„Nicht nur Köpfe erreichen, sondern Herzen“

Otzenhausen als Mittelpunkt Europas? Geografisch nicht. Aber was die Impulse betrifft, die Philosophie einer gelebten Gemeinschaft, da ist Otzenhausen schon ein Zentrum des europäischen Gedankens.

 Zirka 5000 Gäste kamen 1954 zur Eröffnung des Europa-Hauses in Otzenhausen. Fotos: Akademie

Zirka 5000 Gäste kamen 1954 zur Eröffnung des Europa-Hauses in Otzenhausen. Fotos: Akademie

 Stefan Mörsdorf

Stefan Mörsdorf

 Das Holzmodell der Welt im Eingang von Haus C steht symbolisch für die Gäste aus aller Welt.

Das Holzmodell der Welt im Eingang von Haus C steht symbolisch für die Gäste aus aller Welt.

 Arno Krause

Arno Krause

 Marco Wölflinger

Marco Wölflinger

Denn seit 1954 ist dort der Sitz der heutigen Europäischen Akademie. Seit 60 Jahren bietet die Einrichtung Menschen verschiedener Nationalitäten die Gelegenheit zum Austausch. Besonders Jugendliche sollen sich hier begegnen, einander kennen lernen. Sei es bei Seminaren zur politischen Bildung oder Workshops mit kulturellem Hintergrund. In diesem Jahr feiert die Akademie 60. Geburtstag. Dieses Jubiläum ist Anlass einiger Veranstaltungen. Los ging es Anfang Juli mit einem Tag der offenen Tür.

Als Europa-Haus wurde es 1954 eingeweiht. Seine Geschichte ist eng verbunden mit der Geschichte des Saarlandes. Anfang der 1950er Jahre gehörte das Gebiet noch zu Frankreich . Und es drohte zum Zankapfel zwischen Franzosen und Deutschen zu werden. Deshalb musste die Saarfrage gelöst werden. 1949 gründete sich die Europa-Union im Saarland. Zu dieser gehörte auch Arno Krause, der spätere Gründer und Geschäftsführer des Europa-Hauses.

"Die Begeisterung für Europa war stark", erinnert er sich. Das Saarland sollte europäischen Status erhalten. Doch entschieden sich die Bürger bei einer Volksabstimmung schließlich gegen das Saarstatut. 67,7 Prozent waren dagegen. In der Folge einigten sich Deutschland und Frankreich , ab 1957 war das Saarland politisch unabhängig von Frankreich und trat der Bundesrepublik Deutschland bei.

Der Saar-Landtag förderte die Idee einer Begegnungsstätte für europäische Jugendliche - auch finanziell. 350 000 Mark kostete das Europa-Haus in Otzenhausen. 85 Prozent der Kosten übernahm die Saar-Regierung, 15 Prozent die Europa-Union. Doch warum bauten die Verantwortlichen in Otzenhausen? Die Lage am Wald und zur Grenze Deutschlands habe damals den Ausschlag gegeben, sagt Krause. Die ländliche Lage sieht der heutige Geschäftsführer Stefan Mörsdorf nach wie vor als Vorteil: "Wäre die Akademie in einer Großstadt, würden die Jugendlichen am Abend ausgehen, wären über die Stadt verstreut. Hier bleiben sie zusammen und tauschen sich aus." Gerade in Zeiten von sozialen Netzwerken im Internet werde die persönliche Begegnung immer wichtiger. Kurze Zeit war das Europa-Haus lediglich eine Jugendherberge, ehe 1959 der Trägerverein Europa-Haus Otzenhausen - Institut für politische Bildung und deutsch-französische Zusammenarbeit gegründet wurde. Das Aufarbeiten alter Fehden zwischen Deutschland und Frankreich war ein wichtiges Anliegen. "Meine Oma hat mich vor zwei Dingen gewarnt; dem Wald und den Franzosen", erinnert sich Mörsdorf . Doch diese alten Konflikte sind gelöst. Wenn Jugendliche aus Europa und inzwischen auch aus aller Welt nach Otzenhausen kommen, dann auch, um zu lernen, wie in Europa Konflikte erfolgreich gelöst wurden für ein friedliches Zusammenleben.

Zum zweiten Mal treffen sich in diesem Jahr junge Leute aus den West-Balkan-Staaten in der Europäischen Akademie Otzenhausen (EAO). "Deren Väter haben noch aufeinander geschossen", sagt Mörsdorf . Während ihres Aufenthalts an der Akademie würden sich die jungen Menschen neu kennenlernen. "Das ist Völkerverständigung." Vor allem Berufsschülern gebe die Akademie Gelegenheit zum Austausch; wie zuletzt bei einem Graffiti-Projekt von deutschen und französischen Auszubildenden aus kreativen Bereichen.

Mit Blick auf die zurückliegenden 60 Jahre nennt Gründer Arno Krause beispielhaft zwei Erfolge der Akademie. Zum einen war sie von 1972 bis 2004 Sitz des Zentralsekretariats aller Europahäuser. Dies waren zu Beginn 30 und später in 30 Ländern mehr als 100 Häuser . Auch seien die Idee und der Name Saar-Lor-Lux in Otzenhausen geprägt worden. Sein Engagement für die Europa-Häuser ermöglichte Arno Krause auch eine Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. Ein Erlebnis, an das er sich immer gerne erinnert. Geschäftsführer Marco Wölflinger ist seit Mitte April an der Akademie. Seine Eindrücke seien daher noch frisch, sagt er. "Ich spüre den positiven Auftrag, etwas für die Begegnung zu tun." Seine Arbeit mache ihm Spaß, vor allem, wenn er sieht, wie Menschen frei von Ideologien aus Krisengebieten hier friedlich aufeinander treffen.

Wenn Mörsdorf auf die vielen Erlebnisse an der Akademie zurückblickt, erinnert er sich gerne an einen jungen Japaner. Der habe, nach einem Aufenthalt in der Akademie nach seinen Eindrücken gefragt, gesagt: Er habe sein Lebensziel gefunden. Er wolle der Robert Schuman Asiens werden. Der frühere französische Minister war ein Pionier des europäischen Gedankens, gilt als Mitbegründer der Europäischen Union. "Wir sind keine Universität", sagt Mörsdorf . "Wir wollen nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen erreichen - und das gelingt."

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