In der Nähe, doch fast vergessen

Denting/Moselle · Heute erinnert nur noch eine gespenstische Leere an das Schicksal tausender ukrainischer Kriegsgefangener. Im deutschen Lager Camp du Ban-Saint-Jean bei Boulay, nahe der heutigen Grenze, fanden mehr als 22 000 Menschen den Tod.

 Endstation Boulay: Auf dem lothringischen Bahnhof kamen Tausende von Kriegsgefangenen in Viehwaggons an. Zum Lager mussten sie noch einen langen Fußmarsch zurücklegen. Fotos: Erhard Grein

Endstation Boulay: Auf dem lothringischen Bahnhof kamen Tausende von Kriegsgefangenen in Viehwaggons an. Zum Lager mussten sie noch einen langen Fußmarsch zurücklegen. Fotos: Erhard Grein

 Die Gedenkstätte für 22 000 ukrainische Kriegsgefangene, die im Lager starben, steht auf dem Friedhof des Camp du Ban Saint-Jean.

Die Gedenkstätte für 22 000 ukrainische Kriegsgefangene, die im Lager starben, steht auf dem Friedhof des Camp du Ban Saint-Jean.

 Nur noch Ruinen sind von den Offiziershäusern im ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Lothringen geblieben. Foto: D. Gräbner

Nur noch Ruinen sind von den Offiziershäusern im ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Lothringen geblieben. Foto: D. Gräbner

Foto: D. Gräbner
 3600 Ukrainer starben bereits, bevor sie das Lager in Denting erreichten. Mit diesem Stein wird ihrer heute gedacht.

3600 Ukrainer starben bereits, bevor sie das Lager in Denting erreichten. Mit diesem Stein wird ihrer heute gedacht.

Das lothringische Denting ist ein kleiner Ort im Kanton Boulay (Bolchen), von Rehlingen-Siersburg und Bouzonville etwa 35 Kilometer entfernt. Fast vergessen ist heute, dass es dort während des Zweiten Weltkrieges ein deutsches Kriegsgefangenenlager gab, in dem Tausende russischer Kriegsgefangener, vor allem Ukrainer, starben. Man findet kaum noch Bürger, die Näheres über das Lager und das Schicksal der Gefangenen erzählen können. Von 1941 bis 1944 nahm das Camp du Ban-Saint-Jean tausende Kriegsgefangene auf. Es war das Zweiglager Johannis Bannberg des STALAG (Stammlager) XII Forbach.

Die "Rose der Maginotlinie"

Zum Festungsabschnitt Boulay der Maginotlinie gehörte auch das Infanteriewerk Denting. Auf einer 88 Hektar großen Fläche, heute überwiegend noch militärisches Sperrgebiet, entstand für das 146. französische Infanterieregiment zwischen 1934 und 1936 neben dem Infanteriewerk das "Casernement" (Kaserne) du Ban St. Jean, zu dem auch ein großer Paradeplatz gehörte. Vor den Offizierswohnungen standen seltene rote Rosen . Die gepflegten Rosengärten führten zum Namen "Rose der Maginotlinie" - ein Symbol, das bis heute erhalten blieb.

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wurde das Camp zunächst Lager für französische Kriegsgefangene . Der populärste unter ihnen war der spätere französische Staatspräsident François Mitterand. Nach dem Beginn des Russlandfeldzuges kamen zahlreiche Gefangene aus dem Osten. In Viehwaggons kamen sie auf dem Bahnhof Boulay an.

Krank,schwach, hungrig

Man sonderte viele tuberkulosekranke Gefangene aus, um sie im Hospital zu behandeln. Aber auch die Übrigen waren durch die unhygienischen Verhältnisse während des Transportes und durch Hunger sehr geschwächt. Vom Bahnhof Boulay aus mussten die Gefangenen noch fünf Kilometer zu Fuß bis in das Lager zurücklegen.

Man brauchte in Lothringen und im Saarland für die Gruben, die Hüttenwerke und die Landwirtschaft Arbeitskräfte. Die Kriegsgefangenen, die bei den Bauern arbeiteten, hatten es zum Vergleich mit den Arbeitern in Bergbau und in der Industrie gut: Sie wurden satt. Immer wieder schleppten sie Säcke mit Lebensmitteln für ihre Kameraden in das mit Stacheldraht umzäunte und streng bewachte Lager.

