„Der Zeigefinger ist ganz weg“

St. Wendel · Seit bald 25 Jahren betreut Claude Adam-Brettar die Reihe „Kultur für Kids“ am Saarbrücker Schloss. Jeden Sonntag, 15 Uhr, gibt es dort Theater für die Kleinsten. Aber was die Kinder von heute sehen, ist nicht mehr dasselbe wie vor 25 Jahren. Auch die Kinder sind anders – unruhiger, unkonzentrierter und vor allem: jünger.

 Laut und bunt geht es zu, wenn sonntags im Schlosskeller Kindertheater ist. Letzten Sonntag spielte das Theater Mario ,,Die Glücksfee". Das Theater Mario kommt schon seit vielen Jahren nach Saarbrücken. Foto: IRis Maurer

Laut und bunt geht es zu, wenn sonntags im Schlosskeller Kindertheater ist. Letzten Sonntag spielte das Theater Mario ,,Die Glücksfee". Das Theater Mario kommt schon seit vielen Jahren nach Saarbrücken. Foto: IRis Maurer

Foto: IRis Maurer

. Einmal, erinnert sich Claude Adam-Brettar, stand ein Vater mitten in der Theatervorstellung auf und ging raus. "Wir dachten, der muss vielleicht mal, das kann ja vorkommen." Nach vielleicht zehn Minuten kam der Mann zurück in die laufende Vorstellung, "und er hatte Kaffee und Kuchen für die ganze Familie dabei". Dieses etwas extreme Beispiel verdeutlicht einen Wandel im Kindertheater , der sich seit Jahren bemerkbar macht. Es fehlt an angemessenem Verhalten. "Dabei sind oft nicht die Kinder das Problem, es sind die Eltern ", meint Adam-Brettar im SZ-Gespräch. "Sie müssen ihren Kindern klar machen, dass Theater kein Fernsehen und kein Computer ist." Stattdessen benehmen gerade die Erwachsenen sich öfter daneben. Adam-Brettars persönliches Highlight war da "eine junge Oma, die mitten in der Vorstellung anfing, mit ihrem Handy zu telefonieren".

Wenn aber die Eltern ihre Sprösslinge nicht daran hindern, rumzurennen oder Quatsch zu machen und dazu selbst hemmungslos fotografieren, dann kann Theater nicht funktionieren. Einige Theaterleute amüsierten sich auch grimmig darüber, "dass manche Mütter mehr Text haben als die Schauspieler auf der Bühne" - will heißen, sie erklären ihrem Kind flüsternd praktisch permanent, was das gerade auf der Bühne passiert. "Dabei sind Kinder selten überfordert, die schnallen alles, wenn man ihnen die Ruhe lässt." Claude Adam-Brettar spricht aus sehr langer Erfahrung. Bald 25 Jahre ist er Verantwortlicher für die Kindertheater-Reihe "Kultur für Kids" im Saarbrücker Schloss . Seit 1989 gibt es die Reihe, seit 1992 ist Adam-Brettar dafür zuständig. "Kultur für Kids" ist damit eine der ältesten und verlässlichsten Kindertheater-Reihen weit und breit.

Mit vielleicht fünf, sechs Ausnahmen im Jahr wie Weihnachten, Ostern oder Altstadtfest findet verlässlich jeden Sonntag um 15 Uhr im Saarbrücker Schlosskeller oder im Sommer im Schlossgarten Kindertheater verschiedenster Ausprägungen statt. Ganz im Sinne des Anspruchs, ein Bürgerschloss zu sein, organisiert Adam-Brettar ein breites Spektrum - vom Figurentheater über Musical und Zauberei bis zum Märchenprogramm.

Im Laufe der Jahre hat sich das Programm dabei stetig gewandelt. "Die ganze Szene hat sich total verändert." Als "Kultur für Kids" anfing, machten noch viele Ensembles "pädagogisches" Kindertheater mit erhobenem Zeigefinger. "Der Zeigefinger ist ganz weg - Gott sei Dank", meint Adam-Brettar. Dafür muss heute manche Gruppe vorher eine kurze Ansprache machen, wie man sich im Theater verhält.

Und die Künstler spielen für ein verändertes Publikum. Ging man vor 15, 20 Jahren noch mit Fünf- bis Neunjährigen ins Kindertheater , so kommen heute schon die ganz Kleinen. "Die Drei- bis Sechsjährigen sind heute die Hauptgruppe." Dafür bleiben die Älteren weg. Das hat Folgen. "Nach einer halben Stunde kann es laut werden", weil die Kleinen sich nicht so lange konzentrieren können. Aber auch, weil die Konzentrationsfähigkeit der Kinder insgesamt "eklatant nachgelassen" hat. Es gebe kaum noch Kinder, die mit offenem Mund gebannt dasitzen. Mit der Folge, dass sich die meisten Theatergruppen notgedrungen angeglichen haben. "Sie spielen Stücke von maximal 50 Minuten." Stücke von über einer Stunde gingen heute praktisch gar nicht mehr. Dazu gibt es kaum noch Stammpublikum im Kindertheater . Als Adam-Brettar anfing, waren weit über die Hälfte der Zuschauer regelmäßig da. "Heute sind das vielleicht noch zehn Prozent." Alle anderen kommen hin und wieder - weil es ja auch mehr Angebote gibt.

Und: "Die Kinder waren früher mehr vorbereitet." Wenn heute etwa ein Märchenklassiker gezeigt wird, dann merkt er schnell, dass die Geschichte für viele Kinder ganz neu ist. Das liegt seiner Beobachtung nach daran, dass in den Elternhäusern immer weniger vorgelesen wird. Umso wichtiger sei Kindertheater heute, "weil es an Literatur und Sprache heranführt". Wenn allerdings einige Kinder im Schlosskeller noch nie von Schneewittchen und Hänsel und Gretel gehört haben, kann das mittlerweile auch daran liegen, dass ihre Eltern selbst nicht mit unseren Märchen aufgewachsen sind. "Wir haben immer öfter Publikum aus Frankreich und auch Eltern mit Migrationshintergrund. Die kennen unsere Kultur nicht, wollen sie ihren Kindern aber zugänglich machen". Deren Kinder übrigens, so Adam-Brettars Beobachtung, sind genauso konzentriert oder unkonzentriert wie die deutschen Kinder. "Da merke ich keinen Unterschied."

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saarbruecken.de

 Immer wieder Kindertheater. Seit 1989 wird im Schlosskeller gespielt. Unser Archivfoto stammt aus dem Jahr 2000. Die Kinder, die hier mit dem Kinderliedermacher Stefan Schöner singen, sind heute erwachsen. Archivfoto: Uli Barbian

Immer wieder Kindertheater. Seit 1989 wird im Schlosskeller gespielt. Unser Archivfoto stammt aus dem Jahr 2000. Die Kinder, die hier mit dem Kinderliedermacher Stefan Schöner singen, sind heute erwachsen. Archivfoto: Uli Barbian

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Hintergrund130 Plätze hat das Theater im Schlosskeller, gerade einmal 25 000 Euro im Jahr kostet den Regionalverband Saarbrücken das Kindertheater . Dafür gibt es über 40 Vorstellungen im Jahr bei einer Auslastung von rund 85 Prozent. Was bedeutet, dass Jahr für Jahr über 4000 kleine und große Menschen im Saarbrücker Bürgerschloss Kontakt mit Kultur bekommen - nicht eingerechnet, dass sich im Sommer, wenn das Kindertheater open air in den Schlossgarten geht, schon mal bis zu 500 Kinder bei Eddi Zauberfingers Auftritten heiser brüllen. bre

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