Das Paradies am Rande der Stadt

Neunkirchen · Erst war sie bloß der kühne Gedanke ihres Gründers Bernd Janes: Mittlerweile steht die erste ökologisch-soziale Siedlung des Saarlandes bereits 20 Jahre. Und immer noch verbindet der „Kleine Hirschberg“ den Anspruch von umweltbewusstem Bauen mit dem Leben in Gemeinschaft.

 Die idyllische Gartenseite des „Kleiner Hirschberg“: Die ökologisch-soziale Siedlung in Neunkirchen-Kohlhof, die älteste dieser Art im Saarland, entstand vor 20 Jahren. Die 16 Häuser sind jeweils Eigentum, der Garten ist Gemeinschaftsgelände. Fotos: Iris Maurer

Die idyllische Gartenseite des „Kleiner Hirschberg“: Die ökologisch-soziale Siedlung in Neunkirchen-Kohlhof, die älteste dieser Art im Saarland, entstand vor 20 Jahren. Die 16 Häuser sind jeweils Eigentum, der Garten ist Gemeinschaftsgelände. Fotos: Iris Maurer

 Zu den Häusern im Grünen geht's nur zu Fuß, mit Rad, Roller oder Bollerwagen. Die Autos der Anwohner stehen auf einem eigenen überdachten Parkplatz vor der kleinen Siedlung.

Zu den Häusern im Grünen geht's nur zu Fuß, mit Rad, Roller oder Bollerwagen. Die Autos der Anwohner stehen auf einem eigenen überdachten Parkplatz vor der kleinen Siedlung.

 Die Wiege des jüngsten Hirschbergers: Papa Zaid Binot an der Wiege seines im April geborenen Sohns Florentin. Seine beiden Töchter Carlotta und Jona (von links) machen es sich auf dem Sofa bequem.

Die Wiege des jüngsten Hirschbergers: Papa Zaid Binot an der Wiege seines im April geborenen Sohns Florentin. Seine beiden Töchter Carlotta und Jona (von links) machen es sich auf dem Sofa bequem.

Die Frage nach dem "Kleinen Hirschberg " hört der Mittsechziger, der ortseingangs Kohlhof über sein perfekt gestutztes Vorgartengrün wacht, wohl nicht zum ersten Mal: "Die Ökos menne Sie? Do hinne rechts, dann siehn se die Holzhäuser." Jutta Bechtel-Born wohnt in einem dieser "Öko"-Domizile. Und weiß, was so an Halbwahrheiten und Histörchen über die Siedlung kursierte. "Als ich vor 19 Jahren meine Töchter im Kindergarten angemeldet habe, sagte mir die Kindergärtnerin: ,Bei uns gibt's aber nicht nur Müsli zum Frühstück.'"

Längst aber ist die Mischung aus Neugier und Befremden verflogen. Heute gehört die älteste ökologisch-soziale Siedlung des Saarlands zum Neunkircher Stadtteil Kohlhof dazu. Man lebt gut miteinander. Und doch bewahrt sich das Öko-Dörfchen etwas Eigenes. Schon weil die 16 Häuser separat liegen, samt ihrem Zuweg, über den bloß ein Auto fahren darf, wenn mal Möbel zu transportieren sind. Vor allem aber sind die Hirschberger eine echte Gemeinschaft, gleich ob sie nun schon fast 20 Jahre hier leben wie "Ureinwohnerin" Jutta Bechtel-Born. Oder erst vor zwei Jahren einzogen wie das Ärztepaar Binot mit seinen vier Kindern. Ihr Jüngstes ist sogar der erste waschechte Hirschberger: Am 26. April kam Florentin per Hausgeburt in der Siedlung zur Welt.

Und wie ist das Zusammenleben nun? "Man redet und lacht miteinander, sorgt sich, wenn's jemand mal nicht gut geht und feiert auch zusammen", erzählt Jutta Bechtel-Born, "vor allem unsere Maifeste sind legendär."

Genau so hatte sich Bernd Janes, Initiator des "Kleinen Hirschberg ", das gewünscht, als er Anfang der 1990er Jahre nach einem Grundstück für die Siedlung suchte. Da war er noch Polizist in Neunkirchen . "Kein einfaches soziales Pflaster, Neunkirchen , damals, darum war mir auch der soziale Gedanke so wichtig. Den wollte ich in gemeinsamem Wohnen verwirklichen". Quasi seine zeitgemäße Interpretation von Großfamilie. Was vor allem aber bedeutete, dass Janes nach viel Platz für Menschen suchte. Am Saum der einstigen Eisenstadt wurde er fündig: ein 6500 Quadratmeter-Areal - mitten im Grünen. Auch Architekten, die seinen Ideen Gestalt geben konnten, waren bald zur Hand: Helmut Müller-Sang und Hartmut Rollmann.