Kontakte mit Einheimischen

Zwischen einzelnen Lothringern und Kriegsgefangenen, überwiegend Ukrainern, gab es auch Freundschaften. Verschiedene Bauernhöfe waren von Siedlern aus Deutschland übernommen worden. Deren Verhältnis zu den Kriegsgefangenen habe sich, so wird berichtet, nicht von dem der Alteingesessenen unterschieden. Aus Oberdorff berichtete Rose-Marie Stallknecht, dass nach dem Krieg einer der Ukrainer sogar eine Lothringerin aus ihrem Dorf geheiratet habe.

Fast 50 000 Gefangene

Das Lager war 1943 mit 49 015 Gefangenen belegt. Hunger, Erschöpfung, Krankheiten, Siechtum waren alltäglich. Bemerkenswert ist, dass zum gleichen Zeitpunkt nur 41 810 Gefangene im Arbeitseinsatz waren. Die Zahl der durch Hunger und Krankheiten Verstorbenen nahm dramatisch zu. Die Toten wurden auf dem riesigen Gräberfeld primitiv, oft in mehreren Schichten übereinander, bestattet.

Allein in Boulay sind, neben den russischen Gefangenen, 3600 Ukrainer beigesetzt worden. Ihnen ist ein eigenes Denkmal gesetzt worden. Bei einer Exhumierung nach dem Weltkrieg auf dem Gräberfeld in Denting, für die deutsche Kriegsgefangene eingesetzt wurden, wurden in zehn Grabreihen 2879 Leichen geborgen. Die meisten Toten liegen allerdings noch anonym im riesigen Gräberfeld. Man kennt deren Zahl nicht genau. Die Gedenkstätte weist auf 22 000 Tote hin. Als im September 1944 die amerikanischen Truppen um Metz kämpften, wurden die Lazarette von Stalag XII evakuiert.

Erst am 25. November 1944 besetzte eine US-Einheit Denting. Noch im Dezember 1944 waren etwa 2500 Gefangene unter Aufsicht ihres Wachpersonals zu Schanzarbeiten am Westwall auf der linken Saarseite zwischen Dillingen und Saarlouis (damals Saarlautern) eingesetzt. Einige verloren dabei ihr Leben.

Verfallener Prunk

Nach dem Weltkrieg wurde das große Terrain von Saint-Jean kurzfristig wieder von der französischen Armee übernommen. Die Gebäude wurden abgerissen, die vornehmen Offizierswohnungen verfielen mehr und mehr. Die wenigen Überreste im militärischen Sperrgebiet stehen noch gespenstisch zwischen kargen Baumbestand. Hierher, sagen die Bewohner der Gegend, verirrt sich wegen der vielen Toten im ehemaligen Camp kaum ein Singvogel.

Vereinigung pflegt Erinnerung

Die Erinnerung an das Gefangenenlager Denting wäre wohl längst völlig verblasst, hätte sich nicht vor Jahren die "Association Franco-Ukrainienne pour la réhabilitation du charnier du Ban Saint-Jean" (l'AFU) gegründet. Die französisch-ukrainische Vereinigung hat etwa 200 Mitglieder, die sich für die Erhaltung und die Gestaltung der Erinnerungsstätte einsetzen. Ehrenpräsident und besonderer Vorkämpfer ist der frühere Abgeordnete der Nationalversammlung, Dr. Julien Schvartz, Präsident ist Bruno Doyen aus Obervisse.

Gabriel Becker aus Ricrange hat sehr viel recherchiert, bei den Erhaltungsmaßnahmen mit Hand angelegt, Schriften verfasst und er sammelt kleine Kunstwerke, die Ukrainer mit besonderem Geschick im Lager hergestellt haben. Die Vereinigung, insbesondere Becker, legt großen Wert auch auf saarländisches Interesse an der Historie von Ban Saint-Jean.

Nach umfangreichen Bauarbeiten wird am Sonntag, 29. Juni, 10 Uhr, im Gelände du Ban Saint-Jean in Denting der Parkplatz und ein neuer Weg feierlich eröffnet. Gäste aus dem Saarland sind dazu willkommen.

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