Abendliche Zeitreise ins Mittelalter

Die Sonne ist noch nicht vollständig untergegangen, als sich die Menschen am Freitagabend vor dem Alten Wehrturm in Ottweiler versammeln. „Als wir vor sieben Jahren mit den Führungen angefangen haben, kamen vor allem die Ottweiler.

Nun sind es viele Menschen aus dem restlichen Saarland und anderen Bundesländern auf der Durchreise, die diese Führung in ihr Ausflugsprogramm integrieren. Und die Ottweiler kommen wieder, wenn sie Besuch haben", erzählt Willi Wälder sichtlich stolz. An diesem Freitag sind zum Beispiel unter den rund 20 Rundgang-Teilnehmern Gäste aus dem Spreewald dabei. In ein paar Minuten wird Wälder zum Zeitreisenden und in die Rolle des Nachtwächters Gregor Amann schlüpfen.

Glockenspiel als Begrüßung

Kaum läuten die Glocken, heißt der Nachtwächter seine Gäste willkommen und erzählt von seinen Aufgaben. Sobald die Tore der Stadt geschlossen wurden und es dunkel wird, steigt er in seine Wachstube und wacht über der Stadt. Zu einer Zeit, an der die Leute keine Uhren besaßen, war der Nachtwächter , der sich singend zur vollen Stunde meldete, als menschliche Zeitansage gerne gesehen, erzählt Wälder am Markplatz, "da wo die vornehmen Leut' gewohnt haben". Der Nachtwächter in historischem Gewand schildert Szenen aus dem täglichen Ottweiler Alltag im Mittelalter und die Teilnehmer malen sich aus, wie die Männer eine Kette mit Wassereimern bildeten, um einen Brand zu löschen. Oder wie sich die angeblichen Hexen fühlten, die am Markttag buchstäblich an den Pranger gestellt wurden. Wobei der Nachtwächter immer wieder Parallelen zu unserer Zeit zieht. Gemeinsamkeiten gibt es mehr, als man denken könnte: "heißt euer Pranger heutzutage nicht das Internet?", fragt Wälder in die Runde und schmunzelt.

Weiter geht's zu einem der wichtigsten Orte der mittelalterlichen Stadt, dem Schlosshof und seinem Quack-Brunnen. Egal ob es um die Waschgewohnheiten vor ein paar Jahrhunderten oder die Entdeckung der "Grummbeere" geht - bei zahlreichen Anekdoten gibt es für die Gruppe viel zu lachen. In den malerischen Gassen der Altstadt wird es eng, "damals wollten alle Menschen innerhalb der Stadtmauer leben, außerhalb lauerten Räuber", erzählt der Mann mit der tiefen Stimme, warum die Häuser so dicht aneinander gebaut wurden.

Der Rundgang führt an den Häusern vorbei, wo Müller, Seiler, Hufschmied oder Flechter einst ihrem Handwerk nachgingen. Die Herren waren keine Kinder von Traurigkeit, wie der Nachtwächter mit pointierten szenischen Beschreibungen zu erzählen weiß. Die Geschichte der fuchsteufelswilden Ehefrau, die zu Hause auf ihren Gatten wartet, der nur kurz in die Schänke auf einen Feierabend-Wein vorbeischauen wollte, kommt bestimmt auch manchen Zeitgenossen gar nicht mal so fremd vor. Die Runde von heute findet diese Anekdote besonders unterhaltsam. "Dem einen oder anderen Spitzbub', der auf eine Leiter kletterte, Damen unanständigen Besuch abzustatten, musste ich schon mit der Hellebarde den Weg nach unten zeigen", gibt sich der Nachtwächter als Garant der Sitten. Unerlaubter Flirt im Rücken der Eltern ist also auch nichts Neues.

Mit der Laterne in der Hand führt Willi Wälder - alias Gregor Amann - die Gruppe weiter munter von der ehemaligen Schule bis zur Stadtmauer und zum alten Staudamm die "Tensch".

Das historische Erbe erhalten

Ottweiler ist nicht die einzige Stadt in unserem Bundesland, wo barocke Bauwerke noch erhalten sind. "Doch wir haben hier das größte Ensemble im Saarland", sagt Willi Wälder . Damit auch private Eigentümer das historische Erbe Ottweilers mit pflegen und bei Bauarbeiten oder Renovierungen der Fassaden entsprechend handeln, schaffe die Altstadt finanzielle Anreize. Die thematischen Führungen durch die Altstadt sind auch ein Weg, die örtliche Geschichte unterhaltsam zu vermitteln und in der Öffentlichkeit für den Erhalt der historischen Gebäude zu werben.

Die eineinhalb Stunden sind wie im Flug vergangen und erst jetzt bei der letzten Station im Fornarohof fällt einem auf, dass es ein bisschen frisch geworden ist. Wer den Nachtwächter bei seiner Runde freitagabends begleitet, macht eine Zeitreise ins mittelalterliche Ottweiler . Für einen Abend versetzt man sich gerne in das Leben der damaligen Stadtbewohner. Aus den Geschichten und Beschreibungen kommt heraus: In der heutigen romantischen Kulisse der Altstadt war der Alltag der Ottweiler damals kein Zuckerschlecken. Nicht nur regelmäßige Hungersnot im Winter machte den Bewohnern zu schaffen, sondern auch mögliche Angriffe von Außen. Wenn feindliche Soldaten mit Schwertern und Lanzen ausrückten, flüchteten die Ottweiler in den Alten Wehrturm. Mit Verließ und Schießscharten fungierte er als Bergfried und war der ideale Platz, um sich vor dem Ansturm zu schützen und die Stadt zu verteidigen. Aber das wäre schon die nächste Geschichte aus Ottweiler . . .

Zum Thema:

Auf einen BlickDie Tourist-Information Ottweiler organisiert viele thematische Führungen. Freitags führen Willi Wälder und Leo Simon als Nachtwächter abwechselnd durch die Altstadt. Los geht's immer um 21 Uhr am Alten Wehrturm. Der Rundgang dauert eine gute Stunde. Sonntags ab 15 Uhr werden die Stadtführungen von Figuren im historischen Gewand geleitet. Jeden letzten Sonntag im Monat richtet sich die Führung "Mittelalterliche Kurzweyl" speziell an Familien. Auch der Wehrturm mit Verließ, Schießscharten und Glockenspiel kann sonntags um 17 Uhr besichtigt werden. hemDiese Führungen finden von Anfang April bis Ende Oktober statt. Erwachsene zahlen drei Euro, Kinder sind kostenlos. Bei den Familienstadtführungen bezahlen Kinder einen Euro.

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