Klar war auch: Es sollte ökologisch gebaut werden. Holz als Hauptmaterial stand rasch fest. Man griff zu unbehandelter Lärche, die Sonne und Regen über die Jahre silbrig färbten. Mit Gasthermen, Warmwasserbereitung via Solarthermie und Regenwasserzisternen, die für Toilette und Waschmaschine Brauchwasser liefern, waren die Häuser Anfang der 90er auch auf dem Stand der Dinge in puncto Nachhaltigkeit. Und konsequent wurden die Häuser mit je 170 Quadratmetern Wohnfläche nach der Kompassnadel ausgerichtet. Viel Wärme aufnehmende Glasflächen prägen die Süd- und Gartenseiten. Nach Norden hin, den Eingängen vorgelagert, stehen Vorhäuser für die Haustechnik. Dafür gab's für die Siedlung auch das Ökosiegel "grüne Hausnummer". Und für den Bauherrn 1996 den saarländischen Staatspreis für Architektur und Ökologie.

Mehr als sowas zählt aber, wie es die Bewohner selbst sehen. "Es ist ist ein besonderes Wohnklima. Man fühlt sich sofort wohl", erklärt Susanne Binot, "auch weil dieses etwas festere soziale Netzwerk dazu gehört." Als sich die Binots 2012 das Haus ansahen, brauchten sie bloß die Rückfahrt von der Besichtigung, um zu wissen: "Das ist es. Und bisher haben wir es nicht bereut."

Je ein Häuser-Quartett der Siedlung wurde gemeinsam errichtet. 1993 ging's los, Mitte 1994 folgte die Einweihung mit dem damaligen saarländischen Umweltminister Jo Leinen (SPD ). Mit ihm pflanzten die Hirschberger auch ihre Siedlungslinde - noch heute ein lauschiger Treffpunkt.

Mitstreiter für sein Bau- und Lebens-Projekt waren schnell gefunden, erinnert sich Janes: "Wir haben bloß ein Schild an die Straße gestellt. Die Leute kamen von selbst." Trotzdem blieb "Überzeugungsarbeit". 360 000 Mark für ein Haus mussten erstmal bezahlt werden (zuletzt wurde ein Haus für deutlich über 200 000 Euro verkauft). Und: Man erwirbt damit nur Eigentum an der Parzelle, auf der das Haus steht, und der Immobilie. Der Rest ist Gemeinschaftsgelände, die Gärten haben keine Zäune.

So viel Gemeinsinn ist auch eine stete Übung in Toleranz. Nicht immer eine Lust. Über die Jahre wurde so auch die Uniformität der Häuser mit einer gelb gestrichenen Tür hier und einem Gartentor dort dezent unterlaufen. Und Heckenreihen deuten "eigenes" Terrain an. "Aber ich schneide sie immer so, dass alle Kinder problemlos durchlaufen können", sagt Jutta Bechtel-Born.

Viele Akademiker, darunter etliche Lehrer wie Jutta Bechtel-Born, gehörten zu den Erstbeziehern am Hirschberg . "Es braucht ein gewisses Interesse für diese Art zu leben", meint Janes. Er selbst zog übrigens zunächst als Mieter ein und baute später das letzte Haus der Siedlung "mit allen Erfahrungen aus dem Bauprozess". Erst 2005 zog Janes weg. Nicht weil er sich nicht mehr heimisch fühlte, es waren familiäre Gründe. So baute er sich in Hornbach ein kleineres Öko-Haus, wo er heute als freier Architekt und Künstler lebt.

Für ihn war der "Kleine Hirschberg " auch die Wegmarke seines Lebens. Die Beschäftigung mit dem Siedlungsprojekt mündete bei ihm in ein Studium der Bauökologie und der Architektur - heute sein Beruf. Wobei er nie wieder ein so ein umfassendes Projekt wie den "Kleinen Hirschberg " realisierte. "Es hat damals einfach alles gepasst", meint Janes. Und heute? "Stimmt es immer noch genau so", sagt er - und lächelt.

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