Besuch am Grab des Urgroßvaters

Merzig/St Wendel · Orna Gold, die Tochter von Fritz Berl, besuchte mit Ehemann und Mutter die Kreisstadt, in der die Wurzeln ihrer Vorfahren liegen. Auf dem Friedhof legten sie nach jüdischer Sitte zum Abschied Steine auf das Grab.

. Nachdem im letzten Jahr die Landeshauptstadt Saarbrücken einen zentralen Platz nach dem ehemaligen Rabbiner Schlomo Rülf benannt hat, zog der Kreis St. Wendel als erster Kreis im Saarland nach und benannte in sieben Orten Plätze nach ehemaligen in der Nazizeit ermordeten jüdischen Mitbürgern, darunter auch den Eugen-Berl-Platz. Zur Einweihung waren die Verwandten Berls, die Familien Berl/Gold aus Israel, an die Saar gereist.

Bevor die Familien jedoch von Frankfurt nach St. Wendel fuhren, machten sie einen Abstecher nach Merzig, wo die Wurzeln der Familie Berl liegen. Nach langem Suchen und sechsmaligen Fragen fand man den jüdischen Friedhof endlich unterhalb der Kreuzbergkapelle. Dann kam die nächste Enttäuschung: Die beiden Zugänge zum Friedhof waren verschlossen, und samstags waren alle Behörden geschlossen, bei denen man sich hätte einen Schlüssel besorgen können. So musste man über die Eingangstür klettern, um zu den Gräbern zu gelangen. Die 85-jährige Yeheskela Berl, deren Schwiegervater Eugen Berl 1870 in Merzig geboren wurde, konnte dies jedoch nicht mehr.

Ihre Tochter Orna und ihr Mann Michael fanden nach einer Weile Suchen die Grabstellen von drei Berls. Es waren Meier, Salomon und Berhard Berl. Letzterer war der Vater von Eugen Berl, wusste Yeheskela Berl aus den Erzählungen ihres Mannes. Man hatte das Grab des Vorfahren gefunden und war froh. Aber es war nicht mehr der Original-Grabstein, sondern ein nach dem Krieg gesetzter Ersatzstein für ein verloren gegangenes oder zerstörtes Grabmal, bei dem zudem Namen jegliche biographischen Daten fehlten. Wie es nach jüdischer Sitte üblich ist, säuberte man die Grabstelle und legte zum Abschied ein paar Steine auf das Grab - anstelle von Blumen. Auf dem Friedhof fiel auf, dass fast alle Grabsteine Ersatzsteine waren, so oft und intensiv musste der Friedhof in der Vergangenheit zerstört worden sein. Nur ein Grabstein für einen jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges war noch intakt und überragte den gesamten Friedhof, wurde der Familie bewusst.

Nach dem Besuch des Friedhofes erfuhren die Berl/Golds von Anwohnern, dass der Friedhof seit einigen Jahren wohl wegen der Gefahr weiterer Zerstörungen abgeschlossen ist. Die Anlieger waren erstaunt, dass es noch Angehörige gibt, die diesen Friedhof besuchen.

Das könnte in Zukunft noch öfters passieren, denn nach dem aus Merzig stammenden Eugen Berl (1870 bis 1936) hat die Stadt St. Wendel einen Platz neben der evangelischen Kirche benannt. Die jüdische Familie Berl war eine hoch angesehene Familie in der Kreisstadt St. Wendel, sie betrieb ein Textil-Ladengeschäft mit zeitweise acht Angestellten, es gehörte zu den größten der Kreisstadt. Eugen Berl spielte als SPD-Vorsitzender und Gründer eines Musikvereins im politischen und kulturellen Leben der Stadt und der Region eine wichtige Rolle und war voll integriert. Darüber hinaus war er auch Vorsitzender der St. Wendeler Synagogengemeinde und spielte in der kath. Wendalinusbasilika aushilfsweise die Orgel, so gut waren die Beziehungen zu den anderen religiösen Gemeinschaften. Dies alles half nach der Rückgliederung des Saargebiets an Hitler-Deutschland 1935 nichts mehr. Eugen Berl und seine Frau Erna wurden wegen Blutschande angeklagt, weil sie weiterhin nichtjüdische Angestellte hatten. Nach dem Tode von Eugen Berl 1936 und dem Verweis des Sohnes Fritz aus dem Gymnasium, gelang diesem damals 14-Jährigen als einem der letzten Juden die Flucht nach Palästina. Seine Mutter wurde 1940 nach Gurs in Frankreich deportiert und später in Auschwitz ermordet.

Die heute in Israel lebende Familie Berl hatte neben den offiziellen Terminen auch interessante Gespräche mit Schülern einer Projektgruppe der Oberstufe des Wendalinum-Gymnasiums, die vom Adolf-Bender-Zentrum vermittelt wurden. Die Schule möchte ihre Aula nach deren Renovierung nach dem letzten jüdischen Schüler des Gymnasiums, Fritz Berl, benennen und dann die Angehörigen aus Israel wieder einladen.

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