Mit dem Alter kommt die Armut

Neunkirchen. Laut einer Studie "Altersvorsorge in Deutschland" erhalten Frauen 60 Prozent der durchschnittlichen Rente der Männer. "Die Alterssicherungssysteme sind auf Männer abgestellt", sagt Ina Krause-Wollbold, Mitarbeiterin der Arbeitslosenselbsthilfe GmbH (ash) in Neunkirchen, bei einem Besuch in unserer Redaktion

 Saarländische Beratungsstellen berichten: Armut im Alter ist keine Seltenheit. Foto: dpa

Saarländische Beratungsstellen berichten: Armut im Alter ist keine Seltenheit. Foto: dpa

Neunkirchen. Laut einer Studie "Altersvorsorge in Deutschland" erhalten Frauen 60 Prozent der durchschnittlichen Rente der Männer. "Die Alterssicherungssysteme sind auf Männer abgestellt", sagt Ina Krause-Wollbold, Mitarbeiterin der Arbeitslosenselbsthilfe GmbH (ash) in Neunkirchen, bei einem Besuch in unserer Redaktion. "Armut hat ein weibliches Gesicht" heißt ein Projekt, mit dem sich die ash derzeit befasst (wir berichteten). Altersarmut ist dabei ein großes Thema; Erziehungszeiten, Teilzeitarbeit spielen eine Rolle. Drei Viertel der deutschen Frauen werden ihren Lebensunterhalt als Seniorinnen nur mit Hilfe der Fürsorge bestreiten können, heißt es in der Studie weiter. Genau hier kommt die 64-jährige Marga Zlatkovic ins Spiel. Die in Neunkirchen lebende und bei der ash beschäftigte Frau geht im Juni in den wohlverdienten Ruhestand. Ganz unbeschwert genießen wird sie diesen allerdings wahrscheinlich nicht können. Denn dafür fehlt ihr das nötige Kleingeld. Sie wird 800 Euro Rente bekommen, der Rentenbescheid liegt bereits vor. Und das, nachdem sie 50 Jahre gearbeitet hat. "Zusätzlich zu den 800 Euro steht ihr Wohnungsgeld zu, allerdings keine weitere so genannte Grundsicherung, dazu ist die Rente wiederum zu hoch", sagt Brunhilde Jerrentrup, ebenfalls Mitarbeiterin der ash und zuständig für dieses Projekt. Marga Zlatkovic hat mit 16 Jahren den Beruf der Kleidernäherin erlernt. Außer einer Kinderpause von sieben Jahren - Marga Zlatkovic hat zwei Kinder - hat sie immer in diesem Beruf gearbeitet. Geld für eine zusätzliche private Altersvorsorge hatte sie allerdings nie. "Mein erster Lohn waren 140 Mark monatlich", erinnert sich die 64-Jährige. Jetzt lebt sie von ihrem Mann getrennt, die Scheidung läuft, sie ist auf sich selbst gestellt. Der ash ist die angehende Rentnerin sehr dankbar. "Die haben viel für mich getan", sagt sie. Noch nicht im Rentenalter ist Martha Müller (Name von der Redaktion geändert). Die 52-jährige Neunkircherin erzählt, dass sie derzeit gerade auf den nächsten Ein-Euro-Job wartet. Gelernt hat sie den Beruf der Rechtsanwaltsgehilfin, in dem sie auch gerne wieder arbeiten würde und sich fleißig bewirbt, allerdings bis jetzt erfolglos. Martha Müller hat zwei Kinder und nach der Kinderpause auch wieder in ihrem Beruf gearbeitet, doch dann wurde sie aus wirtschaftlichen Gründen entlassen und hat seitdem keine neue Anstellung mehr gefunden. "Ich würde mich gerne in Kostenrecht und Zwangsvollstreckung weiterbilden, damit ich für die Arbeitgeber attraktiver bin. Allerdings zahlt die Arge einen solchen Kurs, der 400 Euro kostet, nicht", berichtet sie. Sie selbst kann sich das, da sie Hartz IV bezieht, nicht leisten. Auch ihr Mann ist keine finanzielle Unterstützung, da der 61-Jährige krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten kann. Besonders ärgerlich ist für Martha Müller, dass teurere Maßnahmen, sie spricht von 1400 Euro, gezahlt werden, die von ihr angeregten und günstigeren Kurse nicht erstattet werden. "Mich ärgert, wenn ich in einem Kurs sitze und lerne, wie ich mich richtig bewerbe, wenn ich mich in dieser Zeit fachspezifisch weiterbilden könnte." Ash-Mitarbeiterin Jerrentrup erklärt, dass es Fälle gebe, in denen die Arge sage, dass solche Kurse bei Vorweisen eines Arbeitsvertrages gezahlt würden. Genau darin bestünde aber das Problem: "Wer solch einen Kurs nicht nachweisen kann, hat geringere Chancen eingestellt zu werden", so die Fachfrau abschließend. Für Dienstag, 8. Juni, lädt die ash zur Fachtagung "Armut hat ein eigenes Gesicht" in die Stummsche Reithalle in Neunkirchen ein. Beginn ist um neun Uhr. Informationen, Telefon (0 68 21) 9 12 74 26; E-Mail ej2010@ash-neunkirchen. de.Meinung

Betroffenheit ist ein erster Schritt

Von SZ-RedakteurinYvonne Wildschütz Das ganze Leben gearbeitet und doch reicht zur Rentenzeit das Geld nicht, um unbeschwert zu leben. Oder: einen Beruf erlernt, darin gearbeitet, entlassen, keine neue Anstellung gefunden - das Geld reicht hinten und vorne nicht und voraussichtlich wird auch dieser Weg in die Altersarmut führen. Solche Szenarien machen betroffen. Doch wie sagt Brunhilde Jerrentrup von der ash so schön: Betroffenheit ist ein erster Schritt für Veränderungen. Aber wie können diese Veränderungen aussehen? Sicher, ein wichtiger Schritt ist, dass Einrichtungen wie die ash sich mit solchen Projekten wie "Armut hat ein weibliches Gesicht" befassen. Das wird aber logischerweise leider nicht ausreichen, um Altersarmut in den Griff zu bekommen. Sind es die Frauen, die hier umdenken müssen, ihre Altersvorsorge privat sichern müssen? Klar, aber nicht immer ist das Geld dafür da. Wer also könnte etwas tun? Ein wichtiger Schritt wäre, dass beispielsweise die Mitarbeiter der Arge einen größeren Spielraum hätten, berufsfördernde Maßnahmen genehmigen und auch bezahlen zu können - im Falle von Marga Müller sicher ein erster und vor allem wichtiger Schritt. Wie aber ist Frauen wie Marga Zlatkovic zu helfen? Hier ist es mal wieder die Politik, die gefragt ist. Solch eine Problematik, die Altersarmut, kann nicht von einzelnen helfenden und eingreifenden Händen angegangen werden. Vielmehr sind Modelle der besseren Absicherung der Altersrisiken gefragt. Eine geschlechtergerechte Alterssicherungspolitik, die weiblichen Biografien entspricht und ökonomische Eigenständigkeit von Frauen fördert, ist dringend erforderlich. HintergrundDie Europäische Kommission hat das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen, mit dem Ziel, das Bewusstsein für die Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung zu stärken. Die Arbeitslosenselbsthilfe GmbH in Neunkirchen hat sich mit der Einreichung einer Projektidee unter dem Titel "Armut hat ein weibliches Gesicht" an der vom Bundessozialministerium ausgeschriebenen Projektförderung beteiligt. ywi

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