Chronik enttarnt Nazis

Niederkirchen · Vor Veröffentlichung des vierten Bandes der „Chronik des mittleren Ostertals“ fand ein Frageforum statt. Gegenstand der Diskussion war unter anderem der Datenschutz über den Tod hinaus.

"Darf man die Namen ehemaliger NSDAP-Mitglieder einfach veröffentlichen, obwohl die Betroffenen oder ihre Nachkommen das gar nicht wollen?" Das war eine der Fragen, die anlässlich eines "Chronik-Treffs" in den Vereinsräumen des Heimat- und Kulturvereins Ostertal in Niederkirchen debattiert wurden. Hintergrund ist, dass die Bekanntgabe der bevorstehenden Veröffentlichung des vierten Bandes der "Chronik des mittleren Ostertals" zahlreiche Nachfragen beim Herausgeber ausgelöst hat. Vor allem die Ankündigung, dass in dem Buch, das die Weimarer Republik und das Dritte Reich behandelt, auch Tabuthemen offen angesprochen würden, sei Gegenstand etlicher Fragen gewesen. Der Vorstand des Heimat- und Kulturvereins hatte daher beschlossen, vor der Veröffentlichung ein Forum für Fragen und Informationen anzubieten.

Acht Interessierte hatten sich zu der Gesprächsrunde zusammengefunden, zwei weitere hatten zuvor Einzeltreffen mit dem Mitautor des Chronik-Bandes, Hans Kirsch, vereinbart. Dieser ging zunächst auf das Spannungsverhältnis von Datenschutz für die Betroffenen und Informationsfreiheit für den Autor ein. Grundrechtlich geschützt seien zunächst nur die Daten von lebenden Personen. Aber auch die Daten Verstorbener seien nicht ganz schutzlos. Dieses Schutzbedürfnis könnte beispielsweise - mit Blick auf die Nachkommen - bei Krankheiten oder psychiatrischen Behandlungen eintreten. Allerdings, erklärte Kirsch, seien bei Verstorbenen anders als bei Lebenden nicht mehr sämtliche Informationen geschützt. Geschützt seien nach Lebensende nur noch solche Informationen, die den Betreffenden in seiner Menschenwürde verletzen könnten, also insbesondere unwahre, entstellende und verleumderische Aussagen. Tatsächliche, wahre Angaben über den Verstorbenen seien dagegen nun nicht mehr geschützt. Deshalb seien, so Kirsch, Mitgliedschaften in der NSDAP , SED, KPD oder die Mitarbeit in SS, SA, Gestapo oder Stasi, soweit sie zutreffen, nicht vom "postmortalen Persönlichkeitsschutz" erfasst und dürften veröffentlicht werden.

Die "Chronik"-Autoren hätten bislang im Bundesarchiv Berlin 285 Namen ehemaliger NSDAP-Mitglieder aus den sieben Gemeinden der ehemaligen Bürgermeisterei Niederkirchen festgestellt - von diesen lebten derzeit noch zwei. Weitere 15 Parteimitglieder - hauptsächlich Lehrer - hatten hier gelebt, ohne sich in die NSDAP-Ortsgruppe Niederkirchen umzumelden.

Insbesondere bei den Themen Euthanasie und Zwangssterilisation habe man, so berichtete Kirsch weiter, aufseiten der Opfer eine strenge Anonymisierung vorgenommen. Hier gehe es regelmäßig um psychische und körperliche Erkrankungen und Behandlungen, sodass eine Veröffentlichung von Namen die Betroffenen ein zweites Mal zu Opfern machen würden. Zwar seien die Vorgänge genau geschildert, aber alle Möglichkeiten zur Identifizierung seien getilgt. In dem Buch, so Kirsch, würden vier Euthanasie-Fälle dargelegt. Mindestens 16 Menschen aus der damaligen Bürgermeisterei - vermutlich aber noch mehr - seien zwangssterilisiert worden.

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Am Rande Zu einem weiteren "Chronik-Treff" lädt Hans Kirsch für kommenden Montag, 9. Januar, nach Hoof in den Dorfladen "Bistro". Er werde dort etwas über das Thema "Tödliche Messerstiche am 7. Juli 1930 in Hoof" sagen, erklärte Kirsch. Anschließend könnten alle Fragen, die das Buch aufwerfe, behandelt werden. Beginn ist um 18 Uhr. red

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