Angelina sieht die Welt mehr mit ihrem Herzen

Nonnweiler · Rot kann sie sich vorstellen, ansonsten sieht Angelina Marinovic keine Farben. Was es bedeutet, mit einer Sehbehinderung zu leben, möchte sie mithilfe präparierter Spezialbrillen simulieren. Die können Besucher beim Dunkelcafé im Mehrgenerationenhaus (MGH) in Nonnweiler am 6. Mai ausprobieren. Heute ist übrigens der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

 Angelina ist derzeit Praktikantin im MGH Nonnweiler. Fotos: B&K

Angelina ist derzeit Praktikantin im MGH Nonnweiler. Fotos: B&K

 Angelina Marinovic (Mitte) ist sehbehindert. Sie sieht alles in Grautönen. Ronja Hornberger (links) und Julia Hornetz mit Simulationsbrillen, welche zeigen, wie Sehbehinderte ihre Umwelt wahrnehmen.

Angelina Marinovic (Mitte) ist sehbehindert. Sie sieht alles in Grautönen. Ronja Hornberger (links) und Julia Hornetz mit Simulationsbrillen, welche zeigen, wie Sehbehinderte ihre Umwelt wahrnehmen.

Vor Angelina Marinovic auf dem Tisch liegen drei Brillen mit dunklem Gestell und dunklen Gläsern. Sonnenbrillen mag der Betrachter nach einem flüchtigen Blick darauf denken. Doch diese Modelle haben es in sich. Sind sie doch in der Lage, demjenigen, der sie aufzieht, einen neuen Blickwinkel auf seine Umgebung zu schenken. Die 20-jährige Praktikantin im Mehrgenerationenhaus (MGH) in Nonnweiler hat die Gestelle präpariert. Einmal sind die Gläser mit Krepppapier überklebt, einmal sind nur zwei kleine Löcher in die tiefschwarzen Gläsern gekratzt und einmal findet sich ein wildes Muster darauf. "Damit werden Blindheit, der Röhrenblick und der graue Star simuliert", erklärt Angelina. Die junge Frau plant mit dem Team des MGH ein Dunkelcafé am Dienstag, 6. Mai. Dort können Neugierige die Brillen ausprobieren.

Wie Angelina ihre Welt sieht, das können die Besucher allerdings nicht beim Blick durch die Spezialbrillen erfahren. Ihre Umwelt besteht aus Grautönen und ist verschwommen, Farben kann sie keine erkennen. "Ich habe eine Vorstellung von rot", sagt sie. Sie kam mit einem Gen-Fehler auf die Welt. Ihre Sehkraft beträgt zehn Prozent. "Meine Augen sind stark lichtempfindlich", erklärt die 20-Jährige. "Ohne spezielle Sonnenbrille würde ich draußen nichts sehen." In Gebäuden allerdings bewegt sich die junge Frau ganz selbstverständlich. Eine Einschränkung ist ihr nicht anzumerken. Wer sie zum ersten Mal kennen lernt, sieht sich einer freundlichen, offenen jungen Frau gegenüber mit modischer Brille, dezentem Make-up und farblich abgestimmter Kleidung. Dass sie bei der Zusammenstellung ihrer Outfits zu Tricks greifen muss, ahnt niemand, der sie erlebt. Sie merkt sich schon beim Kauf an speziellen Details, um welches Shirt es sich handelt und welche Farbe dieses hat. So kann sie später die Kleidung kombinieren. Angelina sind Äußerlichkeiten nicht wichtig. "Viele bewerten Menschen nach ihrem Aussehen. Dabei gibt es vieles, was sie nicht sehen. Ich tue das nicht", so die 20-Jährige. Sie geht mehr nach dem Gefühl.

Im Alltag gibt es so manche Herausforderung für Angelina. Beim Kochen sei es für sie schwierig zu erkennen, wann das Fleisch gar ist. Auch das Einkaufen dauere bei ihr länger. Beim Zug fahren ist das Einsteigen problematisch und eine Disco hat sie nie besucht. Da sind zu viele Menschen, sagt Angelina. Wohl fühlt sie sich im Kino oder bei einem Dinner bei Kerzenschein. Das schummrige Licht ist angenehm für ihre Augen. Beim Fernsehen sitzt Angelina ganz nahe am Gerät. Das funktioniere ganz gut. Doch wenn Mitte Juni alle Fußball-Fans gebannt vor der Mattscheibe sitzen und ihr Team bei der WM in Brasilien anfeuern, kann Angelina dem Geschehen nicht folgen. "Fußball ist Mist", sagt sie seufzend. "Ich sehe weder den Ball noch weiß ich, wer welche Mannschaft ist."

Angelina kommt aus Nonnweiler, doch besucht sie eine Schule für Sehbehinderte in Marburg. Dort möchte sie ihr Abitur machen. Da ein ständiges Pendeln nicht möglich ist, lebt sie in Marburg in einer WG mit anderen Sehbehinderten zusammen. "Bei uns macht jeder im Haushalt, was er am besten kann." Das funktioniere gut. Später möchte die 20-Jährige Psychologie studieren. "Mir ist wichtig, dass die Leute merken, dass eine Sehbehinderung nicht bedeutetet, dass man dumm ist. Man ist nur in gewisser Weise eingeschränkt", sagt Angelina. Ihr Praktikum im MGH in Nonnweiler macht ihr großen Spaß. "Wir gehen hier ganz ehrlich miteinander um. Angelina sagt uns, wenn sie etwas nicht tun kann", erklärt Julia Hornetz. Die Leiterin des MGH war von Anfang an von Angelinas Auftreten und Offenheit angetan. "Ich habe viele Fragen gestellt. Denn ich wollte Angelina weder über- noch unterfordern."

Wenn Angelina Marinovic zuhause in Nonnweiler ist, geht sie auch gerne mit ihrem Jack-Russel-Terrier Jason spazieren. Er ist nicht speziell ausgebildet. "Einen Begleithund kriege ich nicht. Dafür sehe ich zu gut", sagt die tierliebe Angelina. Mit dem Terrier traut sich die 20-Jährige auch alleine in den Wald. "Ich habe keine Angst. Und wenn ich mal hinfalle, dann stehe ich eben wieder auf."

Das Mehrgenerationenhaus in Nonnweiler lädt zum Dunkelcafé am morgigen Dienstag, 6. Mai, 15.30 bis 17 Uhr. Es können präparierte Brillen getestet werden.

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