Letzte Lieder Die letzten Lieder in einem Leben

Oberlinxweiler · Sterbende haben mit Stefan Weiller über die Musik ihres Lebens gesprochen. Davon berichtete er in einem Vortrag.

 Stefan Weiller erzählte seinen Zuhörern in der Oberlinxweiler Kulturscheune eindrucksvoll von Sterbenden und der Musik ihres Lebens.

Stefan Weiller erzählte seinen Zuhörern in der Oberlinxweiler Kulturscheune eindrucksvoll von Sterbenden und der Musik ihres Lebens.

Foto: Frank Faber

Stefan Weiller besuchte Sterbende. Er unterhielt sich mit den Hospiz-Bewohnern über das Leben, das Sterben – und über die Musik, die sie in ihrem Leben und an dessen Ende bewegt hat. In der Oberlinxweiler Kulturscheune erzählte der 47-jährige Autor den 60 Zuhörern Geschichten aus seinem im Februar veröffentlichtem Buch „Letzte Lieder – Sterbende erzählen von der Musik ihres Lebens“.

Jedes Leben hat einen Soundtrack, doch welche Platte läuft, wenn das Leben an seinem Ende angekommen ist? „Der Tod gilt eines der größten Tabuthemen unserer Gesellschaft“, sagt Schriftsteller Weiller eingangs. Bei Hospiz denke man an Traurigkeit, Düsternis und eine bedrückende Atmosphäre. Weiller machte andere Erfahrungen und beschreibt in seinem Buch auch fröhliche und ausgelassene Treffen mit sterbenskranken Menschen. Als freier Journalist besuchte er für den Wiesbadener Kurier eine Frau im Hospiz. Befangen sei er dabei schon gewesen, und als er die Tür öffnet, schallt ihm das Lied „Immer wieder sonntags“ von Cindy und Bert entgegen. Mit den Worten „Nehmen sie Platz. Stört sie die Musik“, hat die Frau den Autor empfangen. Dies sei für ihn der Ausgangspunkt für ein Buch und ein ganzes Projekt gewesen. „Denn eine Begegnung mit Sterbenden lässt sich nicht in 100 Zeitungszeilen wiedergeben“, erklärt der gebürtige Herxheimer. In Hospizen von Schleswig-Holstein bis Bayern interviewte er anschließend 154 Menschen im Alter zwischen 20 und 90 Jahren.

Ein Gesunder befragt Schwerstkranke, die die Welt bald verlassen müssen, welches Lied in ihnen klingt, welches geblieben ist und welches alle hören, wenn getrauert wird. „Nichts wurde aufgezeichnet, die zentrale Disziplin für mich war Zuhören“, so Weiller. Eine 61-Jährige aus Hamburg berichtete ihm, dass sie keine Angst, keine Schmerzen und keine Qual vor dem Tod verspüre. Woanders bekam Weiller den Song „Stark wie zwei“ von Udo Lindenberg vorgespielt oder die Neil-Young-Nummer „Heart of Gold“. Ein 20-Jähriger habe vor dem Studium alles ausprobiert. Wut oder Neid habe sich bei ihm nun nicht breitgemacht. „Besser ein Kurzfilm als ein öder Langfilm“, beschrieb er dem Sozialpädagogen sein kurzes Leben. Weiller fand heraus, dass die Menschen allgemein zu schnell vom Sterben sprechen. Er bevorzugt den Begriff vom Lebensende: „Auch beim nahenden Tod ist es immer noch Leben. Ich bin immer noch da, kann entscheiden, kann gestalten“.

Anfang 50 war eine Frau, die ein Jahr zuvor ihren Mann durch Krebs verloren hat. „California Blue von Roy Orbison“, hat sie auf Weillers Frage nach dem Lieblingsstück geantwortet: „Das war unser Lied“, sagt sie und glaubte fest daran, es bald wieder mit ihrem Mann in einer anderen Welt zu hören. „Sie war sich sicher, dass er sie abholen wird, damit sie nicht ins Nichts fällt“, schildert Weiller. Für eine betagte Jüdin sei das Lied „A jiddische Mame“ von tiefer Bedeutung gewesen. Im Lager ist sie von ihrer Mutter getrennt worden, die sie später als fremde Frau wiedersieht. „Sie wusste noch genau, wie erleichtert sie nach dem Kriege war, als sie das Lied zum ersten Mal wieder hörte, als es straffrei wieder gespielt und gesungen werden durfte“, so Weiller. Aus den bewegenden und emotionalen Momenten mit den Menschen, die im Hospiz gestorben sind, hat der in Frankfurt/Main lebende Autor mittlerweile ein Kunst- und Musikprojekt kreiert, das in großen Kirchen aufgeführt wird. Die Vermächtnisse seiner verstorbenen Gesprächspartner bringt Weiller in der Konzertreihe „. . .und die Welt steht still“ erfolgreich auf die Bühne: Bei seinen viel besuchten Veranstaltungen lesen prominente Schauspieler mit Orchester-Begleitung vor –  so entstehen sehr persönliche, bewegende Erinnerungen.

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