Das Rätsel der Zuständigkeit

Primstal · Mohamad Almustafa bringt alles mit, was man sich von einem Migranten wünschen kann. Er lernt Deutsch, macht eine Ausbildung und bemüht sich redlich um Integration. Dafür zahlt er jedoch einen hohen Preis.

 IWM-Azubi Mohamad Almustafa (vorne) mit Bernd Jakobs (links) und Patrick Kraß. Foto: T. Grim

IWM-Azubi Mohamad Almustafa (vorne) mit Bernd Jakobs (links) und Patrick Kraß. Foto: T. Grim

Foto: T. Grim

"Das hier könnte eine echte Erfolgsgeschichte sein", sagt Bernd Jakobs, Vorstandssprecher der IWM-Software AG in Primstal . Und in Teilen ist sie das auch. Die Geschichte des Syrers Mohamad Almustafa. Vergangenen September hat der 36-Jährige bei der IWM eine Ausbildung zum Fachinformatiker begonnen. Gut zwei Jahre zuvor war er nach Deutschland gekommen. Geflohen aus Homs, der Hochburg der Opposition gegen die Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad . Das Visum hatte ihm die deutsche Botschaft in Beirut im Frühsommer 2014 ausgestellt. Kurz darauf ging es mit dem Flugzeug nach Deutschland, "wo eine Tante von mir schon seit 30 Jahren im Saarland lebt", erzählt Almustafa in recht gutem Deutsch. Darauf angesprochen sagt er lächelnd: "Ich habe die Sprachkurse B1 und B2 absolviert." Er kann sich fließend verständigen.

In seiner Heimat hat Almustafa als junger Mann Mathematik studiert. Später an der Uni Homs dozierte er in dieser Disziplin - bis die Hölle des Bürgerkriegs losbrach und die drittgrößte Stadt des Landes peu à peu auffraß. Hier gab es keine Zukunft für ihn und seine große Liebe, Hiba Sabsabi.

In Deutschland angekommen, bekommen Mohamad Almustafa und seine Frau die ersehnte Aufenthaltserlaubnis und werden dem Landkreis Trier-Saarburg zugewiesen. Doch der Mathematiker will nicht auf der faulen Haut liegen. Er will arbeiten, will nützlich sein. Seine Chance sieht er gekommen, als seine Tante ihm erzählt, eventuell einen Arbeitsplatz für ihn zu haben. Sie kenne da jemanden. Dieser jemand ist Bernd Jakobs. "Über den Tennisverein", berichtet Jakobs, "haben Mohamads Tante und ich uns vor vielen Jahren schon kennengelernt." Als diese dem IWM-Vorstandssprecher die Geschichte ihres Neffen erzählt, ist er sofort interessiert. Schließlich finde man gute Leute nicht an jeder Straßenecke. Zwar war Almustafa kein Informatiker. "Aber Mathematiker . Und Mathematik ist ja weltweit genormt, wenn man so will." Wer Mathematik beherrsche, aus dem sollte auch ein guter Informatiker zu machen sein, denkt Jakobs. Ein Praktikum im Unternehmen bestätigt seine Annahme. Nun steht einer Ausbildung zum Fachinformatiker bei IWM - das Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern entwickelt Spezialsoftware für die Versicherungsbranche - nichts mehr im Weg. Außer der Wohnort. Denn Almustafa ist in Rheinland-Pfalz registriert und hat folglich die Auflage bekommen, dort zu wohnen. In Konz. Wie nun nach Primstal kommen? Mit dem öffentlichen Personennahverkehr? Nahezu unmöglich. Mit dem Auto? Almustafa hat keinen Führerschein . Seine Fahrerlaubnis, die er in Syrien und somit außerhalb der EU erlangt hat, war nach seiner Ankunft in Deutschland noch sechs Monate gültig. Das ist normal. Nach einem halben Jahr muss die Fahrerlaubnis in Deutschland erworben werden. Doch der angehende Informatiker weiß nicht, was er machen muss, um die Fahrerlaubnis hierzulande zu bekommen - ob er Fahrstunden absolvieren oder lediglich eine Prüfung ablegen muss. "Seit vier Monaten wird das von der zuständigen Stelle geprüft", berichtet er. Kürzlich hat er aus Eigeninitiative heraus schon mal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. "Den braucht man ja für den Führerschein ."

