Wenn der Geburtstag fast zum nationalen Feiertag wird

Sötern · Zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit hat die SZ ihre Leser aufgerufen, von ihren Erlebnissen mit der Einheit oder mit der DDR zu berichten. Christian Barth aus Sötern schreibt, wie er den Fall der Mauer erlebt hat.

Der 9. November ist wie kaum ein anderes Datum der "Schicksalstag" in der jüngeren deutschen Geschichte. Der Fall der Berliner Mauer , die Reichspogromnacht, der Hitlerputsch und die Novemberrevolution fallen alle auf dieses Datum. Und jener 9. November 1989 war auch etwas Besonderes für mich: An diesem Tag feierte ich meinen ersten runden Geburtstag. Ich wurde zehn Jahre alt. Und nicht nur deshalb ist mir dieser Tag in besonderer Erinnerung. Denn dass der Tag gegen Abend noch interessanter werden würde, das ahnte am Nachmittag beim Kaffee noch niemand. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass man da schon über die aktuellen Geschehnisse sprach. Als aber am frühen Abend mein Onkel kam und meinte, wir sollten den Fernseher einschalten, wurden alle plötzlich neugierig.

Was war da los in Berlin? Was bedeutet das für unsere Zukunft? Wie wird es weiter gehen? Unzählige Fragen wurden von meinen erwachsenen Geburtstagsgästen reihum in den Raum geworfen, aber keiner hatte Antworten. Wir Kinder hörten auf zu toben und schauten mit den Erwachsenen wie gebannt immer wieder auf das TV-Gerät, ohne genau zu verstehen, was da gezeigt und gesagt wurde. Als später die Bilder überglücklicher, sich in die Arme fallender und auf der Mauer tanzender Menschen über den Bildschirm flimmerten, wirkte das irgendwie unwirklich für mich. Ich erinnere mich an die vorschnellen Worte einiger meiner Gäste, dass ich zukünftig vielleicht an einem Feiertag Geburtstag haben werde. Was war da los? Als Grundschüler kannte ich die DDR und das System dort nicht wirklich. In der Schule wurde nie darüber gesprochen. Ich wusste nur, dass es eine Mauer gibt, aber nicht, warum. Und ich wusste, dass eigentlich niemand aus der DDR raus darf und es sehr kompliziert ist, durch die DDR zu reisen. Wir hatten Verwandte in West-Berlin, die direkt an der Mauer wohnten und uns öfter besuchten. Sie erzählten dann regelmäßig von der Fahrt über die Transitstrecke und die Kontrollen der DDR-Grenzer. Sofort gingen mir die faszinierenden und zugleich beängstigenden Bilder der Straße in Berlin durch den Kopf, in der unsere Verwandten wohnten. Auf der einen Straßenseite schicke kleine Doppelhäuser, auf der anderen Straßenseite trutzte hingegen direkt am Straßenrand mächtig und unschön der graue antifaschistische Schutzwall, wie die Mauer von den DDR-Oberen so liebevoll genannt wurde.

Die neue deutsche Stunde Null

Schon an diesem Abend des 9. November 1989 hatte ich das Gefühl, dass etwas Besonderes passiert war. Am 2. Oktober 1990 sah ich schließlich abends die Einheitsfeier aus Berlin im TV. Ich erinnere mich noch genau an die "neue deutsche Stunde Null", als Bundeskanzler Helmut Kohl mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker , Willy Brandt , Hans-Dietrich Genscher und unzähligen weiteren Politikern vor dem Reichstag in Berlin stand, im Hintergrund die übergroße deutsche Flagge, und um Mitternacht die Hymne gesungen wurde. Deutschland war wieder vereint. Friedlich und ohne dass ein Tropfen Blut floss. In meiner noch kindlichen Naivität konnte ich die Tragweite dieses Ereignisses und die historische Bedeutung kaum überblicken. Ich freute mich in erster Linie über den Feiertag, den es nun gab, denn es war schulfrei. Schade nur, dass der Tag der Deutschen Einheit nicht der 9. November wurde.

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Auf einen BlickWie haben Sie den Tag der Wiedervereinigung erlebt? Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an die DDR? Gibt es besondere Erlebnisse, von denen Sie uns gerne berichten möchten? Dann schreiben Sie uns Ihre Geschichte per E-Mail an: redwnd@sz-de. Gerne veröffentlichen wir auch Fotos (mit Angabe des Fotografen). Vergessen Sie bei der Einsendung nicht Ihren Namen und Ihren Wohnort. Die besten Geschichten werden veröffentlicht. him

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