gefangen in der Gottesburg 1958-1964, 192 Seiten, von Martin Mathias. ISBN-13: 9783750415591, Verlag: Books on Demand, Preis: 17.50 Euro, E-Book: 9,49 Euro, Erhältlich ist das Buch auch bei Stop and go in Oberlinxweiler, Jakob-Stol-Straße und E-mail: Info@martin-mathias.de

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