Als die Revolution auch St. Wendel ergriff

St Wendel · Was hatte das St. Wendel des 19. Jahrhunderts mit Napoleon zu tun? So einiges – wusste der Historiker Bernhard W. Planz jetzt in einem Vortrag zu berichten.

 Der Historiker Bernhard W. Planz erläuterte in seinem Vortrag, wie eng doch viele Menschen einst im Landkreis St. Wendel mit dem französischen Kaiser Napoleon verbunden waren. Foto: Eva Henn

Der Historiker Bernhard W. Planz erläuterte in seinem Vortrag, wie eng doch viele Menschen einst im Landkreis St. Wendel mit dem französischen Kaiser Napoleon verbunden waren. Foto: Eva Henn

Foto: Eva Henn

(red) Auch lange nach seinem Tod, als St. Wendel bereits preußisch war, soll sein Geburtstag, der 15. August, in der Stadt feierlich begangen worden sein. Manch ein Bürger soll gar auf eine Trikolore über seinem eigenen Sarg bestanden haben. Dies berichtet der St. Wendeler Stadthistoriker Max Müller (1862 bis 1937). Die Rede ist von Napoleon, dem Kaiser der Franzosen. Die Verehrung für seine Person hallte offenbar in der Region lange nach.

Napoleon leitete mit seiner Krönung 1804 und seinen Kriegszügen das 19. Jahrhundert tosend ein. Ein Jahrhundert, das die Geschichtsschreibung nicht selten bereits mit der Französischen Revolution 1789 beginnen lässt. Und über dieses Jahrhundert und die Ereignisse im St. Wendeler Land referierte der Historiker Bernhard W. Planz vor mehr als 70 Zuhörern im Mia-Münster-Haus St. Wendel. Der Vortrag war Teil einer Reihe, die die vergangenen 500 Jahre in der Region näher beleuchtet.

"Das 19. Jahrhundert ist ein Jahrhundert, das in mehrerlei Hinsicht revolutionäre Veränderungen gebracht hat, ohne die unsere heutige Welt nicht vorstellbar ist, im Positiven wie im Negativen", eröffnete Planz. Die Ideen der Französischen Revolution, freilich erst später mit der prägnanten Formel Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit umschrieben, verbreiteten sich auch im St. Wendeler Land. Es kam zu ersten Akten zivilen Ungehorsams, zu ersten Plünderungen, etwa des Tholeyer Klosters. Planz: "Im Spätherbst 1792 gingen das Klosterarchiv und die allermeisten Akten in Flammen auf. Die Bauern wollten so jeglichen Nachweis über Abhängigkeiten, Abgaben, Fronden, Schulden für immer beseitigen."

Ein Vorspiel. Denn die Revolution wurde von Frankreich aus mit Gewalt ins Ausland getragen. In der Stadt St. Wendel sah man den Revolutionsheeren mit gespaltenen Gefühlen entgegen. Zu Recht. Planz: "Auf der einen Seite gab es Freiheitsversprechungen, auf der andern Seite Furagelieferungen, Einquartierungen, Requisitionen und Plünderungen. Von Requisitionen besonders betroffen war die ländliche Bevölkerung, die teilweise ihr gesamtes Vieh, ihre Heuvorräte und ihr Saatgut verlor."

Und dann kam Napoleon und die napoleonischen Kriege, die mit seiner Niederlage endeten. Die Wirren, die der Korse in Europa verursachte, versuchten nun die siegreichen, die alten Kräfte zu beseitigen, ihre ramponierte Macht wiederherzustellen. Etwa während des Wiener Kongresses 1814/15. Und dies hatte weitreichende Auswirkungen auf das St. Wendeler Land. Denn als Lohn dafür, dass er am Krieg gegen Napoleon teilgenommen hatte, bekam der sachsen-coburgische Herzog Ernst I. ein mehrere Tagesreisen von seinem Stammsitz entferntes Gebiet mit den Städten St. Wendel, Baumholder, Sien. Dieses erhob er 1819 zum Fürstentum Lichtenberg - die Keimzelle des heutigen Landkreises St. Wendel -, das er 1834 an Preußen verkaufte. Der nördliche Teil des heutigen Landkreises fiel hingegen an das Großherzogtum Oldenburg - und blieb es bis 1937.

Auch das prägte das 19. Jahrhundert: Das Streben vor allem des Bürgertums nach nationaler Einheit, nach Grund- und Bürgerrechten, Beschränkung der Macht der Monarchen und gewählten Parlamenten. Begleitet von sozialen Missständen, begleitet von Unruhen und Aufständen. Wie in St. Wendel 1830/32: eine Auflehnung gegen Ernst I., der das Fürstentum ausquetschte. Oder wie 1848 im Fürstentum Oldenburg.

Apropos 1848: Jenes Streben nach einem demokratischen deutschen Nationalstaat fand ein vorläufiges Ende, als der preußische Monarch, Friedrich Wilhelm IV., die ihm angebotene Kaiserkrone ablehnte. Ein Angebot der Frankfurter Paulskirchenversammlung, die eine Verfassung für einen zu schaffenden deutschen Nationalstaat erarbeitete. Als dem König 1849 in Berlin eben die Krone als "Diadem aus Dreck und Letten der Revolution" verschmähte, war auch ein St. Wendeler dabei: Karl Phillip Cetto. Erst Jahrzehnte später, mit ganz anderen Vorzeichen, sollte ein deutscher Nationalstaat entstehen.

Währenddessen kam es in der Region zu weiteren tiefreichenden Veränderungen während des 19. Jahrhunderts. Zum Beispiel in der Stadt St. Wendel. Planz: "1860 wurde die Stadt an die Rhein-Nahe-Bahn angeschlossen; weit unproblematischer als zuvor konnten nun Arbeiter die Bergwerke rund um Neunkirchen erreichen. In St. Wendel selbst wurde das im gleichen Jahr errichtete Eisenbahnausbesserungswerk zum wichtigsten Arbeitgeber, gefolgt von den Tabakfabriken und Ziegeleien." 1884 der Anschluss der Einzelhäuser an das Wasserleitungsnetz, 1889 die Einrichtung einer Gasanstalt, 1901 die Einführung des Fernsprechers.

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Neben den politischen Revolutionen gab es während des 19. Jahrhunderts auch eine industrielle Revolution. Mit Auswirkungen auf das St. Wendeler Land. Dies ist Thema des nächsten Vortrags: am Dienstag, 6. Juni, 19 Uhr, Hiwwelhaus Alsweiler. Referent ist Thomas Störmer.

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