Pflanzen, pflücken und schaukeln

Petite-Rosselle · Das Grubenmuseum Wendel in Petite Roselle thematisiert in einer Sonderausstellung den Arbeitergarten als Nahrungs- und Rückzugsort der Bergleute. Gezeigt werden historische Entwicklungen ebenso wie Rezepte.

Wussten Sie, dass von etwa 1850 bis 1950 jede Arbeiterfamilie in den rund 70 Bergarbeitersiedlungen im lothringischen Kohlebecken über einen eigenen Garten verfügte? Eine Vergünstigung, die von den Bergwerksgesellschaften stillschweigend gewährt wurde. Eine solche Siedlungs-Parzelle maß ungefähr 100 bis 150 Quadratmeter, während die Grünanlage manches Grubendirektors oder Bergbauingenieurs sich auf bis zu 3000 Quadratmetern erstreckte. Derlei soziokulturell Aufschlussreiches erfährt man aus der aktuellen, nunmehr dritten Sonderausstellung im Grubenmuseum Wendel. "Die Gärten der Bergleute/Les Jardins des Mineurs de Charbon" schließt an die letztjährige Ausstellung über Wohn- und Lebensbedingungen der Bergarbeiter an und rückt den Arbeitergarten als Nahrungsquelle wie Rückzugsort in den Fokus. Aussagen von Zeitzeugen und Fotos und Exponate aus Privatbesitz vermitteln einen zwar subjektiven, doch authentischen Blick. Die Schau gibt einen historischen Abriss über Funktion und Entwicklung der Arbeitergärten des 19. und 20. Jahrhunderts, stellt die meistangebauten Obst-, Gemüse- und Blumensorten sowie beliebte Rezepte vor.

Der Arbeitergarten: Was im beginnenden Industriezeitalter als Mittel gegen Armut diente und während der Weltkriege manche Hungersnot linderte, mauserte sich im Wandel der Zeit zum Ort des Wohlbefindens und der Naturverbundenheit - vor allem in den 70er Jahren diente er als Gemeinschaftsgarten auch der Integration und regulierte das soziale Gleichgewicht in problematischen Vororten. Zahlreiche großformatige Fotografien dokumentieren diese Entwicklung. Der Weg führt vom kargen Gemüsegarten zur reinen Selbstversorgung über die Parzelle mit Kleintierhaltung bis zum Naherholungsort mit Swimmingpool, Schaukel und Rutsche. Einen plastischen Eindruck vermitteln Exponate wie das zum Kartoffeltransport in jedem Arbeiterhaushalt seinerzeit unentbehrliche "Ziehwäänsche", diverse Gartengeräte, Krauthobel und mächtige Sauerkrauttöpfe aus Steingut. Rezepte aus Hauswirtschaftskursen, teils noch in Sütterlin-Schrift notiert, wecken Appetit auf Gemüsegratin, gefüllte Tomaten oder Birnenkuchen. Apropos Appetit: Ergänzend zur Ausstellung wurde im Parc Explor ein Bergarbeitergarten in Originalgröße angelegt und sortenreich bepflanzt. Riechen, Anfassen, Schmecken lautet die Devise. Bis Ende Oktober kann man hier bei einer Reihe von Begleitveranstaltungen mit allen Sinnen genießen. Am kommenden Sonntag findet zudem von 9 bis 18 Uhr ein Gourmet- und Blumenmarkt in der ehemaligen Kohlenwäsche statt.

Ausstellung "Die Gärten der Bergleute" bis 31. Oktober, Di. bis So. 9 bis 18 Uhr. Infos: www.musee-les-mineurs.fr

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