Zwischen Putzwahn und Sinnkrise

Neunkirchen/Santiago de Chile. Januar - Hochsommer in Santiago de Chile. Die Hitze bringt mich langsam um, ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil es in meinem Zimmer einfach zu heiß ist. Aber Gott sei Dank war der Januar der letzte wirkliche Arbeitsmonat vor meinem Urlaub

Neunkirchen/Santiago de Chile. Januar - Hochsommer in Santiago de Chile. Die Hitze bringt mich langsam um, ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil es in meinem Zimmer einfach zu heiß ist. Aber Gott sei Dank war der Januar der letzte wirkliche Arbeitsmonat vor meinem Urlaub.Der Januar begann erst einmal sehr stressig, weil wir im Kindergarten die Abschiedsfeier (Despedida) von meinen Kindern vorbereiten mussten, die nach den Ferien zur Schule gehen werden. Das hieß für den kompletten Mitarbeiterstab im Kindergarten Dekoration vorbereiten, den Kindergarten auf Hochglanz bringen, eine Show mit Tänzen für die Eltern vorbereiten, Diplome anfertigen, Geschenke kaufen und Reden schreiben.

Ich hatte das Gefühl, dass ich in dieser Zeit so sehr gebraucht wurde wie noch nie, was einerseits gut ist, aber andererseits auch viel harte Arbeit bedeutet. Aber schließlich sind wir noch rechtzeitig mit den Vorbereitungen fertig geworden (wenn auch das chilenische rechtzeitig), und der Tag der Abschiedsfeier kam.

Abschied von den Kindern

Ich war wirklich sehr aufgeregt, denn alle Eltern waren da, und ich hoffte, dass alles nach Plan laufen würde. Als ich dann zum ersten Mal an diesem Tag meine Kinder sah, erfüllte mich plötzlich ein Gefühl von Stolz. Sie waren alle ganz schick angezogen, die Mädchen in weißen Kleidern und die Jungs alle im schwarzen Anzug.

Mir wurde klar, wie sehr die Kinder in diesem halben Jahr eigentlich gewachsen waren, und wie viel sie gelernt hatten, unter anderem auch von mir. Das war ein sehr schönes Gefühl zu wissen, dass sie sich jetzt noch weiter entwickeln würden, und noch mehr lernen würden. Die Show, die wir zwei Wochen lang geprobt hatten war ein voller Erfolg, die Kinder strengten sich wirklich an und enttäuschten niemanden.

Ich hatte sie in dem halben Jahr schon ziemlich lieb gewonnen, und musste mich wirklich anstrengen, nicht doch eine Träne zu verdrücken. Auch als nach der Show viele Eltern zu mir gekommen sind, um sich für meine Arbeit mit den Kindern zu bedanken, war ich zutiefst gerührt. Allein dafür hat sich der ganze Stress schon bezahlt gemacht.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich allerdings noch nicht, dass ich kurz nach dieser Zeit alles hinterfragen würde, den Sinn meines kompletten Dienstes, und ob meine Arbeit hier denn wirklich so viel Wert war. Nach der Abschiedsfeier kamen die Kinder noch eine Woche zum Kindergarten (allerdings nur sehr wenige), und gingen dann in die Ferien.

In der letzten Januarwoche waren also keine Kinder mehr da, aber es gab trotzdem mehr als genug Arbeit. Der gesamte Kindergarten musste auf Vordermann gebracht werden, und das sehr gründlich. Es musste alles geputzt werden, was man sich nur vorstellen kann (ich musste sogar die Wand meiner Gruppe putzen, obwohl sie danach noch gestrichen werden sollte). Diese Arbeit verlangte mir sehr viel ab, ich hatte vorher noch nie körperlich so hart gearbeitet, und manche Arbeiten, die uns zugeteilt wurden, waren meiner Meinung nach einfach nur schwachsinnig. Es wurden Arbeiten teilweise mehrmals verrichtet, was mit etwas mehr Organisation nicht hätte sein müssen.

Nach zwei Tagen hatte ich überhaupt keine Lust mehr, die chilenische Mentalität brachte mich fast um den Verstand, und ich begann mich zu fragen, ob das alles überhaupt noch einen Sinn machte. War ich dafür 12 000 Kilometer weit geflogen? Konnten die Chilenen nicht wenigstens ein bisschen organisierter sein? Ich fühlte mich müde und leer, und ich hatte keine Energie mehr. Ich wusste, die Chilenen würden sich nicht ändern, wie sollten sie auch?

Denn in diesem Land darf man ja nicht sagen, was man denkt. Probleme werden nicht direkt angesprochen, sondern man erfährt alles immer nur über Dritte. Alles andere wäre ja unhöflich und würde die Gefühle des Anderen verletzten. Ich wartete, dass die Woche verging. Und sie verging. Danach kam eine Woche, die noch schlimmer war: eine Woche, in der wir den Kindergarten neu streichen sollen. Die Woche des Streichens sollte uns eigentlich zu freien Verfügung stehen, aber von Amntena konnten keine weiteren Ferienprojekte genehmigt werden, den Grund dafür werde ich beim Zwischenseminar im Februar erfahren.

Also heißt es einfach weitermachen, auch wenn es momentan schwierig ist, aber nüchtern betrachtet ist das sicher nur eine Phase, die vorbeigeht.

Ich denke, ich brauche einfach Zeit, um über all die Eindrücke zu reflektieren, ich hoffe, dass wir das im Seminar tun werden.

Bis ans Ende der Welt

Danach ist es dann endlich so weit, nach einem halben Jahr Schuften fahre ich zwei Wochen ans Ende der Welt, in den Süden von Chile. Denn das Wort Chile kommt aus der Sprache der Aymara-Indianer und bedeutet "Land, wo die Welt zu Ende ist".

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