Abschluss der Gurs-Ausstellung in St. Wendel Ein abgenutzter Koffer als Symbol der Flucht

St Wendel · Mit einer feierlichen Finissage ging die Wanderausstellung „Gurs 1940“ zu Ende. Sie erinnert an die Deportation der deutschen Juden.

 Oft mussten die Juden ihre Habseligkeiten in einem Koffer verstauen, ehe sie vor den Nationalsozialisten flohen. Dieses Exemplar begleitete seine Besitzerin einst in den Luftschutzbunker.

Oft mussten die Juden ihre Habseligkeiten in einem Koffer verstauen, ehe sie vor den Nationalsozialisten flohen. Dieses Exemplar begleitete seine Besitzerin einst in den Luftschutzbunker.

Foto: Frank Faber

Der Marpinger Sänger und Künstler Jürgen Brill zupft an den Gitarrensaiten und singt dazu: „Freiheit, ist ein großer weißer Vogel. Ihn fängt niemand ein, denn er fliegt zu hoch“. Vor dem Altar in der evangelischen Stadtkirche steht zum Abschluss der überregionalen Wanderausstellung „Gurs 1940“ symbolisch ein alter, abgenutzter Koffer. „Eine Frau aus Marpingen hat den Koffer mit ihren Habseligkeiten beim Bombenalarm mit in den Luftschutzbunker genommen“, berichtet Lektorin Bärbel Zägel. Seinerzeit haben  hingegen jüdische Mitbürger ihren Koffer packen müssen, um vor der Ideologie des nationalsozialistischen Terrorregimes zu fliehen. 134 meist älteren Menschen aus dem Saarland ist das nicht mehr gelungen. Sie sind am 22. Oktober 1940 Opfer der so genannten „Wagner-Bürckel-Aktion“ geworden und nach Frankreich ins Internierungslager Gurs abgeschoben worden. Es war die erste organisierte Verschleppung von jüdischen Deutschen aus ihrer Heimat. „Für sie hat eine ungewisse Zukunft begonnen“, erläutert Pfarrerin Christine Unrath. Damals, so mahnt die Pfarrerin weiter, habe man nicht wegschauen dürfen, aber auch heutzutage sei so etwas bei uns wieder möglich.

Zägel schreitet vor den Altar und zündet zum Gedenken an die Menschen, denen die Gräueltaten der Nationalsozialisten ihre Menschenwürde genommen haben, eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze an. „Wo wollt ihr denn hin? Was habt ihr gelernt? Eure dumpfen Parolen will ich nicht wiederholen“, plädiert Sänger Brill, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in der heutigen Gesellschaft haben sollen.

 Besucher schauen sich die verschiedenen Tafeln der Wanderausstellung „Gurs 1940“ an.

Besucher schauen sich die verschiedenen Tafeln der Wanderausstellung „Gurs 1940“ an.

Foto: Frank Faber

Die Pfarrerin schaut 80 Jahre zurück. „Beim Abtransport der jüdischen Mitbürger gab es auch Zaungäste, die alles mit ihrer Kamera festgehalten haben, und es haben Mitbewohner dabeigestanden“, sagt sie. Der Antisemitismus sei nicht nur singulär im Deutschen Reichsgebiet vertreten gewesen. „Er ist auf die Strukturen vor Ort getroffen“, verurteilt Unrath. 30 der 134 deportierten Menschen sind damals gestorben, 74 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden, nur 30 haben überlebt. Darunter die zweijährige Mathel Salmon, die 1942 mit ihren Eltern und ihrem Bruder in die USA hat emigrieren können.

Unrath kehrt in die Gegenwart zurück und zitiert Charlotte Knobloch, Holocaust-Überlebende und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. „Judenfeindliches Denken ist wieder salonfähig, von der Schule bis zur Corona-Demo und im Internet“, hat die 88-Jährige in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus am Mittwoch, 27. Januar, festgestellt. Und Unrath weiter: „Selbstkritisch müssen wir als christliche Kirchen zurückblicken, das Jesu Jude war. Was ist da geschehen?“, geht ihr Blick zur Kreuzigung Jesu. Auch hier könne man von einem Terrorregime sprechen, weil er gekreuzigt worden sei. „Aber es war nicht das letzte Wort“, meint die Pfarrerin. Wo auch im Alten Testament: Die Hebammen Shifra und Pua haben mit einer List den Mord an den männlichen Nachkommen der Israeliten in Ägypten verhindert. „Die Gedenk- und Erinnerungsarbeit ist ganz wichtig“, appelliert Unrath abschließend.

 Lektorin Bärbel Zägel hat zum Gedenken eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze angezündet.

Lektorin Bärbel Zägel hat zum Gedenken eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze angezündet.

Foto: Frank Faber

Seit Anfang April haben die 28 Tafeln der Wanderausstellung „Gurs 1940“ über das Schicksal von 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland informiert, die in das französische Internierungslager Gurs am Rand der Pyrenäen deportiert worden sind. Die Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes hat von der Ausstellung sechs Ausführungen anfertigen lassen. Diese werden jeweils den fünf saarländischen Landkreisen und dem Regionalverband Saarbrücken für den dauerhaften flexiblen Gebrauch kostenlos überlassen.

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