Augen auf den Lauf der Natur

Kleinblittersdorf · Ehrenamtliche Pflanzenbeobachter sichten für den Deutschen Wetterdienst, was im Saarland wann blüht. Ihre Daten fließen in Statistiken ein, für die sich auch Klimaforscher und Landwirte interessieren.

Mit geschultem Auge sucht Christoph Gorius die Beeren des schwarzen Holunders nach dunklen Verfärbungen ab. Er hat mittlerweile ein Gespür dafür entwickelt, wann die Früchte reif werden. Der 55-jährige Kleinblittersdorfer pflegt ein ziemlich ungewöhnliches Hobby: Für den Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach sichtet er das ganze Jahr über in Kleinblittersdorf Bäume und Pflanzen. Als sogenannter phänologischer Sofortmelder gehört es zu seinen Aufgaben, dem Wetterdienst zu melden, wann etwa eine Entwicklungsphase einer Wildpflanze beginnt. Er achtet zum Beispiel auf die Blattentfaltung, die Blüte, die Reife der Frucht oder die Laubverfärbung.

Die Phänologie (aus dem Griechischen: Lehre von den Erscheinungen) befasst sich mit den periodisch wiederkehrenden Entwicklungserscheinungen von Pflanzen. Die Eintrittszeiten charakteristischer Vegetationsstadien, die von den Beobachtern auf Meldebögen dokumentiert werden, sind laut Wetterdienst auch ein Indikator für die Wirkungen von Witterung und Klima auf die Pflanzenentwicklung.

Im Saarland sind aktuell 14 ehrenamtliche Pflanzenbeobachter tätig, darunter sechs sogenannte Sofortmelder. Unterwegs sind sie in Perl, Wadern-Büschfeld, Mettlach-Orscholz, Nonnweiler-Otzenhausen, St. Wendel-Osterbrücken, Lebach, Nalbach-Piesbach, Rehlingen-Siersburg-Fürweiler, Homburg, Kirkel-Limbach, Blieskastel-Blickweiler, Blieskastel-Altheim, Saarbrücken-Ensheim und Kleinblittersdorf. In Deutschland gibt es insgesamt 1230 ehrenamtliche Pflanzenbeobachter. "Idealisten und Naturliebhaber" nennt der Wetterdienst seine Helfer. Ein Teil der Ehrenamtlichen sei für die Aufgabe bereits beruflich prädestiniert, zum Beispiel als Landwirt, Gärtner, Biologie-Lehrer oder Forstbediensteter. Andere Beobachter arbeiteten sich in die Materie ein.

Sofortmelder wie Christoph Gorius melden etwa umgehend die Blüte aller Pollen verbreitenden Pflanzen - zum Beispiel Hasel, Birke und Wiesenfuchsschwanz - sowie die Blüte und Reife landwirtschaftlicher Nutzpflanzen wie Mais oder Roggen. "Die Landwirte rufen beispielsweise Meldedaten von blühenden Gräsern ab. So können sie sich informieren, wann sie Unkrautvernichter ausbringen müssen", erläutert Gorius. Über das ganze Jahr erhebt Gorius rund 140 Meldedaten. Bislang hat er rund 8300 gemeldet. Per E-Mail oder Telefon schickt er die Daten an die Wetterwarte Trier. Und die leitet seine Daten an die Zentrale in Offenbach weiter. Doch das war nicht immer so. "Vor etwa zehn Jahren musste ich noch die Daten auf eine Postkarte schreiben und an den Wetterdienst schicken", erzählt er.

Seine Touren führen ihn zu bewirtschafteten Feldern, zu Wald und Wiesen. "Ich weiß, wo die verschiedene Pflanzen wachsen und die Bäume stehen", erklärt Gorius. Zwei- bis drei Mal pro Woche gehe er an den gleichen Stellen vorbei und sehe nach, ob beispielsweise der Mais auf einem Feld in Rilchingen-Hanweiler erntereif ist. Im Frühjahr und Sommer ist er zwei bis drei Stunden pro Woche unterwegs. "Wenn es einen harten Winter gibt, dann passiert nichts", sagt er.

Anhand der von Gorius und den anderen Pflanzenbeobachtern übermittelten Daten kann der Wetterdienst unter anderem Rückschlüsse auf die globale Klimaerwärmung ziehen. "Vor 20 Jahren blühten Apfelbäume Ende April, heute blühen sie schon im ersten Drittel des Monats", sagt Gorius. Auch bei der Kirschblüte habe er das beobachtet. Diesen Befund bestätigen auch Wissenschaftler, die - neben Behörden und Landwirtschaft - zu den Nutzern der Daten zählen.

Derzeit reifen die Beeren des schwarzen Holunders heran. Längst hat Gorius die ersten reifen Holunderbeeren gemeldet. "Anhand der Verfärbung der Beeren erkenne ich den Reifegrad", erklärt er. "Wegen des kalten, nassen Frühjahrs ist in diesem Jahr der Holunder wieder etwas später dran als in den vergangenen Jahren." Zwei bis drei Wochen sei die Natur im Hintertreffen. Aber durch die warme Sommerwitterung habe sie den Verzug wieder etwas aufholen können.

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