Aktionstag Die Hand oder auch mal die letzte Zigarette reichen

St. Wendel · Zehn Jahre Palliativ-Station im St. Wendeler Marienkrankenhaus. Das ist Anlass eines Informationstages an diesem Samstag.

 Ihnen die Hand reichen: Patienten in ihren letzten Lebenstagen zu begleiten, ist für Dr. Marianne Meier, Leitende Ärztin der Palliativ-Station, mehr als nur die medizinische Versorgung.

Ihnen die Hand reichen: Patienten in ihren letzten Lebenstagen zu begleiten, ist für Dr. Marianne Meier, Leitende Ärztin der Palliativ-Station, mehr als nur die medizinische Versorgung.

Foto: Mario Leinen

Noch einmal Schokoladeneis schmecken, einen Eiswürfel aus gefrorenem Sekt im Mund zergehen lassen oder eine letzte Zigarette rauchen – auch um diese vermeintlich kleinen Wünsche der Patienten geht es auf der Palliativ-Station im St. Wendeler Marienkrankenhaus. Seit zehn Jahren kümmert sich das interdisziplinäre Team dort um die medizinischen und menschlichen Bedürfnisse Schwerstkranker.

Den runden Geburtstag hat die Klinik zum Anlass genommen, einen Palliativ-Tag zu organisieren. Zunächst steht an diesem Samstag, 5. Mai, am Vormittag eine Fachtagung auf dem Programm. „Lachen bis zum Schluss“ und „Spiritualität am Lebensende“ sind die Themen. Der zweite Teil des Tages stehen allen offen. Im Foyer des Marienkrankenhauses werden von 14 bis 17 Uhr Infostände rund um das Thema Palliativmedizin aufgebaut. Außerdem sind Führungen durch die Station geplant.

Dr. Marianne Meier, Leitende Ärztin der Station, öffnet die Tür zu einem der Einzelzimmer. Sieben gibt es mittlerweile. „Als im April 2008 die ersten Patienten hierher kamen, gab es lediglich vier Betten“, erinnert sich die Medizinerin zurück. Anfangs hätte es lange Wartelisten gegeben. Inzwischen gebe es nur noch kurzfristig Wartezeiten. Das liegt auch daran, dass die Station phasenweise auf Betten der Beleg-
ärzte nebenan zurückgreifen kann. Dr. Meier spricht im Bereich der Palliativmedizin von einem „gut ineinander greifenden Versorgungsnetz im Saarland“.

Das Zimmer ist hell, wirkt freundlich. Ein Bett, ein Tisch samt Stühlen und ein Fernseher gehören zur Einrichtung. Auch ein eigenes kleines Badezimmer findet darin Platz. „Wir haben auch die Möglichkeit, ein zweites Bett oder einen gemütlichen Sessel dazu zu stellen“, sagt Dr. Meier und deutet auf eine freie Fläche. Raum ist auch, um Vertrautes mitzubringen. Wie den CD-Player oder den Plattenspieler mit der liebsten Musik. Dank der Einzelzimmer soll eine Rückzugs-Atmosphäre geschaffen werden, wie die Ärztin sagt. Besucht werden können die Patienten rund um die Uhr.

Ein paar Schritte weiter über den Gang geht es in den Besprechungsraum, dessen Einrichtung erst einmal überrascht. Ein großer Tisch, umgeben von einer bequemen Polster-Eckbank, nimmt einen Großteil des Raumes ein. Auch eine Küchenzeile gibt es hier. „Wir nennen es unser Wohnzimmer“, sagt Dr. Meier und lächelt. In diesem Raum kommt nicht nur das Stationsteam zusammen, um sich auszutauschen. Er ist auch Treffpunkt für die Patienten und ihre Liebsten. „Hier werden schon mal Geburtstage oder auch Weihnachten gefeiert“, sagt Meier. In diesem Zusammenhang fallen der Medizinerin auch zwei besondere Feste ein. „In der zehnjährigen Geschichte der Station gab es zwei Hochzeiten.“ Das ganze Team hätte geholfen, diese besonderen Momente mitzugestalten. Die Patienten in ihrer letzten Lebenszeit zu begleiten – das sei mehr, als nur die medizinische Betreuung.