Ähnlich zäh wie die Geschichte mit der Fahrerlaubnis lief und läuft die Sache mit der Wohnsitzauflage. Davon weiß IWM-Ausbildungsleiter Patrick Kraß ein Liedchen zu singen. Kraß berichtet von nachweislich rund 100 geführten Telefonaten mit Arbeitsagenturen, Jobcentern und Ausländerbehörden - und zahlreich versendeten E-Mails, die er der SZ zur Verfügung stellt. Darin geht es um die Wohnsitzauflage für Almustafa und seine Familie. Daraus wird ersichtlich: Nach Langem hin und her darf der Familienvater seinen Wohnsitz dann doch ins Saarland verlegen. Er zieht in die Gemeinde Tholey zu seinem Schwiegervater. Zur Arbeit und zurück fährt er mit einem Arbeitskollegen. Abends liegt dann er oft auf seinem Bett, starrt an die Decke und denkt an seine Frau und sein Töchterchen Juli, das im April 2015 das Licht der Welt erblickte. Mit ihrer Mutter lebt Juli nach wie vor in Konz. Das müssen die beiden, weil die Ausländerbehörden in Rheinland-Pfalz und Saarland es in einem halben Jahr nicht geschafft haben, über deren Nachzug zu befinden. Wobei gemeinhin das aufnehmende Bundesland entscheidet, ob ein Nachzug genehmigt wird oder nicht. In diesem Fall also die zentrale Ausländerbehörde (ABH) in Lebach.

"Der Fall ist vom Tisch"

Dort nachgefragt erklärt die zuständige Sachbearbeiterin zunächst, dass es keinen Fall Almustafa gibt - der sei längst vom Tisch. "Wir haben zugestimmt, dass er umziehen darf", erklärt Silvia Portrat. Aber was ist mit Frau und Kind? Davon wisse sie nichts. Doch eine Mail der Kreisverwaltung Trier-Saarburg an die Zentrale Ausländerbehörde in Lebach, die der Saarbrücker Zeitung vorliegt, belegt das Gegenteil. In dieser E-Mail vom 25. Oktober bittet die Kreisverwaltung in Trier-Saarburg die Stelle in Lebach "um antragsgemäße Entscheidung". Davon, sagt Silvia Portrat, wisse sie nichts. "Mir liegen da keine Unterlagen vor, dass da jemand verheiratet ist, dass es Kinder gibt." Erneut darauf hingewiesen, dass der SZ der E-Mail-Verkehr vorliegt, sagt sie dann: "Es mag sein, dass es so ist." Also dass Mohamad Almustafa verheiratet und Vater ist, aber: "Mir liegen dazu keinerlei Nachweise vor." Wären diese Nachweise gebraucht worden, hätte sie Heirats- und Geburtsurkunde von IWM-Ausbildungsleiter Patrick Kraß, der sich rührend um seinen Azubi kümmert, bekommen können. Auch das wurde der ABH in Lebach, eine weitere Mail belegt es, angeboten. "Das spielt keine Rolle, denn zuständig für die Dame und das Kind ist nach wie vor die ABH in Trier-Saarburg. Da müssen die dann das gleiche Verfahren durchlaufen wie Herr Almustafa und den Antrag persönlich stellen. In Trier-Saarburg, das ist die zuständige ABH. Die leiten das dann an uns weiter. Das habe ich Herrn Almustafa aber auch schon mitgeteilt." Wobei sie zunächst abgestritten hatte, sich mit ihm in dieser Angelegenheit ausgetauscht zu haben.

Wie geht es nun weiter? "Wir hoffen, dass er die Ausbildung trotzdem durchzieht und jetzt irgendwann entschieden wird, wie es weitergeht mit seiner Familie. Das ist ja kein Dauerzustand", sagt IWM-Vorstandssprecher Jakobs. Doch die Aussichten auf Nachzug stehen wohl schlecht, so nicht erneut ein Antrag gestellt wird - und zwar von Mohamads Frau Hiba Sabsabi persönlich bei der ABH in Trier-Saarburg. Denn, wie Sachbearbeiterin Portrat zum Abschluss des Gesprächs noch einmal deutlich macht: "Die Sache Almustafa ist entschieden und bei mir vom Tisch. Ich habe auch andere Sachen zu tun."

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