Neujahrsandacht Bildungspolitiker übt sich im Predigen

St. Wendel · Minister Ulrich Commerçon (SPD) hält zum zweiten Mal eine Kanzelrede im Altarraum der St. Wendeler Stadtkirche.

 Politiker Ulrich Commerçon predigte bei der Abendandacht zum Neuen Jahr in St. Wendel.

Politiker Ulrich Commerçon predigte bei der Abendandacht zum Neuen Jahr in St. Wendel.

Foto: Frank Faber

Nach dem Jahre 2008 stand Saar-Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) zum zweiten Mal im Altarraum der evangelischen Stadtkirche im St. Wendel, um am Neujahrsabend die Kanzelrede zu halten. Vorweg: Der 49-Jährige hat vor den mehr als 100 Zuhörern im Stile eines Kirchenmannes gepredigt. Die diesjährige biblische Jahreslosung lautet: „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“ (Offenbarung 21.6).

„Klingt zwar auch ganz eingängig und verheißungsvoll, doch darüber eine Kanzelrede zu machen, das ist nicht einfach. Das gefällt mir auch nicht, ich tue mich schwer damit“, gesteht der Minister. Dies beginne mit dem Ort der Bibelstelle selbst: die Offenbarung, die Apokalypse.

Dies letzte Buch des Neuen Testaments gehöre nicht zu seinen Lieblingsteilen der Bibel. „Ich gebe zu, dass ich bislang damit wenig anfangen konnte“, sagt er. Auch Martin Luther habe sich mit der Offenbarung nicht anfreunden können. „Und ich muss sagen, auch mich erinnert die Apokalypse vielfach an einen naiven Kinderglauben, aber keinen schönen, sondern an einen seltsam mystischen, angstbesessenen Glauben voller Symbolik“, beschreibt Commerçon.

Wenn man sich näher mit der Einordnung der Offenbarung befasse, so stelle man fest, dass auch diese ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext habe. Aber der Text der Offenbarung sei auch in der jüngsten Geschichte vielfach missbraucht und instrumentalisiert worden. „Ich nenne nur die Stichworte noch einmal 666, aber auch die häufig dämonisierten apokalyptischen Reiter, nicht zuletzt das Tausendjährige Reich“, führt er als Beispiele dazu an. Genauer betrachtet und die Zeit der Textentstehung eingeordnet lasse sich ein ganz anderes Bild zeichnen. „Dieser Prophet, der Autor der Offenbarung, gibt den Christen in ihren Gemeinden ein Zeichen der Hoffnung, indem er sagt, er habe einen neuen Himmel und eine neue Erde geschaut, er die Heilige Stadt – das neue Jerusalem – von Gott aus dem Himmel herabkommen sehen“, erläutert er.

Was er nun zu verstehen beginne, sei, was die Jahreslosung aussagen wolle: Gott mache das „Neue Jerusalem“ nicht nur möglich, sondern er verbinde es mit einem Angebot und einem Auftrag. „Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“, zitiert er das Ende der Offenbarung 22, 17. Doch das „Neue Jerusalem“ entstehe nicht automatisch. „Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten, dafür müssen wir unserer Verantwortung nachkommen, danach müssen wir dürsten“, fordert Commerçon auf. Um die Abgehängten in unserer Gesellschaft müsse sich gekümmert werden. „Die Verantwortung dafür, wie wir zusammenleben, liegt bei uns. Wir haben den Auftrag, dem wachsenden Hass in unserer Gesellschaft, dem zunehmendem Gegeneinander entgegenzutreten“, plädiert er.

Und so ergebe es dann doch einen Sinn, wenn es in der Jahreslosung heiße: „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wasser umsonst“. Es komme nicht auf die Werke an, so der Minister, aber durstig man schon sein nach Gottes Gnade. „Das lebendige Wasser müssen wir schon schmecken wollen. Die Quelle des Lebens müssen wir schon suchen. Und dann bekommen wir auch, das lebendige Wasser- und sogar umsonst, allein aus Gottes Gnade“, sagt Commerçon abschließend.

Superintendent Gerhard Koepke stellt daraufhin hochachtungsvoll fest: „Das war keine Kanzelrede, sondern eine Predigt“. Er selbst hätte seine Mühe über die Jahreslosung eine Predigt zu halten. Genau dafür hat der im März aus dem Amt scheidende Superintendent Koepke die Predigt bei der Neujahrsandacht installiert: „Damit Politiker das tun, was ihnen sonst fremd ist,
zu predigen“.

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