Menschen mit fortgeschrittenen Krebs- oder chronischen Erkrankungen gehören zu den Patienten auf der Palliativ-Station. „Wenn die Beschwerden ambulant nicht mehr zu bewältigen sind, werden die Erkrankten hier stationär aufgenommen“, erklärt Dr. Meier. Teilweise kämen sie aber auch von anderen Stationen der Klinik. In manchen Fällen, so erläutert die Medizinerin, genüge es, die medikamentöse Therapie neu einzustellen, sodass die Patienten zurück nach Hause können. „Wir schauen, welche Hilfsmittel benötigt werden, dann können die Betreuungsteams vor Ort übernehmen.“

Wie lange die Patienten auf der Palliativ-Station bleiben, ist sehr unterschiedlich. Im vergangenen Jahr habe die durchschnittliche Verweildauer zwischen acht und neun Tage betragen. „Teilweise werden Patienten von hier aus ins stationäre Hospiz verlegt“, sagt Dr. Meier. Es sind ausschließlich Erwachsene, die von dem Team betreut werden, zwischen 50 und 70 Jahren oder älter. Jüngere Menschen unter 30 sind die Ausnahme. Für jeden Schwerstkranken, der neu auf die Station kommt, gibt es einen Fragenkatalog, der sich zum einen mit den Beschwerden, zum anderen aber auch mit den Erwartungen des Patienten beschäftigt. „Wir schauen bei jedem Patient: Wo steht er, welche Erwartungen hat er und welche davon können realistischerweise erfüllt werden.“ Lebensqualität – das definiere sich für den einzelnen ganz unterschiedlich. Eine Regel gelte aber am Lebensende für alle: „Die Wörter ‚müssen’ und ‚sollen’ verlieren an Bedeutung, ein Patient darf und kann.“

Im Alltag auf der Station hat Dr. Marianne Meier auch schon erlebt, dass es Patienten kurz nach der Einlieferung besser ging als zuvor. Und das, obwohl medikamentös nichts verändert wurde. „Das liegt dann häufig daran, dass die Ängste weg sind, weil Hilfe nur einen Knopfdruck entfernt ist“, weiß die Medizinerin.

Schmerzarm die verbleibende Zeit verbringen, das will das Palliativ-Team den Menschen ermöglichen. Teils hätten die Medikamente jedoch Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Schläfrigkeit. „Es gibt Patienten, die uns sagen: Wir können das im Wachzustand nicht mehr ertragen“, berichtet Dr. Meier. Oft spiele dabei die Angst vorm Ersticken eine Rolle, die – so die Erfahrung der Ärztin – größer sei als die vorm Tod.

Wenn Patienten nicht mehr ansprechbar sind, ist das oft belastend für die Angehörigen. „Und so sind wir im Team auch manchmal Vermittler“, sagt Dr. Meier. Sie hält es für wichtig, dass der Patient und seine Liebsten auf dem gleichen Wissensstand sind. Ein offener Umgang mache vieles leichter. Dass manche Menschen lieber nicht allzu viele Details haben wollen, wie es mit ihnen weitergeht, wird respektiert. Aber es gelte eine Regel auf der Station: „Wenn ein Patient konkret fragt, erhält er Antworten. Wir wollen keine Hoffnung nehmen, aber wir versprechen auch nichts, was nicht einzuhalten ist.“ Nicht mehr über sich selbst bestimmen zu können, anderen ausgeliefert sein, sicherlich eine Szenerie, die sich niemand gerne vorstellt. Auch hier möchte Dr. Meier Ängste nehmen. Selbst wenn ein Patient nicht mehr artikulieren könne, wie es ihm geht, gebe es noch Körpersprache, Gestik und Mimik. „Darauf achten wir, und danach können wir auch die Medikamente einstellen.“

Auf der Palliativ-Station wird Tag für Tag gelebt, wird geschaut, was heute geht. Lachen am Lebensende – das ist nicht nur ein theoretisches Thema, das Dr. Meier für die Fachtagung am Samstag gewählt hat. Es ist gelebte Realität. „Es wird viel gelacht. Manchmal verblüffen uns die Patienten auch mit humorvollen oder selbstironischen Kommentaren.“ Die Medizinerin arbeitet gerne auf der Station. Sie habe viel von den Menschen hier gelernt, ärgere sich nicht mehr so leicht über Nebensächlichkeiten. „Es wird einem bewusst, dass das Leben nicht selbstverständlich ist.“

 Teambesprechung auf der Palliativ-Station. In der Mitte sitzend: Dr. Marianne Meier, Leitende Ärztin der Station.

Teambesprechung auf der Palliativ-Station. In der Mitte sitzend: Dr. Marianne Meier, Leitende Ärztin der Station.

Foto: Astrid Oertel

Es geht zurück auf den Flur. Auf der Fensterbank und am Boden stehen Kerzen – LED-Kerzen, aus Sicherheitsgründen. Diese werden symbolisch erleuchtet, wenn jemand auf der Station verstorben ist. Direkt daneben liegt auf einer Säule ein Buch. Gedanken von Angehörigen, persönliche Erinnerungen sind hier niedergeschrieben. Vielleicht ein gegenseitiger Trost? Die Wand ziert ein Spruch von Guy de Maupassant: „Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“

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