Neunkircher Muslime bleiben gelassen

Neunkirchen · Rund 1500 Muslime leben in Neunkirchen. 135 Familien gehören zur Türkisch-Islamischen Gemeinde. Zu den Freitagsgebeten kommen 250 Männer in die Moschee in der Lisztstraße, an hohen Feiertagen bis zu 700.

Neunkirchen. "Das Eine hört man, das Andere lebt man." In dieser Kurz-Formel hat Nihat Güler gestern bei seinem Besuch in unserer Redaktion die mediale Diskussion um das Schmähvideo "Die Unschuld der Muslime" sowie seine eigene Neunkircher Lebenswelt zusammengefasst. Mit "das Eine" umschreibt der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde Neunkirchen einen dumm-gefährlichen Film aus den USA, die in muslimischen Staaten losgetretene und sich inzwischen auch nach Europa ausbreitende Protestwelle mit Gewaltszenarien, weiter angeheizt am Mittwoch durch die Mohammed-Karikaturen in einem französischen Satire-Magazin (die SZ berichtete). "Das Andere" ist sein Leben als Deutscher muslimischen Glaubens in Neunkirchen im toleranten Miteinander mit anderen Religionen: "In meiner Familie, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde wird der Film besprochen, mit Kopfschütteln, mit Empörung. Aber man beruhigt sich gegenseitig, denkt an unseren Propheten, bleibt gelassen.""Es macht mir schon Sorge, dass eine solche Aktion, gezielt platziert, eine Gewaltspirale entstehen lassen kann", sagt Zeljko Cudina, Integrationsbeauftragte der Stadt Neunkirchen, beim Redaktionsbesuch. "Aber hier vor Ort mache ich mir keine Sorgen. Das Miteinander funktioniert. Wie zwischen Nihat und mir auch. Er ist Muslim, ich bin Katholik. Wir duzen uns, arbeiten sehr gut zusammen." Am Sonntag beispielsweise, wenn es heißt: "Deutsch wandern und türkisch essen" - eine Veranstaltung im Rahmen der Interkulturellen Woche. Mit Kebab-Grillen.

Rund 1500 Muslime leben in Neunkirchen, wie Zeljko Cudina schätzt. 135 Familien, sagt Nihat Güler, gehören zum Türkisch-Islamischen Verein. Zu den Freitagsgebeten kommen zirka 250 Männer in die Yunus-Emre-Moschee in der Lisztstraße, an hohen Feiertagen bis zu 700 Männer. Und zu den Männern gehören noch die Frauen und Familien. Die Türkisch-Islamische Gemeinde Neunkirchen gehört zu Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, Internet: www.ditib.de ), die bundesweit 896 Ortsgemeinden vereint. Die Ditib untersteht dem Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei. Alle Gemeinden hören auch heute wieder die gleiche Freitagspredigt, erklärt Güler. Die wird per Mail an die Gemeinden verschickt. In Neunkirchen liest Imam Ayhan Engin sie auf Türkisch vor. Ein Beamer wirft den Predigttext auf Deutsch an die Wand. "Das haben wir seit Februar so eingerichtet", sagt Güler. Vorher gab es nur Türkisch. Aber, so der Vorsitzende, es gebe zunehmend mehr Besucher, denen Deutsch vertrauter sei als Türkisch.

Zurück zum Mohammed-Streifen. Deutschland diskutiert in diesen Tagen kontrovers ein Aufführungsverbot. Ein Verbot bringe in der Praxis wohl nicht viel, glauben unsere Gäste: "Verbot macht interessanter. Und in Internet-Zeiten taucht das Verbotene sowieso auf." Nötig sei aber eine grundsätzliche Entscheidung, was geht und was nicht, sagen Cudina (35) und Güler (41). "Eine politische Entscheidung, die auch eine moralische Dimension hat."

Übrigens: Am 3. Oktober gibt es im Rahmen der Interkulturellen Woche wieder einen Tag der offenen Tür in der Yunus-Emre-Moschee: Besichtigung, Informationen über den Islam und Leckereien aus der türkischen Küche. Das Eine hört man. Das andere lebt man.

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